Familie

Aus der Traum vom Haus? Gentrifizierung und ihre Folgen

Ab in die Pampa – Gentrifizierung Stuttgart

Über das Wort Gentrifizierung habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Nun aber ist das Wort auch in meinem Sprachgebrauch angekommen, und das kam so: „Ganz hübsch, oder?“, sage ich mit banger Stimme, als wir mit dem Auto an idyllischen Weinbergen entlang fahren. „Aber auch ganz schön abgelegen“, kommentiert Anton. „Und ich brauche mindestens 50 Minuten bis zur Arbeit, wenn wir hier wohnen.“ Ich habe einen Kloß in Hals bei dem Gedanken, das könnte unser neues Zuhause sein. Aber ich will die Stimmung nicht noch schlechter machen: Wir schauen uns das Örtchen und das Haus einfach mal an, ganz ohne Vorbehalte. Vielleicht fühlen wir uns gleich wohl?

Tun wir nicht! Wir finden ein zugebautes Wohngebiet auf einem Hügel, ziemlich weit entfernt von dem kleinen Örtchen, von Schule, Supermarkt, Apotheke, Bücherei. Schnell wird uns klar, was sich eigentlich schon bestätigt hat: wir wollen nicht am Ende der Welt wohnen. Wir möchten nicht zwei Stunden pro Tag auf Papa verzichten, weil der ewig zum Büro unterwegs ist. Ich möchte zu meinen Redaktionskonferenzen in Stuttgart keine kleine Weltreise antreten. Wir wollen nicht ins Auto steigen, wenn wir noch eben Milch oder Fieberzäpfchen wollen. Wir möchten, dass uns Freunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln besuchen kommen können. Ich brauche schnelles Internet zum Arbeiten und die Kinder irgendwann einen Schulweg, der mit dem Fahrrad zu bewältigen ist. Aber die Gentrifizierung ist auch in Stuttgart angekommen und macht Wohnraum für Familien unerschwinglich.

Wir wollen hier bleiben

All das haben wir hier, in einem Örtchen mit Verkehrsanschluss. Überhaupt ist es hier ganz wunderbar, wir fühlen uns wohl, haben alles was wir brauchen. Nur auf eines müssen wir verzichten: auf genug Platz. Und deshalb suchen wir seit geraumer Zeit nach einem kleinen Häuschen, in dem Luise als Pferdchen durch die Gegend galoppieren und Jimmy auf einem Rasenstück, und sei es noch so winzig, Fußball spielen kann. Es sind luxuriöse Sorgen, ich weiß. Aber uns fällt die Decke auf den Kopf, denn die Kinder haben den unbändigen Drang zu rennen, zu hüpfen, Ball zu spielen und Flummis flitzen zu lassen. Das geht aber nur sehr begrenzt, denn wir wohnen in einer Wohnung im zweiten Stock. Also ermahne ich Jimmy und Luise mindestens 10 mal täglich, leise zu sein. Wir gehen raus, so oft wir können, aber wir gehen uns dennoch auf den Geist – vor allem dann, wenn die Kinder Besuch haben. Dann trampeln acht Beinchen durch die Zimmer, spielen Fangen und Verstecken, rufen, lachen und fallen hin. Dabei hätte das Baby genau wie die Nachbarn gerade jetzt gerne ein wenig Ruhe. So verhindert die Gentrifizierung in Stuttgart, dass Familien passenden Wohnraum finden.

Gentrifizierung Stuttgart

Gentrifizierung und ihre Folgen für Familien

Einst sind wir aus Stuttgart hier her gezogen, denn die Mieten sind dort extrem sehr hoch. Die Wohnung abseits der Stadt schien perfekt für Anton, Baby Jimmy und mich. Nun sind wir fünf, ein Zimmer benötige ich zum Arbeiten, ein Stockbett passt nicht unter die Dachschrägen. Und so suchen wir ein neues Zuhause. Wer den Immobilienmarkt kennt, weiß, dass das nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist. Wohngebiete mit S-Bahnanschluss nach Stuttgart sind der Renner und so stiegen in den letzten Jahren die Preise von „huch, teuer“ bis zu „sch…unbezahlbar“. Also gucken wir mittlerweile nach Häusern somewhere over the rainbow. Wer denkt, dass diese dann einigermaßen zu finanzieren sind, der erschreckt angesichts des halben Milliönchens, das für ein kleines Reihenhaus in der Pampa hingeblättert werden muss.

