Die dumme Juliana oder die Geschichte von einem Mann, der es endlich kapiert hat

Eine Clownsgeschichte

Es war einmal eine Familie. Die Familie hatte vier Mitglieder: Den dummen Julius, die dumme Juliana, den Julo und die Jula. Sie wohnten gemeinsam in einem großen, gemütlichen Bauwagen. Außerdem waren da noch der Hund Poppel, die Katze Samira und ein Papagei, der Lora hieß. Der Bauwagen war nagelneu, gehörte zu einem großen Zirkus und stand zwischen dem Elefantenhaus und dem Tigerkäfig.

Jeden Tag trat Papa Julius im Zirkus auf. Er war ausgebildeter Clown, hatte lange studiert und am Ende sogar noch eine Promotion drauf gesetzt. Deshalb war er auch so gut, dachte er. Und tatsächlich erhielt er jeden Tag viel Applaus von seinem Publikum. Seine Show war äußerst beeindruckend: er machte Saltos, lief auf den Händen, ritt auf einem Elefanten und blies auf seiner Mundharmonika. Manchmal fing er Streit an mit dem Zirkusdirektor oder stellte dem Eisverkäufer ein Bein. Dann stolperte er selbst und fiel auf die Nase. Die Zuschauer klatschten und lachten und riefen: was für ein einmalig toller Doktor Julius, ein Bild von einem Mann, den muss man einfach gesehen haben. Wenn Julius dann müde, aber glücklich über all den Beifall nach Hause kam, legte er sich auf das Sofa, nahm sein Smartphone aus der Clownshose, las Nachrichten und schaute sich neue Clownsschuhe im Online-Versandhaus an.

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Aber was tat die dumme Juliana in der Zwischenzeit? Sie machte Julo und Jula das Frühstück, brachte sie in den Kindergarten, kümmerte sich um den Haushalt, backte Kuchen für die Weihnachtsfeier, kaufte Klopapier, verteilte kiloweise frische Wäsche in die Kleiderschränke und verdiente in ihren kurzen Pausen, die sie manchmal hatte, mit selbst genähten Kindersachen ein paar Taler für das Haushaltsgeld dazu. Außerdem musste sie für die ganze Juliusfamilie kochen, und zwar nachhaltig und vegetarisch, denn darauf legte Clown Julius viel wert. Sie spülte abends die Teller, machte noch sauber und brachte die Kinder ins Bett, weil Julius von seiner Clownsshow einfach zu müde war.

Wenn sie selbst endlich im Bett lag, hörte sie vom Zirkuszelt die Leute lachen. Dann träumte sie ein wenig von einer eigenen Karriere als Clown. Schließlich hatte auch sie eine staatlich anerkannte Ausbildung absolviert, und war immer gerne aufgetreten. Aber seit die Kinder da waren und ihr einfach keine Zeit mehr blieb, um sich eine sensationelle Show auszudenken, war Julius viel erfolgreicher. Und wer erfolgreicher ist, bringt mehr Taler nach Hause. Und wer mehr Taler nach Hause bringt, der geht arbeiten. Schließlich muss der schöne, neue Bauwagen abbezahlt werden, das war der dummen Juliana natürlich klar.

Aber als sie eines Tages mit ihrem Mann darüber sprach, da hat er gelacht. „Nee, nee, nee, ich habe neun Jahre Clownsein studiert, heiße mit vollem Namen Doktor Clown Julius, bringe jeden Monat siebenhundert Taler nach Hause und werde wohl im nächsten Jahr zum Chef-Clown aufsteigen. Kümmer du dich mal lieber um die Kinder. Du bist die Frau, du gehörst in die Küche, du besuchst die Elternabende im Kindergarten, du musst packen, wenn der Zirkus umzieht, und du musst dich um die Geschenke für die Clownsfamilie kümmern. Da bleibt keine Zeit, um eine so sensationelle Clowns-Show auszudenken, wie ich sie jeden Abend abziehe.“

Und es wäre alles beim Alten geblieben, wenn nicht der dumme Julius eines Tages schreckliche Knieprobleme bekommen hätte. An einem Montag im November war es so schlimm, dass er nicht auftreten konnte, und zum Orthopäden um die Ecke humpelte. Das Wartezimmer war so voll, dass er vier Stunden sitzen musste, bis er dran kam.

