Warten unsere Kinder darauf, dass wir ihnen das Sitzen beibringen? Das Laufen? Das Sprechen? Aber vielleicht das Schlafen…? Nein, wir sind als Eltern nicht die Entwicklungsabteilung unseres Kindes. Wir begleiten unser Kind auf seinem Weg, wir geben ihm Geleitschutz und Proviant für Laib und Seele. DAS ist unsere Aufgabe. (Schlaf gut, Baby! S. 203)
Schlaf gut, Baby! Heißt das neue Buch von meinem Lieblingsratgeberautor, dem Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster. Im Rahmen eines Vortrags, den ich für eine Elternzeitschrift vor einem Jahr besucht habe, konnte ich ihn kennenlernen und war von seiner Sichtweise auf Erziehung, Eltern und Kinder schwer beeindruckt. Nun also hat der vierfache Vater gemeinsam mit Nora Imlau, Journalistin und Mutter von zwei Kindern, ein Schlafbuch geschrieben, das ich mit dieser Rezension allen Vätern und Müttern ans Herz lege, die mit Kinderschlaf so ihre Schwierigkeiten haben. Der GU-Verlag hat es mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Mein Kind möchte nicht einschlafen
Vermutlich gibt es auf der Welt kein Elternpaar, das nicht mindestens einmal genau vor diesem Problem stand. Egal ob Säugling, Klein- oder Schulkind – irgendwann beginnt es immer, schwierig zu werden mit dem Schlummern. Und nach was sehnen sich müde Mütter mehr als nach einem sanft schlafenden Kind?
Wir sind mit Jimmy momentan sehr verwöhnt. Denn nach der anstrengenden Säuglingszeit schläft das Kind seit mehr als drei Jahren in seinem eigenen Bett, und zwar von abends 20 bis morgens 8 Uhr. Es war nicht immer so erholsam für uns: In seinen ersten acht Monaten hatte er alle zwei Stunden Hunger und im ersten viertel Jahr schlief er nur im Kinderwagen ein. Diesen mussten wir jeden Abend 5 Stockwerke in unsere Altbauwohnung tragen und dann in einer ganz bestimmten Art und Weise hin und her schubsen, bis das Kind endlich und für höchstens 120 Minuten einschlief. Noch dazu schlummerte Jimmy auf dem Bauch und dank beständiger Warnung vor plötzlichem Kindstod seitens aller möglicher Mitmenschen prüfte ich im 10-Minuten-Takt, ob das Baby noch atmete. Kein Wunder, dass ich manchmal einfach nur schockiert war, als ich realisierte, was es bedeutet ein Kind zu haben: nie mehr genüssliche 10 Stunden pro Nacht in meine Kissen zu versinken! Ein Alptraum…
Bei Luise war ich schon auf diesen Umstand eingestellt, das machte alles einfacher. Und Anton und ich lachten uns ins Fäustchen, als das Mädchen mit acht Monaten im eigenen Gitterbettchen schlief und uns beim abendlichen Einsingen auf dem Arm deutlich machte, dass wir sie doch jetzt bitte ablegen, die Klappe halten und rausgehen sollten. Tja, zu früh gefreut: Seit Luise ein Jahr alt ist, schläft sie keine Nacht durch, sondern wacht wie ein Uhrwerk um 23:30 Uhr auf und schläft ohne Papa an ihrer Seite nicht mehr ein.
Im Buch heißt es: Schlaf lässt sich nicht planen, nicht machen, nicht erzwingen. Wir können das nur bestätigen. Was wir auch bestätigen können ist, dass jedes Kind anders tickt und sein Schlafverhalten in den allermeisten Fällen nichts mit dem Verhalten der Eltern zu tun hat. Weder sind diese zu inkonsequent, noch zu nachlässig. Und alleine schlafen ist eine Hürde, die die wenigsten Kinder so einfach nehmen. Was sie brauchen ist Sicherheit und Geborgenheit, um Vertrauen in die Welt aufzubauen, in die sie dann irgendwann ganz alleine aufbrechen.
Das Bedürfnis nach Nähe ist kein Selbstzweck. Nähe ist Nahrung und Proviant für das, was den Kindern von der Evolution in jede Faser geschrieben ist: ihre Entwicklung. (..) Sie wollen genau so viel haben, dass sie genug Mut haben für die vielen Abenteuer des Großwerdens. (S. 48)
Der Inhalt von „Schlaf gut, Baby“
Die Autoren erläutern im ersten Teil, Warum Kinder anders schlafen, wie der kindliche Schlaf zustande kommt und warum er eben anders ist als bei uns Erwachsenen. Und wie bei Renz-Polster üblich erklärt er dies mit der jahrtausend alten Menschheitsgeschichte. Kinder sind genetisch darauf gepolt, sich nachts in der Nähe der Erwachsenen zu wissen. Ein Baby in der Steinzeithöhle wäre alleine schutzlos ausgeliefert und vermutlich schnell von einem Bären verschnurpst worden. Kein Wunder, dass sie auch heute nicht alleine sein wollen. Das heißt nicht, dass wir unser Leben nun so führen müssen, wie der Australopithecus. Jeder muss seinen Weg gehen. Und jeder geht mit seinem Gepäck, mit seinem Kind, seinen Ideen, seiner Denke (..) (S. 20)
Zumindest ist nach diesem Kapitel klar, wie die Babys ticken. Und nun stellt sich einfach die Frage, wie wir Eltern damit umgehen. Und hier kommt ein großer Vorteil des Buches ins Spiel. Nie erheben die Autoren ihre Zeigefinger und weisen Eltern an, dies oder jenes zu tun oder zu lassen. Ihr Argument lautet alle Zeit: es muss eine Lösung gefunden werden, wie alle glücklich werden. Kinder brauchen Nähe, Schlaf, Geborgenheit. Aber Eltern brauchen auch Schlaf. Außerdem brauchen sie dringend Ruhe und gute Nerven. Was hilft es einem Kind, das allzeit an die Mama gekuschelt liegt und jederzeit gestillt wird, wenn die Mutter dafür am Stock geht?