Ich folgere daraus, dass sich normalverdienende Familien ein eigenes Haus in Stadtnähe kaum noch leisten können. In die abgelegenen Orte zu ziehen hat für viele Menschen aber zahlreiche Folgen. Nicht nur, dass sie bei einem Umzug viel Liebgewonnenes aufgeben. Sondern die Arbeitswege werden noch länger, die Kinder müssen überall hin mit dem Auto gefahren werden. Krankenhäuser und Ärzte für Notfälle sind weit weg, Telefon- und Internetanbindung ist noch immer schlecht. Was ich noch daraus folgere: Familien, die nicht über ein mittelmäßiges Einkommen verfügen, können von solchen Luxusproblemen, wie wir sie haben, nur träumen. Sie denken nicht an einen Garten zum Kicken oder Ruhe für das Baby. Sie denken an Arbeitswege unter drei Stunden, an bezahlbare Zweizimmerwohnungen, an Busse, die nur einmal die Stunde fahren, und das auch nur bis 20 Uhr am Abend.

Das Ende vom Lied

Die Mittelschicht kann sich hier in Stuttgart und dem angrenzenden S-Bahn-Netz nur noch mit großer Mühe und hohen Schulden ein Häuschen leisten dank der Gentrifizierung, lautet meine Annahme. Deshalb ziehen Familien weg und fahren mit dem Auto in die Stadt. Die Straßen sind voll, es bilden sich immer längere Staus. Der Staat tut wenig bis nichts dagegen. In Baden-Württemberg wurde vor ein paar Jahren die Grunderwerbssteuer erhöht, eine weitere Steigerung wird diskutiert. In der Hauptstadt schießen die Luxusbuden in die Höhe, auch bei uns um die Ecke wurde gerade das zweithöchste Wohnhaus Deutschlands hochgezogen. Ich muss nicht erwähnen, was der Quadratmeter kostet… Sozialwohnungen dagegen sind Mangelware. Sie werden eher noch verkauft, privatisiert und für reiche Menschen aufgemöbelt.

Was bei so einer Entwicklung im schlimmsten Fall passiert, konnte man in der Zeitausgabe Nr. 38 nachlesen, im Artikel „Die armen Kinder vom Silicon Valley“: In den USA, im Zukunftslabor der IT-Branche, haben selbst gewöhnliche Menschen neben mehreren Jobs keine Wohnung mehr, weil die Mieten unbezahlbar geworden sind. In den schicken Wohnungen hausen jetzt die Mitarbeiter von Google und Co. Das ist natürlich für Stuttgart ein entferntes Szenario, aber die Weichen sind gestellt!

Ich hoffe, dass die Politik künftig mehr unternimmt, um Wohnen nahe der Hauptstadt auch Normal- bis Geringverdienern möglich zu machen und die Gentrifizierung in Stuttgart nicht weiter voranschreitet. Wie wäre es mit einem Bauförderungsprogramm für Familien, das sich wirklich lohnt? Das uns nicht mit einem Schuldenberg konfrontiert, den wir noch unseren Kindern vererben werden? Wie wäre es mit dem Bau von Sozialwohnungen im S-Bahnnetz, anstelle von Wohntürmen mit Hochpreisgarantie? Wir jedenfalls träumen weiter von einem Haus, in dem Jimmy toben, Luise galoppieren und Oskar in Ruhe schlafen kann. Und für das wir nicht unsere liebgewonnene Heimat verlassen müssen. Wie sagt Jimmys Opa immer so schön? Wünschen darf man sich alles!

