Die Angst der Eltern

Ein Thema beschäftigt mich schon länger, und wird von Elternkollegen, Nachbarn und Medien immer wieder befeuert: die Angst, das Kind könnte den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen sein. Meist fängt es schon nach der Geburt an, wie auch in meinem Fall:

Nach ein paar Monaten mit brüllendem Kind befürchtete ich, Jimmy sei vielleicht „nicht ganz normal“, weil er sich wirklich über jede Kleinigkeit aufregte. Ich googelte „frühkindlicher Autismus“, „Schreibaby“ und all diesen Kram. So weit, so normal. Der nächste Schreck ein paar Wochen später: Eine Bekannte aus dem Geburtsvorbereitungskurs samt Baby fragte nach der Begrüßung, ob sich mein Söhnlein auch schon drehte. Ihr Töchterchen tue das ohne Unterlass. Ich verneinte und vermutete eine gravierende Entwicklunsverzögerung, die auch zum frühkindlichen Autismus passen würde. Also nichts wie zum Osteopath, Jimmy kam mir sowieso immer so schlaff vor. Und natürlich diagnostizierte der ein Muskeldefizitlein hier, eine Motoritätsstörung da, und ich fühlte mich bestätigt. Schon sah ich Jimmys Zukunft den Bach runter gehen. Mit diesem schlaffen Tonus wird er nie das Turngerüst hochklettern. Und was werden die anderen Mütter und Väter beim Baby-Turnen sagen?

Horror, solche Mütter, oder? Zum Glück bin ich kuriert. Und selbstverständlich kann Jimmy das Turngerüst hochklettern. Er hat hier Stärken, dort Schwächen, wie jeder Mensch. Aber sind wir mal ehrlich: wären unsere Söhne kleine Fußballprofis, Rechengenies, hübsch gelockte und sozial kultivierte Allround-Talente, wären sie dann noch sympathisch und lustig?

Ich finde es einfach nur schade, wenn Mütter kopfschüttelnde dem Nachbarskind hinterher schauen, das per Fahrrad durch die Gegend flitzt. Lauthals erzählen sie dann, dass ihr Karl-Friedrich nicht einmal Laufrad fährt. Dabei sitzt Karl-Friedrich gerade auf dem Asphalt und malt die tollsten Kreidebilder. Oder ein motivierter Papa beschwert sich über die eineinhalb Jährige, die immer noch kein Wörtchen spricht. „Dabei könne die Kindergartenkollegin mit knapp eins schon ganze Sätze brabbeln“.

Und so geht es ein Leben lang munter weiter. Die Angst, das eigene Kind könnte den andern hinterher sein, ist immer dabei. Also, was ist zu tun? Frühförderung lautet das Zauberwort! Da schicken die Eltern die Kinder montags zum Triangel-Unterricht (Kinder, die ein Instrument lernen, sind allgemein klüger), dienstags in die Theaterprobe (Kinder, die Theater spielen, haben ein größeres Selbstbewusstsein), mittwochs gehts zum Turnen (schult Gleichgewicht), donnerstags ist Jugendkunstschule (Kunst macht Kinder kreativ und schlau) und freitags gehts nach dem Logopädie-Termin gleich zum Englischkurs für Kindergartenkinder. Eines ist sicher: die Eltern meinen das alles gut und sind dabei sogar noch getrieben von der Angst, ob sie mit dem Verzicht auf Schwimmkurs, Pilates-Junior und Ausdruckstanz nicht die Zukunft ihrer Kinder verbauen. Und sie schütteln schon jetzt verzweifelt den Kopf, wenn sie an die anspruchsvolle Grundschule denken, auf die der Nachwuchs in zwei bis drei Jahren kommen soll. Denn eines haben sie von anderen Eltern gehört: „Dann hört der Spaß endgültig auf!“

Zum Glück sind Jimmy und Luise noch weit von der weiterführenden Schule entfernt, aber das scheint wohl der Supergau zu sein. Werde ich auch voller Bangen auf die Empfehlungen der Lehrer warten, und bei dem Vorschlag, Jimmy auf die Realschule zu schicken, weinend zusammen brechen, weil ihm dann der Weg zum Akademiker schon im zarten Alter von 10 Jahren verbaut ist? Werde ich Luise warnend nach Schulsschluss mit dem Vokabelheft empfangen und sie darauf hinweisen, dass sie mit einer solchen Einstellung das fünf-sprachige Gymnasium auf keinen Fall schafft? – Ich hoffe, dass ich das niemals tun werde. Ich möchte, dass die Kinder in der Schule auch mal auf die Nase fallen, Ärger kriegen, nachsitzen müssen, eine vier minus in Biologie kassieren, eine Präsentation vermasseln und aus all diesen Erfahrungen lernen. Ich möchte von Jimmys Englischlehrerin in die Sprechstunde eingeladen werden, weil sie mit mir über seine Faulheit sprechen muss. Und ich will Luise ein Eis ausgeben, weil sie in Physik mal wieder eine fünf geschrieben hat und weint. Meine Eltern und deren Eltern haben das auch alles gemacht, das ist in unsere Familie Tradition.  Meine Lateinlehrerin hat mir mal unter meine Arbeit geschrieben: „Note 5+, schon viel besser“. Ich fand den Xylophon-Unterricht schon mit vier Jahren sch…  und war in Sport meine gesamte Schullaufbahn eine Niete. Englisch habe ich erst mit 10 Jahren gelernt und an meinem ersten Schultag konnte ich nicht lesen und schreiben. Aus mir ist trotzdem was geworden. Also Eltern, bleibt locker, am besten von Anfang an!

Ps.: Mehr zu diesem Thema auch auf dem schönen Blog Wer-ist-eigentlich-dran-mit Katzenklo

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