Demokratie in Singapur: Gastbeitrag einer Auswanderin

Du hast die Wahl – auch im Ausland! #dubistdemokratie

Als wir vor knapp 7 Wochen in Singapur gelandet sind, war ich erst einmal froh: vorbei die Wochen mit der ewigen Organisierei und Planung, vorbei das Packen, Aussortieren und vor allem die vielen Verabschiedungen. Endlich sind wir ganz weit weg von allem und haben unsere Ruhe.

Doch damit lag ich natürlich völlig falsch – denn wir sind ja nicht nach Singapur gereist, um hier Urlaub zu machen, sondern um ein neues Leben zu installieren und einen Alltag einzurichten. Sofort ging es hier also los mit Behördengängen, Kindergarten- und Wohnungsbesichtigungen, der Recherche nach dem besten Supermarkt/der besten Windelmarke/der günstigsten Reinigung, den Bankgeschäften, und nebenbei mussten wir uns möglichst schnell mit dem öffentlichen Nahverkehr auseinandersetzen und uns in der riesigen Stadt zumindest in Grundzügen orientieren können.

Als der Göttergatte dann noch per WhatsApp aus dem Büro schrieb: „Falls Du mal Zeit hast: kannst Du checken, wie Das mit der Briefwahl ist?“ Im ersten Moment dachte ich: „Och nö, jetzt sind wir ja sooo weit weg von Deutschland, das Wählen lassen wir dieses Mal ausfallen.“

Aber dann ging ich der Neugierde halber doch auf die Homepage des Bundeswahlleiters und auf die des deutschen Konsulats in Singapur und las mich so durch das Procedere zur Beantragung einer Briefwahl als sog. „Auslandsdeutscher“. Dabei stellte ich fest, der der schriftliche Antrag dazu noch in der derselben Woche in Deutschland eingegangen sein muss, damit man im Wählerverzeichnis vermerkt wird, auch wenn man keinen Wohnsitz mehr in Deutschland hat.

Wieder dachte ich: „Ach, das ist ja jetzt eh zu knapp für uns.“ und leitete die Info an den Mann weiter. Der überraschte mich dann aber bei seiner Rückkehr aus dem Büro, indem er mir sämtlichen erforderlichen Unterlagen ausgedruckt auf den Tisch legte, mich um eine Unterschrift bat und dann den ganzen Papierkram eintütete.

Nun gut, damit war ich in Zugzwang und marschierte brav am nächsten Tag zum Postamt und warf die beiden Briefwahl-Anträge ein.

In den folgenden zwei Wochen verfolgte ich dann via Facebook, den Online-Ausgaben der Süddeutschen Zeitung und anderen Medien den Wahlkampf in Deutschland, und täglich wuchs der Wunsch, doch meine Stimme zu nutzen.

Denn in Singapur lernte ich, wie tolerant ein in vielen Dingen sehr totalitärer Staat sein kann: sämtliche Nationen der Welt leben hier in friedlicher Koexistanz auf engstem Raum beisammen. Es gibt allein hat vier offizielle Landessprachen (Englisch, Mandarin, Malayisch, Tamil), sämtliche nur denkbaren Religionen können ungestört ihren Glauben leben, und häufig steht eine christliche Kirche neben einer Mosche und einem Hindu-Tempel, ohne dass sich irgendjemand daran stört. Im Kindergarten unseres Juniors spielen Kinder aus 17 Nationen miteinander, und es ist wohl eher so, dass Titus derjenige ist, der „anders“ aussieht als die anderen, was ihm aber definitiv überhaupt nicht bewusst ist. Dass Menschen unterschiedlich sind und dass Herkunft keine Rolle spielt, lernt er hier so selbstverständlich wie nur möglich.

Merke: Wahlunterlagen kommen auch mit seltsam
anmutender Auslandsadresse an!

Und wegen dieser Auslandserfahrungen, unser durch viele, viele Reisen geprägtes Toleranzverständnis und unser Interesse an fremden Kulturen will ich in zwei oder drei Jahren mit meiner Familie nicht in unsere Heimat zurückkehren, um dort festzustellen, dass sich der politische Wind gedreht hat.

Darum war ich dann doch sehr erleichtert, als vergangenen Mittwoch tatsächlich die Wahlunterlagen in unserem Briefkasten auf uns warteten. Wenn es einem selbst auf die Entfernung (10.000 km!) so leicht gemacht wird, das demokratische Recht auf freie Wahl auszuüben, dann kann doch eigentlich jeder schaffen, oder?

Die wurden natürlich sofort ausgefüllt und noch am selben Tag wieder in den Briefkasten geworfen – das hat der Sprössling höchstpersönlich in die Hand genommen, nachdem ich ihm in Grundzügen erklärt habe, um was es dabei eigentlich geht. Unsere Feldversuche haben übrigens ergeben, dass die Post von Singapur nach Deutschland etwa 3-5 Werktage braucht, das ist wirklich erstaunlich schnell!

Nun bleibt uns nur abzuwarten – aber immerhin erfüllt mich durchaus stolz, dass ich meiner Bürgerpflicht nachgekommen bin, trotz eindeutig erschwerter Bedingungen.

Die deutsche Community unter dem Dach der „German Association“ hier beteiligt sich natürlich auch sehr am allgemeinen Wahlaufruf und veranstaltet am kommenden Wahlsonntag sogar ein „Election Night Gathering“ zum gemeinschaftlichen Mitfiebern. Allerdings zu sehr später Stunde, denn Singapur ist Deutschland sechs Stunden voraus!

Zum Blog Singapur³: Nadine ist mit ihrer Familie erst vor kurzem nach Singapur ausgewandert, weil ihr Mann, der gleichzeitig mein Cousin ist, für zwei Jahre dort arbeiten wird. Auf ihrem Blog erzählt sie über das völlig andere, tolle, verrückte und aufregende Leben in der fernen Stadt, berichtet wie ihr Sohn mit der Umstellung umgeht und schreibt auch mal über die Hürden als Expat. Ihr solltet unbedingt rüberklicken, denn Nadine hat eine ungemein inspirierende Art und eine tolle Schreibe.

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