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17 Comments

  1. Pingback: Gerne gelesen | September - Kinder haben ...und glücklich leben!

  2. Hallo Laura,
    Bin durch Zufall gerade auf deinen Artikel gestoßen.Da wir Verwandte in Frankfurt und Stuttgart haben,kenne ich die Situation etwas.
    Eine Gegend,die aber noch nicht angesprochen wurde,ist der Ruhrpott.
    Was hier los ist,hätte ich bei meinem Umzug vor 18Jahren nicht Mal erträumt.
    Während mein Vater in der norddeutschen Tiefebene noch über 40Euro pro Quadratmeter Schimpft,suchten wir 2Jahre lang nach bezahlbarem Wohnraum in Essen.Natürlich gerne in einer bürgerlichen,guten Lage.Kurz vor Ende unserer Nerven fanden wir dann nach 125Besichtigungen unser Haus… allerdings in Mülheim .
    Wenn du Mal Texte über bescheuerte Besichtigungen suchst,sag Bescheid.
    Liebe Grüße und gute Nerven!
    RonjaMama

    • Liebe Ronja, Wahnsinn, was ich hier für Rückmeldungen bekomme. Wo man hinschaut, die gleichen Probleme. Mein Vater kommt übrigens aus Essen, daher kenne ich die Gegend. Ich hoffe, ihr habt euch in Mühlheim gut eingelebt. 125 Besichtigungen ist echt ne Nummer…. Alles Liebe, Laura

  3. Pingback: Gerne gelesen | September

  4. Hallo Laura,
    ich kenn sowohl den Wunsch nach den eigenen Traumhaus als auch die Unerreichbarkeit (bei uns im Viertel liegt der Verkehrswert eines normalen Einfamilienhauses bei 1,3 Mio). Ich bin mir aber nicht sicher, ob mal Gentrifizierung dafür verantwortlich machen kann. Letzten Endes bestimmt die Nachfrage den Preis und schon aus den Kommentaren hier lässt sich ersehen, wie groß die ist.
    Normalerweise sagt man, dass 20 Jahreskaltmieten einer vergleichbaren Immobilie ein vernünftiger Kaufpreis sind – hier in München bewegen wir uns eher bei 50-60 Jahreskaltmieten und das ist ein gutes Indiz für eine Immobilienblase. Wahrscheinlich sollte man sich entspannt zurücklehnen, auf steigende Zinsen hoffen und warten, bis den Ersten die Anschlussfinanzierung um die Ohren fliegt.
    Liebe Grüße,
    David

    P.S.: Noch ein sehr interessantes Zeit-Dossier zum Sinn und Widersinn des Eigenheims: http://www.zeit.de/2015/51/immobilien-eigentum-wirtschaft-investition-berlin

    • Lieber David, das Dossier habe ich mit großem Interesse gelesen und stimme dir zu: es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Zinsen steigen und Anschlussfinanzierungen dann in vielen Fällen nicht mehr zu bezahlen sind. Leider haben wir keine Zeit, um uns 10 Jahre entspannt zurück zu lehnen. Entweder wir machen jetzt mit bei dem Irrsinn, oder begnügen uns mit einem Leben im Hasenstall. Auch das wäre machbar, da sind Kinder schon ganz anders und doch sehr glücklich groß geworden. Mir ist in der letzten Zeit auf jeden Fall die Lust auf ein Haus vergangen und Immoscout ist mir ein Dorn im Auge. Freu mich, euch bald zu sehen. Wir haben sicher eine Menge Diskussionsstoff. Alles Liebe nach München

  5. Ja das kenn ich leider auch. Wir wohnen auch in Stuttgart. Mit drei Kindern findet man keine Wohnung- entweder ist sie unbezahlbar oder die Vermieter sagen klipp und klar: euch wollen wir nicht (schon so erlebt). In unserer Verzweiflung haben wir die Nachbarswohnung dazugenommen, als die ausgezogen sind. Somit haben wir nun zwei kleine Wohnungen statt einer großen. An Eigentum ist gar nicht zu denken! Und wir sind bei Weitem nicht die Einzigen, denen es so geht.

