Alles Inklusive von Mareice Kaiser

Buchempfehlung: so schön, so klug, so wichtig

Ich habe ein Buch gelesen. Dieses Buch hat mich beeindruckt, schockiert, zum Nachdenken gebracht und richtig Spaß gemacht. Daher spreche ich euch allen heute eine absolute Empfehlung aus für „Alles Inklusive“ von Mareice Kaiser. Ich kenne sie aus der Bloggerwelt, denn als ihre kleine Tochter gestorben ist, gab es eine Twitterwelle im Netz. Auch ich habe damals einen Elefanten geschickt. Ob es was geholfen hat, wenn das Schlimmste passiert, was Eltern passieren kann? Ich weiß nicht, aber ich weiß, dass die Kaisers ganz schön starke Eltern sind und Mareice Kaiser sich seither mit dem Tod und der Trauer als Teil des Lebens auseinander setzt. Also Hut ab vor dieser starken Frau, die so wunderbar schlicht, klar und schön schreiben kann.

Das Buch steckte als Belegexemplar in meinem Briefkasten und als ich durch Zufall einen Auszug daraus in der Nido las, nahm ich es sofort zur Hand. Habe es in den folgenden Tagen in einem Rutsch durchgerattert, was bei meinen gefüllten Tagen ein wahres Wunder ist.

Worum gehts

Mareice und Thorben freuen sich auf ihr Kind. Nach der Geburt stellt sich heraus, dass das kleine Mädchen unter einem Chromosomenfehler leidet. Es beginnt für die kleine Familie eine Tortur durch die Krankenhäuser. Sie begegnen unsensiblen Ärzten, beißen sich an der Hotline der Krankenkassen die Zähne aus, als sie um neue Hilfsmittel für die Pflege des Kindes bitten, müssen selbst nach Diagnosen suchen und reiben sich auf mit all dem Behördenkram der entsteht, wenn ein Kind behindert ist. Noch dazu kommen Kommentare von Mitmenschen, die einem den Mund offen stehen lassen.

Die Eltern genießen aber auch die Zeit mit Greta, so heißt das Kind im Buch, und wäre da nicht diese Gesellschaft, die einfach nicht behindertengerecht ist, dann wäre die Geschichte sicher nicht so traurig. Denn es ist auch eine Geschichte über das Menschsein. Es lehrt uns alle viel über uns selbst, über unsere Kinder, über das Leben und wie wir es betrachten.

Was ich beim Lesen lerne

Wir pfeifen auf Defizite und Fähigkeiten

Ich habe beim Lesen des Buches sehr viel für mich mitgenommen. Mareice schreibt einmal, dass es immer wieder um Gretas Defizite geht. Einmal wird sie nach deren Fähigkeiten gefragt. Klingt erstmal prima! Endlich fragt jemand, was das Mädchen alles kann. Und sie kann viel: sie kann ihre Eltern und ihre Schwester glücklich machen, so niedlich falsch rum auf einem Stuhl abhängen, zufrieden sein, lachen, kuscheln und vieles mehr. Aber warum, verdammt nochmal, geht es bei unseren Kindern neben all ihren Defiziten auch ständig um ihre Fähigkeiten? Warum schauen wir Eltern verunsichert, wenn unser Söhnchen immer noch nicht schwimmen kann, alle anderen in seinem Alter aber doch? Warum erzählen wir sofort, dass unser kleiner Max / Leon / Luis zwar nicht motorisch begabt sei, dafür aber schon malen kann wie ein Profi?