Weiter geht es mit Eine Begegnung mit Ängsten, Mythen – und uns selbst. Hier erläutern die beiden Autoren, warum die Angst vor dem Verwöhnen der Kinder unbegründet ist, gerade was den Schlaf betrifft. Im Kapitel Was uns Mut machen kann wird beschrieben, dass es nicht den einen, richtigen Weg gibt, wie Kinder schlafen erlernen können. Viel sinnvoller sei es, sich darum zu kümmern, den Stress um das Thema zu reduzieren. Wie kommen alle Familienmitglieder zu möglichst viel Schlaf und Ruhe? Und welche „Zutaten“ können dabei helfen? Kritisch erwähnt wird auch die „Materialschlacht“ um das Thema Einschlafen: die vielen Methoden, um zum Ziel zu kommen, die „Rummelbuden um das neueste Schlangenöl“, Therapien und Ambulanzen, „Knochenausrichtern und Babyflüsterern“ – garantiert wirksam, so sagten es zumindest die Erfinder.
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich dies unterstreichen. Ich habe mich viel beraten lassen, beim Osteopathen nachgefragt, eine Schreiambulanz besucht, Bücher verschlungen, Hebammenratschläge befolgt, und vieles hat MIR gut getan, weil ich Trost und ein offenes Ohr vorfand. Letztendlich haben es immer nur wir selbst geschafft, UNSER KIND zum Schlafen zu bringen: mit ruhigen Nerven, Geduld, einer streichelnden Hand und vor allem mit der Voraussetzung, dass es uns Eltern gut geht, wir einigermaßen ausgeschlafen sind und uns einfach mit der Situation abfinden: Kinder schlafen anders als wir!
In Warum wir gegen Schlaftrainings sind schreiben die Autoren gegen den Sinn solcher Methoden an und erklären ganz logisch, warum es nicht funktionieren kann, das Kind brüllend im Bett zu lassen. Auch ich habe das mal ausprobiert und Luise einfach mal brüllen lassen. Aber es klappt nicht, sie brüllt dann einfach nur ganz, ganz, ganz lange. Ich fühle mich schlecht und habe am Ende immer Anton Recht gegeben, der sagte, es sei besser noch einmal zu ihr zu gehen, um sie zu beruhigen. Sinnig lautet die Erklärung für das Scheitern der Schreien-Lassen-Methode: Erfüllte Bedürfnisse verschwinden mit der Zeit. Unerfüllte aber kehren immer wieder zurück. (S. 137) Das kann ich mit meinem Schokoladenkonsum nur bestätigen!
Im Folgenden wird aufgezeigt, was für den Schlaf der Kleinen wichtig ist und wie die Reise ins Land der Träume gelingt. Übrigens lautet hier nicht die Devise, dass nur die Mama die Kinder ins Bett bringen kann. Laut Verhaltensforscherin Sarah Blaffer Hrdy seien Menschenbabys überhaupt nicht so mutterbezogen, wie uns die klassische Bindungstheorie glauben mache. (S. 114). Und die Autoren haben eine gute Nachricht für erschöpfte Mamas: wer einfach mal eine Runde zum Sport möchte, der lege das Baby vertrauensvoll in Papas Hände. Und der möge bitteschön bei Protest seitens des Zöglings die Mama nicht vom CrossTrainer runter-telefonieren, sondern durchhalten und dem Baby beistehen. Denn es braucht auch seinen Papa mehr, als dieser in diesem Moment glauben möchte.
Enthalten ist im Buch im weiteren Verlauf ein Notfallplan für ganz müde Eltern und es endet mit Ratschlägen zum Thema Familienbett und ein paar neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen um das Horrorthema plötzlicher Kindstod.
Nach Lösungen suchen, die für alle passen
Die Autoren formulieren einen Glaubensgrundsatz, der meiner Meinung nach sehr schön und zutreffend ist, nicht nur, was den Schlaf angeht:
Wir glauben nicht daran, dass sich Kinder auf zukünftige Härten und Anforderungen vorbereiten, indem sie sich schon früh an Härten und Anforderungen die Zähen schärfen. Wir glauben an das Gegenteil: Das gelungene Hier und Jetzt macht Kinder stark.
Mein Lieblingstipp der Autoren lautet: Wer abends dringend seinen Feierabend braucht, der setzt sich doch einfach ans Kinderbett, hält eine Hand und daddelt mit dem Smartphone rum, liest Elternblogs (wie meinen :-), informiert sich über neue Soundsysteme (würde Anton tun) oder schaut nach der Bundesligatabelle. (S. 135) Klang für mich erst unerhört, aber fasst zusammen, was die Autoren sagen möchten: Kinder brauchen diese Nähe, und das Beste ist, wenn Eltern diese geben können. Aber Eltern müssen sich auch um sich selbst kümmern. Alternativen finden, Kompromisse schließen, schauen, dass alle im Moment so zufrieden wie möglich sind, ist auch für uns die richtige Lösung. Übrigens können Eltern neben dem Kinderbett auch meditieren, mit dem Kopfhörer Musik hören oder netflixen.
Familie ist ein System und kann nur funktionieren, wenn es allen Beteiligten möglichst gut geht. (S. 119)
Mit diesem schönen Satz beende ich meine Rezension und empfehle das Lesen dieses Buches uneingeschränkt. Gute Nacht, liebe Eltern. Und schlaft gut!