In der Zwischenzeit fing im Zirkus die Vorstellung an, und der Direktor klopfte aufgeregt an Julianas Bauwagen, die gerade damit beschäftigt war, die Adventskalender der Kinder zu füllen. „So geht es aber nicht“, schimpfte er. „Was sagen wir bloß den Leuten, wenn Doktor Julius nicht auf der Stelle in der Manege auftaucht? Schließlich haben sie viel Geld bezahlt, um ihn zu sehen!“ Die dumme Juliana hat sich die Vorwürfe des Direktors angehört und dann gesagt: „Kein Problem, ich weiß eine Lösung!“ Sie hat sich in null komma nix ihre Clowns-Klamotten angezogen, ist rüber zum Zirkus gerannt und hat inmitten der Manege durchs Mikrofon gebrüllt: „Verehrtes Publikum, der dumme Julius hat Knieschmerzen. Deshalb sehen Sie heute die einmalig dumme Juliana mit ihrer sensationellen Show“

Und dann zeigte sie alles, was sie konnte: sie schlug sieben Saltos hintereinander, sie ritt auf einem weißen Löwen, spielte ein Brahms-Stück auf der Violine, geriet mit dem Zirkusdirektor in einen Streit, fiel über ihre Clownsschuhe und landete auf der Nase. Die Leute waren außer sich und klatschten im Stehen, vier Minuten lang. Der dumme Julius war inzwischen von seinem Arztbesuch heimgekehrt, stand hinter dem Vorhang und traute seinen Augen nicht. „Bravo“, rief er, „du bist ja großartig, geliebte Juliana!“

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An diesem Abend, Ende November, saßen der dumme Julius und die dumme Juliana noch lange vor ihrem wunderschönen Bauwagen. „Weißt du was, Juliana, ich habe mir etwas überlegt. Ab heute teilen wir uns die Aufgaben gerecht auf. Du bist ein ebenso wunderbarer Clown wie ich. Und auch wenn ich ein paar Taler mehr verdiene  – darauf kommt es im Leben eigentlich gar nicht an. Wichtig ist, dass du glücklich bist. Denn nur wenn du glücklich bist, sind es die Kinder und ich auch. Deshalb werde ich den Direktor um eine 50 %-Stelle bitten, und du kannst dich bei ihm als Clown bewerben. Ich unterstütze dich im Haushalt und mit den Kindern. Zwar wäre ich wirklich gerne Clowns-Chef geworden, aber wenn du dafür so viel zurückstecken musst, verzichte ich lieber. Schließlich wollten wir beide Kinder haben. Und unseren wunderschönen Bauwagen zahlen wir irgendwann schon ab, denn gemeinsam schaffen wir alles.“ Nach dieser bewegenden Rede gab Juliana ihrem Mann einen dicken Kuss.

Diesen Text schrieb ich frei nach Otfried Preußlers „Die dumme Augustine“. Das zauberhafte Bilderbuch gehört in das Buchregal aller Kinder, ob männlich oder weiblich, damit unsere Söhne und Töchter später einmal gleichberechtigt leben können. Ich widme die Geschichte meinen lieben Clowns-Freundinnen und Clowns-Mitmüttern, die sich tagtäglich abrackern und die wertvollste und schlecht bezahlteste Arbeit leisten, die es gibt: sich um andere Menschen zu kümmern. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um minderjährige Blutsverwandte.

Außerdem schrieb ich diesen Text für Clown Anton, der das alles schon lange kapiert hat, sowie für alle anderen Clowns, die ihre Frauen nach Leibeskräften unterstützen.

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