Die Leidenschaften von Kindern fördern

Wahre Leidenschaft kennt keine Grenzen

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie genervt die Kindergärtnerinnen waren, als Jimmy mit zweieinhalb Jahren eine außerordentliche Leidenschaft für Straßenbahnen entwickelte. Den ganzen Vormittag deklinierte er die Haltestellen der Stadtbahn U9 von Hedelfingen bis Vogelsang durch und machte die passenden Geräusche der Türen inklusive wilder Gestik, wenn sie sich vor Anfahrt der Bahn wieder schlossen: Tschhhh-Bah. Klingt niedlich, aber kann wahrscheinlich beim 150. Mal nerven. Oma und Opa hingegen ermöglichten dem Enkelchen, seine Leidenschaft in aller Breite auszuleben. Zu Weihnachten schenkten sie ihm eine 50 cm lange Modell-Straßenbahn von Dickie, besuchten jeden zweiten Sonntag das Stuttgarter Straßenbahnmuseum und saßen stundenlang mit Jimmy am Hauptbahnhof, um alle einfahrenden Bahnen mit großem Hallo zu begrüßen.

Straßenbahn Leidenschaft

Großeltern sind wunderbar

Na klar, so ein Aufwand machen nur Großeltern. Aber Jimmy hat es geliebt, das könnt ihr euch denken. Genau so wie er es geliebt hat, mit Oma vor der Kaffeemaschine zu sitzen und auf den Espresso-Knopf zu drücken, woraufhin dieses wundersame Zauberding erst rumpelte, dann surrte und zuletzt dampfende, heiße Flüssigkeit ausspuckte. Omas Hände zitterten nach Enkelchens Besuch wie Espenlaub – kein Wunder,  mit fünf bis sieben starken Kaffees intus. Aber Jimmy war so begeistert von Kaffeemaschinen und lebte diese Leidenschaft vor allem bei den Großeltern aus.

Wenn wir für etwas brennen

Nun könnte man fragen, ob man so ein Theater veranstalten muss, wenn Kinder sich für etwas interessieren. Ganz klar ja, wenn einer Oma oder Opa ist. Eltern haben leider meist nicht die Nerven oder die Zeit, 12 Stunden am Tag die einzelnen Leidenschaften ihrer Kinder so zu bedienen. Aber im Rahmen der Möglichkeiten plädiere ich ganz klar dafür, die Kinder in ihren Interessen zu unterstützen, und zwar unter anderem aus folgendem Grund:

Die Lebenskrise

Freunde in meinem Alter kommen schon mal in eine Lebenskrise, die oft mit dem Beruf zu tun hat. Sie sehen keinen Sinn in ihrer Tätigkeit, schlagen sich herum mit Umschulungs-Ideen oder grübeln darüber nach, auszuwandern und eine Strandbar in Perth zu eröffnen. Oft wenden sie sich dann an einen Coach, der im Zusammenhang mit der 30er-Lebenskrise danach fragt, wofür der gelangweilte Banker oder die frustrierte Controllerin denn als Kind „gebrannt“ hat. Denn oft ist es dieses „Brennen“ für etwas, eine Sache, einen Menschen oder eine Initiative, die wir im Leben vermissen, wenn wir unsere Tun sinnentleert empfinden. Es sei dahin gestellt, ob eine berufliche Tätigkeit immer mit absolute Leidenschaft ausgeführt werden muss. Manchmal reicht es zu wissen, dass wir eine ehrenwerte Tätigkeit ausführen, die zumindest Brot, Butter und Miete bezahlen lässt. Grundsätzlich finde ich es aber äußerst notwendig zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn wir für etwas brennen. Ob es das Hobby Handball, Tierschutz, Landespolitik oder die Briefmarkensammlung ist. Denn wir tun Dinge am liebsten, wenn wir sie lieben. Und wenn wir wissen, was wir lieben, kennen wir uns selbst besser. Wenn wir uns selbst kennen, ist es viel einfacher, glücklich zu sein.

Im Rahmen unsere Möglichkeiten

Aus diesem Grund unterstütze ich die Leidenschaften meiner Kinder, so gut es nur geht, und bin froh, dass es sich bei Jimmy nun um Fußball und bei Luise um Pferde handelt. So lange Oskar sich nicht für den hiesigen Schützenverein interessiert, Nerf-Guns sammeln oder in seiner Freizeit Wild schießen möchte, bin ich auch bei ihm zu jeder Schandtat bereit. Die Rahmen unserer Möglichkeiten sehen wie folgt aus: Wir ertragen Fußball von morgens bis abends und zwar in Form von Tischkicker, Bundesligatabellen, Kicker-Abo, Sportschau am Samstagabend, stets einen Ball plus Schiedsrichterausrüstung in der Tasche und Trikots statt hübscher Kinder-T-Shirts. Bei Luise ist es das gleich in grün, äh, Pferd. Wir nehmen nie weniger als drei Plüschpferde mit, streicheln jeden Gaul, der uns vor die Nase läuft, wiehern gemeinsam, gucken, hören und spielen Bibi&Tina, bis uns das Hexhex aus den Ohren kommt. Und ich selbst habe sehr bereichernde Erfahrungen mit den Leidenschaften meiner Kinder gemacht: am Sonntag waren Jimmy und ich das erste Mal live beim VfB Stuttgart in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena. Als wir zwischen 60.000 jubelnden Menschen standen, die Ultras die Fahnen schwangen, Metallica aus den Boxen drang und Jimmy wie gebannt auf den Rasen starrte, da war es mir, als hätte ich Tränen in den Augen.

Den Wunsch nach einem Sky-Abo werden wir Jimmy nicht erfüllen, aber ins Stadion begleite ich ihn auf der Stelle wieder. Wunderbar und rührend war außerdem, als Luise bei ihrem ersten Pony-Spaziergang so stolz und schön auf ihrem Mini-Shetti Billy saß, dass es eine Wonne war. Ich hatte vor ein paar Jahren mit Pferden und Fußball nichts am Hut, nun denke ich darüber nach, mir das VfB-Logo in den Nacken tätowieren zu lassen und überlege, ob der Balkon groß genug für ein weißes Canadian Horse ist. Ihr seht, die Leidenschaften der Kinder können auch unser eigenes Leben bereichern, wir müssen es nur zulassen, offen gegenüber Neuem sein und den Funken auffangen, der ein Feuer entfacht.

Kinder und ihre Leidenschaften

Oma und Opa haben es natürlich mal wieder übertrieben: den hübsch gepflegten Garten zieren jetzt zwei gigantische Fußballtore, obwohl Opa einst als schlimmster Vfb-Hasser der Stadt bekannt war. Oma war erst neulich mit Jimmy bei einer Stadionführung auf den Spuren seiner Idole inklusive dem Erwerb eines neuen Trikots und Fahne für den kleinen Mann mit der großen Leidenschaft. Außerdem bastelt Opa an einem Gaul aus Holz, auf dem Luise ihre Voltigierübungen vollführen kann, und hat ihr eine Pony-Spaziergang-Flatrate besorgt. Großeltern sind schließlich wie Eltern, nur mit Puderzucker!

Pferde Leidenschaft

Und ihr, welche Leidenschaften habt ihr durch eure Kinder neu entdeckt?

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