  6. Wir haben letztes Jahr ein Reihenmittelhaus südlich des zweithöchsten Wohnhauses gekauft. War nie mein Traum, aber wir wollten unbedingt in F. bleiben. Zu einem bezahlbaren Preis haben wir das Haus aber nur bekommen, weil es meiner Großtante gehörte. Das ist nämlich so ziemlich der einzige Weg, wie man hier im Ort noch an Häuser kommt: (Verwandtschafts)Beziehungen.
    Wenn ich sehe, wie lange Freunde von uns schon nach Häusern oder wenigstens großen Wohnungen suchen, bin ich umso glücklicher, dass wir jetzt in unserer „Legebatterie“ wohnen 😉 (Nein, so schlimm isses gar nicht. Im Gegenteil: ich fühle mich überraschend wohl in unserer Reihenhaussiedlung und man hockt gar nicht so sehr auf den Nachbarn, wie ich befürchtet hatte.)

    Liebe Grüße, Tamara

    PS: Eine Freundin erzählte mir am Wochenende, dass im Lindle wohl einiges gebaut werden soll.

    • Liebe Tamara, bist du auch Bloggerin aus Fellbach? Ist ja toll… Und wer noch über Reihenhäuser schimpft, der lebt in einer anderen Welt. Wichtig ist ein Stücklein Garten, und wenn es nur ein paar Quadratmeter sind, und einen Raum, in dem kein Fremder drunter wohnt – pures Glück. Danke für den Tipp mit dem Lindle, ich höre mich mal um. Alles Liebe, Laura

      • Ja, ich wohne auch in Fellbach.
        Das Stücklein Garten sollte irgendwann (nächstes Jahr??) noch hübsch gemacht werden, aber kein Fremder drunter ist schon mal sehr hilfreich.

  7. Hach Laura, uns gehts genauso. Wir sind hin und hergerissen. Weiter raus aufs Land, günstiger (aber immer noch ziemlich teuer) und auf so Vieles verzichten, was wir jetzt haben? Der Gedanke daran fällt mir schwer. Andererseits weiß ich aus meiner Kindheit, wie toll das Leben auf dem Land sein kann.
    Ich hoffe ihr habt heute Lotto gespielt und gewinnt ordentlich was für ein Häuschen im Stuttgarter Raum 🙂

    • Liebe Jil, es tut so gut zu hören, dass es anderen Familien ähnlich geht. Ja, ein Lottogewinn wäre in der Tat ein Traum. Ich habe einfach gemerkt, dass ich hier nicht weg will. Und wir sind auch schon echt ein gutes Stück auf dem Land. Um uns rum Felder, Bauernhöfe, Wald…. es passt alles, außer die Immobilienpreise. Liebe Grüße und auch für euch alles Gute!

  8. Liebe Laura,
    ich fühle absolut mit Dir, wir hatten die selbe Situation vor 4 Jahren. Wir mussten aus Fellbach weg, weil der Platz einfach zu eng wurde. Nach sehr sehr langer, frustrierender Haus-Suche waren wir irgendwann zu Kompromissen bereit. Der ursprüngliche Anspruch an eine zentrale Lage, Bahn-Anschluss und einen Supermarkt, der fußläufig erreichbar ist, musste weichen. Nun leben wir in einem wunderschönen Neubaugebiet, nahe den Weinbergen und direkt am Feld. Mit vielen anderen Kindern in der Nachbarschaft, ohne Bahn-Anschluss und mit lediglich einem Bäcker im Dorf. Und was soll ich sagen.. Es könnte nicht schöner sein 🙂
    Ich drücke Euch die Daumen, dass ihr etwas Passendes für Euch findet.
    Gruß Caro
    P.S.: und hey, hier wird bald weiter gebaut 😉

    • Liebe Caro, das macht mir total viel Mut. Könntest du mir per Email schreiben, wo ihr genau wohnt? Alles Liebe, Laura

  9. Das tut mir sehr leid. Ich hab vor 7 Jahren eine Wohnung in Stuttgart gesucht und war da schon schockiert. In Leipzig geht es jetzt auch langsam los. Der Trend ist schon absehbar. Da die Gehälter immer noch unterirdisch sind, wird es in 10 Jahren wie in Stuttgart sein.

    • Ja, leider hat wohl jede größere Stadt in Deutschland mit dem Thema zu kämpfen. Schade, das Stadtbild und seine Bewohner sollte doch bunt gemischt sein, oder?

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