Es reicht. Warum jetzt Schluss ist mit der Besorgtheits- und Organisationsplackerei

Gefühle begleiten mich den ganzen Tag. Das ist soweit menschlich und normal. Sie haben aber viel mit der Familie zu tun und damit, dass ich für vieles zuhause verantwortlich bin.

Verantwortung übernehmen

Ich war letzte Woche nicht auf dem Abschlussfest der Schule meines Sohnes. Wir hatten so viel um die Ohren vor den Ferien, es war heiß und Oskar müde. Er musste dringend ausruhen und wir blieben im schattigen Haus. Mein Sohn ging mit den Nachbarn los, Anton sollte etwas später vom Büro zum Fest kommen. Die Klasse sang etwas vor, Jimmy war traurig, weil wir Eltern nicht dabei waren.

Zuhause haben Anton und ich den Haushalt nicht immer geschafft. Ein Haufen Wäsche blieb übrig, die Kinder hatten keine Socken mehr. In dem Chaos haben wir auch noch Luises Sporttasche verloren und von der Bücherei kam eine Mahnung. Ich guckte noch einmal auf die Woche zurück: Was könnten wir künftig anders machen, wie hätten wir uns besser organisieren können? Wie können wir die Aufgaben aufteilen und vermeiden, dass ein Kind enttäuscht ist, weil wir in wichtigen Momenten nicht für es da sind?

Für Familienfrieden sorgen

Die Kinder zanken, ich möchte ihnen gerne behilflich sein und denke darüber nach, wie ich mich einmische, ohne mich einzumischen. Wie kann ich ihnen eine kleine Starthilfe geben, damit sie sich einerseits streiten können und andererseits alleine eine Lösung finden?

Ich beschäftige mich mit Gewaltfreier Kommunikation, weil ich das Thema so spannend finde und ich möchte, dass wir bei uns zuhause gut miteinander umgehen. Weil ich oft mit meinem Kindern rumschreie und dann in das erschreckte Gesicht meiner Tochter sehe, suche ich nach einer Alternative.

Zuhause gibt es viel zu tun, ich will nicht mehr die Hauptverantwortung tragen. Neulich überlegte ich, wie ich mit meinem Mann darüber rede, damit wir ein vernünftiges Gespräch führen und wir zu einer konstruktiven Lösung kommen. Ich sorge mich darum, dass er sich angegriffen fühlt, wenn ich mit der Tür ins Haus falle.

Atmosphäre schaffen

Es gibt nichts Schöneres, als ein Familiensonntag in unserem gemütlichen Wohnzimmer oder die Momente, in denen wir gemeinsam singen, das Kerzenlicht genießen und dabei Kekse essen. Oder es uns sonstwie schön machen. Dazu trägt auch bei, dass es einigermaßen aufgeräumt und wohnlich ist. Dass Bilder von uns als Familie an der Wand hängen oder Kindergemälde am Kühlschrank kleben. Damit das so ist, mache ich mir Gedanken, um diese Atmosphäre herzustellen und Momente zu schaffe, die uns allen im Herzen bleiben.

Soziale Kontakte organisieren

Wir sind keine Inseln. Wir brauchen Freunde und Bekannte und wir brauchen es alle mal, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Befreundete Familien einladen, den Kalender nach günstigen Zeitpunkten überprüfen, sich immer mal wieder bei lieben Menschen melden und zum Geburtstag anrufen, das gehört auch dazu, für die Kinder und für uns Erwachsene.

Emotionale Arbeit – eine Frauensache?

