Ja- und Nein-Sager
Als Neumutter und Babyanfängerin stand ich vor ein paar Jahren nicht selten vor einem brüllenden Winzling mit hochrotem Kopf, der sich den Zorn über die Anwesenheit in dieser fürchterlichen Welt aus dem Herzen schrie. Auf der Welt sein war doof, Schlafen war doof, Anziehen war doof, Wickeln war doof, Kinderwagen war doof…. Den Alltag empfand Jimmy als reine Zumutung, die Person, die sich Mama nannte, entpuppte sich als Fehlbesetzung und die ständige Teilnahme an Krabbelgruppen, Massagen, Osteopathie-Sitzungen und sonstigem Säuglings-Hokuspokus empfand er als reine Schikane. Hätte er sprechen können, hätte er den lieben langen Tag „Nein, nein, nein!“ geplärrt, konnte er aber nicht. Also blieb ihm nichts übrig, als eine Grimasse zu ziehen und sich mit grellen Schreien sämtlichen Beruhigungsversuchen von Seiten der inkompetenten Möchtegern-Mutter zu erwehren.
Ich, verunsichert, deprimiert und manchmal auch wütend, war auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Nun suchte ich, so wie Mütter es heutzutage machen, die Schuld bei mir. War ich nicht gut gelaunt genug, um Jimmy vom himmlischen Dasein hier auf der Erde zu überzeugen? Lag es an meinem von Schlafmangel getrübten Antlitz oder sang ich die Schlaflieder nicht inbrünstig genug?
Nach Recherchen im Internet war klar: nur daunerdes Stillen und Getragen werden und völlige Selbstaufgabe seitens der Mutter konnte ein sogenanntes Schreibaby beruhigen, man solle gefälligst die Zähne zusammen beißen und bei weiteren Fragen Hebamme, Laktationsberaterin oder Tragetuchexperten kontaktieren. Leider war ich mit der Lösung nicht einverstanden und suchte Rat bei meiner Krabbelgruppe.
Wir trafen uns montags und jede Mama legte ihr lachendes oder schlafendes (meist beides gleichzeitig) Baby auf die Decken und nahm sich ein Schälchen Studentenfutter und eine Tasse Fencheltee, um sich die nächsten zwei Stunden über die neuen Weltbewohner zu unterhalten. Ich dagegen tigerte mit dem greindenden Jimmy durch den Raum, wiegte ihn hier, rüttelte ihn da, und hörte mir seine Hasstiraden auf das Dasein an. Mir war klar: die anderen Mütter waren vermutlich gutmütiger und nervenstärker als ich, die mittlerweile jede zweite Nacht den kleinen Brüllbär auch mal wüst beschimpfte. Kein Wunder, dass er auf diese trübe-Tassenfrau keine Lust mehr hatte.
Heute, nach dreieinhalb Jahren und einer weiteren Babyerfahrung mehr, kann ich nur sagen: es gibt zwei Arten von menschlichen Wesen: die Ja-Sager und die Nein-Sager. Jimmy kann zwar jetzt sprechen, sein meist benutzes Wort ist aber bis heute „NEIN!“
Er sagt grundsätzlich Nein zu jeder Art von neuer Kleidung, von Schuhen bis zur Jacke. Er sagt Nein zu Essen, das nicht aus Schokolade oder Dampfnudelteig besteht, Nein zum Aufwecken und Nein zum Schlafengehen. Hätte ich gewusst, dass das eine Tatsache ist, und keine Fehlerziehung meinerseits, hätte ich mir damals keine weiteren Gedanken gemacht und die Schuld nicht auf mich geschoben.
Der Beweis kam mit der Ankunft meiner Tochter. Denn die sagte sofort Ja! Ja zu Säuglings-Belustigungsgruppen, Ja zum Kinderwagen und Ja zu allen anderen Dingen, an denen sie sowieso nichts ändern konnte. Wenn ich sie heute vom Kindergarten abhole und etwas frage, sagt sie mit ihrer lustigen Kleinkindstimme „jaaaa“. Das könnte vielleicht daran liegen, dass sie noch nicht so viele andere Wörter kann, aber „nein“ ist in ihrem Repertoire enthalten. Luise ruft sogar voller Freude „Jaaa!“, wenn wir sie fragen, ob sie zu Mittag Kieselsteine mit Schneckensoße gegessen hat. Das findet dann auch Jimmy lustig.
Es ist einfach eine Lebenseinstellung des Einzelnen, und manchmal kann man da nicht viel machen. Wer jetzt denkt, ich mag nur Ja-Sager und bin empört über den Pessimismus meines Sohnes, der liegt total falsch. Denn bei Ja-Sagern besteht auch die Gefahr, dass sie mit Fremden mitgehen, sich später der FDP anschließen oder fünf Mal heiraten. In Jimmy hingegen sehe ich einen künftigen Revolutionär, einen Antikriegsgegner oder den künftigen Betriebsratsvorsitzenden einer Weltfirma.