Brief an dich, Erstlings-Mama

Liebe Erstlings-Mama,

das hier ist keineswegs ein Brief mit lauter besserwisserischen gut gemeinten Ratschlägen, denn davon bekommst du sicher genug. Ob Mütter aus der Krabbelgruppe, deine Hebamme, der Kinderarzt, fremde Leute auf der Straße: sicher kannst du dich vor Tipps und Tricks rund um dein Baby nicht retten. So ging es mir auch. Trotzdem habe ich jetzt manchmal das Bedürfnis, meine Erfahrungen weiter zu geben, die ich in den letzten Jahren gemacht habe. Deshalb schreibe ich dir diesen Brief.

Ich war wie du am Anfang ganz schön unsicher, habe mir einen riesen Kopf gemacht, Bücher gewälzt und zig Leute nach ihrer Meinung gefragt. Am Ende muss ich sagen, dass 85 % von all den Sorgen und Nöten rund um das erste Baby völlig umsonst waren. Und wie toll wäre das gewesen, wenn sich vor fünf Jahren eine Mutter bei mir gemeldet hätte, um mir diese weisen Worte zu verraten. Daher gebe ich dir nun Folgendes mit auf den Weg, von dem du alles sofort verwerfen sollst, was dir nicht einleuchtend ist! Aber ich hoffe sehr, dass ich dir eines mitgeben kann: Vertrauen in dich selber, einen großen Eimer Gelassenheit und einen dicken Tritt in die Hintern dieser lästigen, dicken Sorgenmonster.