Ganz ehrlich, es ist doch unterm Strich sowas von Bumms, was der Nachwuchs kann oder nicht. Wenn Klein-Ole mit zehn Monaten läuft, prima. Seine Mama hätte ihn auch lieb, wenn er dies erst im Alter von zwei Jahren beherrschen würde. Und wenn Klein-Ole niemals laufen lernte, wäre das natürlich unheimlich schade und traurig, aber das Leben müsste weitergehen. Und natürlich hätte ihn seine Mama genau so lieb. Das wichtigste aber ist: Ole könnte ein glückliches Leben im Rollstuhl führen, denn das ist möglich. Dass unsere Kinder glücklich und zufrieden sind, ist das nicht aller Eltern Wunsch? Greta ist zufrieden, das spürt Mareice. Sie ist die meiste Zeit glücklich, schreibt ihre Mutter. Wir Eltern lieben unsere Kinder einfach, weil sie SIND. Aus keinem anderen Grund. Was sie KÖNNEN und NICHT KÖNNEN, sollte uns in diesem Zusammenhang völlig wurscht sein.

Gesundheit ist nicht das höchste Gut

Als Jimmy und ich über die Schule sprechen, die er bald besucht, sage ich ihm: „Jimmy, Schule ist nicht das wichtigste, hörst du?“ „Nein, Mama, Gesundheit ist das wichtigste!“ antwortet er mir. Diese Floskel hört er immer wieder, bei jedem Geburtstag, bei Telefonaten, an Sylvester. Und klar, Gesundheit steht an oberer Stelle für jeden, ist ganz klar. Aber ich habe bei diesem Gewünsche auch immer ein mulmiges Gefühl. Was ist, wenn wir doch krank werden? Ernsthaft krank, länger krank, einschneidend krank? Ist dann auf einmal alles vorbei, Ende vom Lied, nie mehr glücklich sein?

Nein, denn so wertvoll Gesundheit auch ist: es gibt auch die Möglichkeit eines Lebens, in dem wir krank werden oder sind, Hilfe brauchen, nicht mehr alles tun können, die Zukunft ungewiss erscheint und wir uns viele Sorgen machen. Dennoch darf auch in diesem Fall Glück geschehen und Glück spürbar sein. In den kleinen Dingen, in den Freunden, die für uns da ist, im Trost der Familie, in gegenseitiger Unterstützung: Auch Kranke können zeitweise glücklich und zufrieden sein, das müssen wir uns vor Augen führen.

In unserer Gesellschaft liegt einiges im Argen

Ich habe auch etwas Trauriges gelernt: dass Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft in weiten Teilen unerwünscht sind. Und daran müssen wir etwas ändern. Mareice wird mit dem unglaublichen Vorwurf konfrontiert, dass die Kosten für ihr behindertes Kind auf den Schultern der Steuerzahler liegen würden. Wir wissen alle, dass es Menschen mit grausamen Gedanken im Kopf gibt. Aber diese Gedanken sind auch so dumm! Wer sagt denn, dass nicht einer von uns gesunden, vor Kraft strotzenden Steuerzahlern nicht morgen wegen eines Schlaganfalls, einer Depression etc. dem Staat auf der Tasche liegt? Wer hat denn hier das Recht, in Würde zu leben? Nur die gesunden, arbeitenden, hellhäutigen, katholischen, verheirateten und Abfall trennenden Deutschen, oder was?

Ich habe mal eine Geschichte über integrative Schulklassen geschrieben, das die Auffassung unserer Gesellschaft beschreibt: Inklusion klingt prima, aber bitte nicht bei meinem kleinen Ludwig in der Klasse. Auch das lehrt uns das Buch: Behinderte Menschen werden zu oft ausgeschlossen, das ist Fakt. Und es liegt an uns, ob wir dazu beitragen, das zu ändern. Lasst uns Inklusion fördern, unterstützen wir die Schulen darin. Gehen wir offen auf Eltern mit behinderten Kindern zu, sprechen mit ihnen, anstelle die Blicke zu senken. Bieten wir unsere Hilfe an. Plädieren wir für barrierefreie Bahnhöfe, öffnen wir unsere Gesellschaft für alle Menschen.

Also lest dieses wichtige und schön geschriebene Buch über eine ganz besondere Familie. Und wer das Blog von Mareice noch nicht kennt: schaut auf www.kaiserinnenreich.de vorbei. Ich habe mein Exemplar der Bücherei gestiftet und bin auf große Begeisterung gestoßen!

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