Wusstest du, dass all diese Dinge unter dem Begriff „emotionale Arbeit“ laufen? Soziologen forschen seit Jahren dazu, auch im beruflichen Kontext. Von FlugbegleiterInnen, KellnerInnen oder Damen und Herren am Empfang wird eine innere und äußere Haltung erwartet, „bei der Arbeit nicht nur warmherzig und freundlich zu erscheinen, sondern es auch tatsächlich zu sein (…).“ (Gemma Hartley, Es reicht! München 2019, S. 22). Diese Arbeit gibt es aber auch im häuslichen Bereich und wurde in den letzten Jahren durch die Attachment Parenting-Bewegung verstärkt: ein freundlicher und respektvoller Umgang mit Kindern ist die Grundlage einer guten Eltern-Kind-Beziehung. Innerlich und äußerlich ruhig bleiben lautet die Devise, die unterstrichen wird mit Buchtiteln wie „Mama, nicht schreien“. Hier richtet sich die Forderung sogar explizit an die Mutter, die übrigens zuhause auch die anderen emotionale Arbeit leisten soll. Die hat vor allem das Ziel, dass sich die Menschen um einen herum wohl fühlen, sie ist unbezahlt und wird meist nicht gesehen oder wertgeschätzt. Aber sie muss gemacht werden und ist anstrengend, auch weil sie nie zu Ende ist. Wieso ist diese Arbeit eigentlich Frauensache? Dazu finden wir Antworten im neuen Buch von Gemma Hartley.

Gemma Hartley: Es reicht!

Gemma Hartley schreibt in ihrem neuen Buch über eine soziologische Studie, die sich mit dieser Gefühlsarbeit befasst. Laut dieser Studie übernehmen Frauen mehr Gefühlsarbeit, sie deligieren mehr, sie sorgen mehr dafür, dass jeder in der Familie glücklich ist und das werde von der Gesellschaft auch genauso erwartet (S. 22).

Wir Frauen hören ja oft, dass wir das alles so gut können: Wow, wie schön du das Wohnzimmer eingerichtet hast. Ist das gemütlich hier mit den Keksen. Mit Freunden in Kontakt bleiben, das kannst du einfach besser! Sorry, dass mir der Termin durchgegangen ist, mir liegt das Organisieren einfach nicht so wie dir, Schatz!

„Man sagt uns häufig, Frauen seien intuitiver, empathischer, von Natur aus eher gewillt, Beistand zu leisten und Rat zu geben. (…) Wie praktisch, dass dieses kulturelle Konstrukt den Männern eine Entschuldigung für die eigene emotionale Faulheit liefert“,

schreibt Jess Zimmermann in einem Beitrag über emotionale Arbeit. Und genauso ist es doch. Es ist völliger Quatsch, dass wir das alles einfach besser könnten, weil wir Frauen sind. Wir können das einfach nur besser, weil wir geübt haben und es uns unsere Mütter schon vorgemacht haben. Weil wir in der Gesellschaft sehen, dass sich Frauen kümmern, ob als Grundschullehrerin, als Erzieherin oder als Krankenschwester. Auch in der Kirche übernehmen das Kümmern die Frauen (Macht dagegen bleibt ihnen in der katholischen Kirche verwehrt). So darf es gerne bleiben, denken sich die Männer, die ganz bequem zur Arbeit gehen und froh sind, dass sich die Frau zuhause um all den Kram kümmert. „Du kannst das einfach besser“ ist eine miese und bequeme Ausrede.

Wenn wir streiken?

Zurück zu mir. Ich hätte diese emotionale Arbeit auch sein lassen können. Oder nicht wo wichtig nehmen. Ist doch nicht so schlimm, wenn es mal nicht läuft. Mach dich locker!

Du kannst mir glauben, der Quick-and-Dirty-Weg ist mein bester Freund. Ich mache kein Theater mehr um Kindergeburtstage, Anton und ich machen eine Topfschlag-/Fußballparty mit Pizza holen und Kuchen vom Bäcker. Wir bügeln Wäsche nicht, wir lassen uns eine Gemüsekiste liefern, ich habe die Nähmaschine in den Keller geräumt und bestelle nur noch Brezeln fürs Kindergartenbuffet.