  1. Zu Beginn verrate ich dir das erste Geheimnis über dein Kind: du bist die Spezialistin für das Baby. Nicht der Kinderarzt weiß, wie dein Muckel am besten einschläft, nicht deine Hebamme kennt den Grund seines Weinens. Einzig allein du wirst es rausfinden, wenn du dich ein wenig zurück lehnst. Ok, kann sein, dass dein Kind so ein Kandidat ist, wie Jimmy einer war. Der hat geweint, gebrüllt, gezetert. Ich habe Schreiambulanzen aufgesucht, Kinderärzte um Rat gebeten, Hebammen angerufen, Freundinnen interviewt. Jeder hatte eine andere Idee, die ich sofort umzusetzen versucht habe. Hat alles nichts genützt. Genützt hat a) Antons Geduld und Spucke b) als ich auf mein Inneres gehört habe, das mir intuitiv sagte, was ich tun soll c) eine dicke Portion Humor, auch wenn er an vielen Tagen schwarz war.
  2. Vielleicht kennst du die, die dich in der Krabbelgruppe fragen: „Ja dreht sich deiner denn noch nicht?“ Und klar gehen dann bei dir alle Alarmglocken an. Ging mir genau so. Mein Kind drehte sich nicht, es winkte nicht, es machte keine Gebärdensprache. Es lag da und guckte befremdlich aus der Wäsche. Sofort sah ich die Zukunft in dunklem Grau. Nie, nie würde es Fortschritte machen, es würde trotz glückseligem wunderbarstem Gesundheitszustand nie krabbeln, nie der schnellste sein und nie die eifersüchtigen Blicke anderer Mütter auf sich ziehen. Zuhause nahm ich sofort Remo Largos Elternratgeber zu Hand und las, dass Kinder sehr, sehr unterschiedliche Entwicklungen machen. Das eine sei schnell, das andere langsam. Alles ganz normal. Und das kann ich dir nach fünf Jahren und drei Kindern bestätigen. Pfeif drauf, wann sich dein Baby dreht, wann der erste Zahn kommt, wann es zu laufen beginnt. Klar, feier jeden Fortschritt mit einer Kanne Stilltee, aber mach dir bloß keinen Kopf, wenn der ersehnte erste Schritt auf sich warten lässt. Es gibt Kinder, die liegen an ihrem ersten Geburtstag noch auf dem Boden wie ein dicker Käfer. Denk dir lieber ein paar flapsige Sprüche aus, wenn dir mal wieder in der Krabbelgruppe ein Kommentar ans Hirn knallt.
  3. Du hast riesen Panik, dass du keinen Platz mehr fürs Pekip oder Babyschwimmen bekommst, und dein Kind dann ein absoluter Outsider und Spätentwickler wird? Ich verrate dir was: meiner Meinung nach sind all diese Babykurse in erster Linie eines, nämlich Mütterkurse. Sie sind dafür da, dass sich Erstlingsmütter wie du mit einer Tasse Fencheltee und einer Tüte Studentenfutter (du weißt schon, stillende Mütter brauchen Kalorien..) zusammen scharren, Sorgen und Nöte austauschen, sich gegenseitig beruhigen oder auch mal ein Tränchen der Erschöpfung verdrücken. Wenn du das brauchst, nur zu! Wenn du die Kurse aber nur machst, damit dein Kind alle Chancen nutzt, und zwar von Anfang an, schenk es dir. Die Babys brauchen diesen ganzen Kokolores nicht. Jimmy hat die Babymassage über nur gebrüllt, hat das Pekip verschlafen oder die unregelmäßigen mit den regelmäßigen Verben beim Englisch-Kurs für Krabbelkinder verwechselt. (Letzteres war ein Witz, muhahahaha) Aber wenn es DIR gut tut und ihr beide keinen Stress mit Kurszeiten und frühmorgendlichem Aufstehen habt, wünsche ich dir bei allem ganz viel Spaß.
  4. Bevor du dich wie ich einen ganzen Nachmittag mit entsetztem Blick und rasendem Puls durch Elternforen und Mama-Blogs quältst und von Müttern liest, die sich gegenseitig beschimpfen, weil sie ihre Kinder schreien/impfen/tätowieren lassen, schenk es dir. Mütter können ganz schön gaga sein. Sie bekriegen sich, anstelle sich zu unterstützen. Sie verurteilen andere, anstelle sich in deren Lage zu versetzen. Sie verteidigen ihre Meinungen zu Themen wie Beikosteinführung, Langzeitstillen, Einschlafmethoden, Kaiserschnitt, anstelle sich einfach damit zufrieden zu geben, dass es alle Eltern so machen, wie sie es selbst für richtig halten. Streitereien bringen sowieso nichts, da könnte ich mich gleich mit einem Hot Dog ins Veganer-Restaurant setzen und einen Vortrag zum Thema „Die finanziellen Vorteile von Massentierhaltung“ halten. Schon deine Nerven und meide Suchmaschineneingaben wie „wie lange stillen“ oder „impfen pro und contra“.
  5. Dir ist das Muttersein manchmal ein Graus und du hast Angst, dein Leben für immer und alle Zeit mit einem sprach- und zahnlosen Wesen zu teilen, dir täglich den Duft aus dem Windeleimer um die Nase wehen lassen zu müssen und nie mehr High Heels tragen zu können? Keine Sorge, auch wenn du es manchmal nicht glaubst: es kommt alles wieder. Auch ich sehe derzeit mit Neid erfüllten Blicken in meiner Facebook-Timeline Damen in Skiklamotten von der Idalm aus Ischgl winken, während ich hier vor Ort Brezelkrümel auffege und Milchfläschchen erwärme. Aber irgendwann werden auch wir mal wieder die kniehohen Stiefel und den heißen Ausgeh-Fummel aus dem Schrank ziehen oder ein Mädels-Wochenende mit Pulverschnee und Jager-Tee in den Bergen verbringen. Also keine Sorge, alles renkt sich wieder ein, und auch die Augenringe und diese hässlichen Still-Oberteile werden wieder aus deinem Leben verschwinden. Und eines verrate ich dir: ich habe an meinem ersten Abend in Freiheit nach acht Monaten Jimmy-Babyzeit alle 60 Minuten auf mein Handy geschaut und mir Bilder vom Söhnchen angeschaut, freakig, oder?

Alles in allem rate ich dir: mach dir keinen dicken Kopf. Das mit den Babys haben schon ganz andere Menschen hinbekommen. Es ist eine noch viel schönere und wunderbarere Zeit, wenn du die Sorgen weglässt, die ja bekanntlich zum größten Teil umsonst sind. Also, nun wünsche ich dir eine feine Baby-Zeit mit vielen freundlich gesinnten Mitmüttern,

deine Laura

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