Aber ein trauriges Kind bei einem Schulfest ist schlimm, finde ich. Mein schlechtes Gewissen ist mir da ein guter Warnanzeiger, denn das war ein wichtiger Moment in Jimmys Leben und wir waren nicht da. Und ohne Socken gibts morgens noch schlimmeres Chaos. Solche Wochen wie vor den Schulferien werden wir noch viele haben, wir müssen uns einfach früher überlegen, wie wir das besser koordinieren. Der Zank zwischen den Kindern stresst uns enorm und wir müsssen uns einfach Gedanken darüber machen, dass wir uns nicht laufend anbrüllen. Ich liebe unser gemütliches Familienleben und diese schönen Momente in unserem Zuhause machen das Leben lebenswert.

Ohne Gefühlsarbeit geht es nicht

Ohne diese emotionale Arbeit läuft hier alles drunter und drüber, keiner würde sich mehr wohl fühlen und wir müssten auf viele schöne Momente verzichten. Wir würden im Chaos versinken und Termine vergessen, wir würden uns anschreien und nicht gut miteinander umgehen.

Allerdings muss uns hier zuhause, dir und auch allen anderen Familien klar werden, dass diese emotionale Arbeit anstrengend ist und bisher meist auf den Schultern der Frauen ruht.

Die tückische, in Stein gemeißelte Erwartung, dass Frauen die erschöpfende mentale und emotionale Arbeit zu Hause schon schultern werden – eine Arbeit, die gerade von denen weitgehend nicht beachtet wird, die davon am meisten profitieren – verfolgt uns immer und überall hin, denn wir leben in einer Kultur, die uns hier kaum die Wahl lässt. (Hartley, S. 26)

Diese Erwartungshaltung besteht und wird sich nicht von heute auf morgen verändern. Aber uns das Problem bewusst zu machen hilft, um Veränderungen anzustoßen. Lass dir nicht einreden, dass du besser organisieren und es gemütlich machen kannst, weil du eine Frau bist. Du kannst es, weil du es geübt hast. Ist das nicht auch eine tolle Nachricht? Emotionale Arbeit ist erlernbar. Also können wir 1. darüber reden und 2. den Partner damit konfrontieren, dass wir das nicht länger alleine machen. Genauso, wie mir Anton künftig zeigt, wie ich einen Autoreifen wechseln kann (das hat nämlich bisher immer er gemacht), führe ich ihn in die Familienorganisation ein, sage ihm, wo die Kerzen sind und bitte ihn, doch mal wieder unsere Freunde einzuladen. Ich bin mir sicher, er wird darin immer besser, bis es ihm so ins Blut übergeht und er die Freunde bald mal selbst um ein Treffen bittet.

Zusammen ist man weniger mental beladen

Seitdem wir hier zuhause miteinander über das Thema reden, den Comic „Mental Load“ von Emma (Affiliate Link) auf dem Tisch liegen haben und immer wieder miteinander ins Gespräch kommen, spüre ich eine starke Entlastung. Und ich bemerke, dass mein schlechtes Gewissen kleiner wird. Es liegt nicht an mir, wenn es hier mal wieder chaotisch zugeht. Es ist nur allzu menschlich, dass eine Person alleine nicht in der Lage ist, die emotionale Arbeit für alle anderen zu machen und dabei selbst zufrieden zu sein. Lass uns gemeinsam dafür eintreten, dass diese „Besorgtheits- und Organisationsplackerei“ (Hartley, S. 27) nicht mehr nur Frauensache ist. Ich bin mir sicher, dass sich dann in Sachen Gleichberechtigung richtig viel tun kann.

Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

Ps.: Das Buch von Gemma Hartley „Es reicht! Warum Familien- und Beziehungsarbeit nicht nur Sache der Frau ist“ (Affiliate Link) sollte auf allen Nachttischen liegen. Lies es unbedingt, es öffnet die Augen, tut gut und ist ein guter Schritt in Richtung Gleichberechtigung.

 

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