#CoronaEltern: Familien brauchen endlich Perspektiven!

Kinderschmerz

In der Kindergarten-WhatsApp-Gruppe werden gerade Filme geteilt, die einem ans Herz gehen. Die kleine Mia, drei Jahre, schluchzt in die Kamera: „Sofia, ich vermisse dich so.“ Sofia, das ist unsere Erzieherin. Immer gut gelaunt, liebt Kinder bis zum Mond und zurück und hat die tollsten Bastel- und Spielideen der Welt. Wann Mia und unser Oskar Sofia wiedersehen, ich ungewiss. Bis zum Sommer sollen die Kindergärten zu bleiben, viel mehr konnte man dazu in den Medien nicht lesen.

Auch Erik und Daniel haben Videos geschickt. Die beiden Jungs sind traurig, weil sie ihre Freunde nicht sehen. Sie vermissen den Bauwagen, den Matschberg und den Kletterbaum und fahren jeden Tag mit ihren Eltern am Kindergarten vorbei, um selbstgemalte Steine in die Steinschnecke zu legen, die die Erzieherinnen und Erzieher in der Corona-Krise initiiert haben, und die täglich wächst. Ein Zeichen, das sie alle noch da sind, die Kinder, die sonst nirgendwo mehr auftauchen. Sie dürfen nicht auf die Spielplätze, das Jugendgelände ist abgesperrt, die Kletteranlagen in den Parks verboten.

Unser Oskar verzichtet gerade auf seine Freunde, auf seinen Kindergeburtstag, auf den Märchengartenbesuch, auf den er sich so gefreut hat, auf Besuche bei Oma und Opa und auf den Urlaub im Sommer. Für uns als Familie gibt es kaum Perspektiven, wann die Kindergärten womöglich wieder öffnen. Vor ein paar Wochen hieß es irgendwo in einem Artikel, so lange es keinen Impfstoff gibt, müssten bestimmte Maßnahmen bestehen bleiben. Einen Impfstoff gibt es wohl in frühstens einem Jahr. Ich verstehe, dass die Eindämmung des Virus erste Priorität hat. Aber ich finde, Familien und ihre Bedürfnisse werden viel zu sehr ignoriert.

Nervenprobe

Ich würde lachen, wäre mir nicht eigentlich zum Heulen. Geheult habe ich, als ich neulich im Auto saß. Ich musste raus, hier mit drei Kindern von morgens bis abends ist für mich die längste Nervenprobe meines Lebens. Das erste „Mama“ höre ich um sechs am Morgen, das letzte abends um elf. Vorher schläft unser Ältester nicht ein. Zwischendurch Beschwerden über Langeweile, alle paar Minuten ein Streit, Ärger rund um die Hausaufgaben und großer Verdruss über all die Eintönigkeit. Nebenher machen Anton und ich unsere Doppelschichten: Haushault, Hilfslehrer, Kochen, Putzen, Spiele spielen, dann abwechseln und ab an den Schreibtisch. Der eine steht früh morgens auf, der andere arbeitet bis spät. Im Auto jedenfalls konnte ich einmal das Radio laut machen und losfahren, einfach geradeaus, und dann war das Lied aus und ein Arzt im Interview. Die Corona-Maßnahmen müssten weiter bestehen bleiben, aber er finde, wir Deutschen machen das alle zusammen ganz wunderbar.

„Du Idiot“, habe ich gebrüllt, und aufs Lenkrad gehauen. „Was weißt du schon?“ Was weiß er schon, wie das alles gerade für Eltern ist. Und ehrlich gesagt sind wir hier zuhause noch bestens dran. Da denke ich an Familien, die gerade ein Baby zuhause haben. Ich weiß von einer Mutter, die nicht aus noch ein weiß, weil sie neben ihren Kindern noch einen Säugling betreut, ihr Mann aber als Feuerwehrmann in 24 Stunden-Schichten außer Haus ist. Ich weiß von einer Mutter, die ihre beiden kleinen Kindern alleine betreut, weil sie alleinerziehend ist, und nicht weiß, wie sie das die nächsten Wochen mit ihrem Beruf hinkriegen soll. Den aber darf sie nicht verlieren, denn der finanziert ihnen Dreien das Leben. Ich weiß von Familien mit Kindern, die eine Behinderung haben. Die sie zuhause nicht ausreichend fördern und beschäftigen können und selber so dringend mal eine Pause brauchten. Ich weiß von Familien, in denen die Eltern so erschöpft und kaputt sind, dass sie Angst haben, dass ihnen bald die Hand ausrutscht. Wir brauchen nur weiter zu denken, was mit all den Kindern passiert, für die Kindergarten und Schule auch eine Flucht vor alkoholkranken oder gewalttätigen Müttern oder Vätern ist. Aber viele wollen gar nicht weiterdenken, jedenfalls ist von Kindern nur selten die Rede in den Tagesthemen.

Allein, allein

Eltern fühlen sich von der Politik allein gelassen, titelte der Spiegel vor zwei Tagen. Ja, das kann man wohl so sagen. Da beraten zig Leopoldingsda-Wissenschaftler, fast alle männlich und vermutlich niemals in ihrem Leben alleine für Kinder zuständig, über Auswege aus der Krise, aber kaum ein Wort zur Situation der Familien. Es geht in den täglichen Nachrichten um die Wirtschaft, um die Altenheime, um die Läden und um das Oktoberfest, aber herzlich wenig werden Elten und ihre Kinder bedacht.

„Überall werden kreative Lösungen gefunden, wie man die Lage für alle Beteiligten gut gestalten kann: Für Schulen, für Buchläden und Baumärkte – aber die Kitas lässt man einfach zu, ohne Kompromiss,“ sagt eine Mutter im Spiegel-Artikel im Interview. Wahnsinn ist das auch für Eltern, die ab heute im Einzelhandel in den Läden stehen sollen, aber deren kleine Kinder nicht einmal in die Notbetreuung im Kindergarten dürfen. Wahnsinn ist das für jedes einzelne Kind, das seit Wochen seine Freunde nicht treffen darf und auf alle sozialen Kontakte verzichten muss.

Ich denke wie die meisten anderen Eltern, dass die soziale Distanz wichtig ist, um den Virus einzudämmen. Wir können weder Kindergärten noch Schulen einfach wieder aufmachen, denn das gefährdet alle Menschen. Aber wir brauchen eine öffentliche Diskussion darüber, wie Eltern geholfen und Kindern nicht sich selbst überlassen werden. Uns muss bewusst sein, in welcher Gefahr viele Kinder schweben, wie fix und fertig manche Eltern sind, darunter vor allem alleinerziehende Eltern oder Eltern mit kranken Kindern. Wir müssen darüber reden, was es für Kinder bedeutet, auf so viel verzichten zu müssen und wir müssen über die breite Bildungsschere sprechen, die sich nun auftut. Deutschland ist leider bekannt dafür, dass Kinder aus gebildetetn Elternhäuser viel bessere Chancen haben. Das wird durch die Krise noch verstärkt, denn Homeschooling ist eine Herausforderung und für viele Mütter und Väter aus unterschiedlichen Gründen nicht zu schaffen.

#CoronaEltern: Wir werden laut

Unser Oskar hat mittlerweile zwei durchsichtige Freunde gefunden. Wir werden auch mal ein Jahr ohne Urlaub auskommen. Wir werden es schaffen, irgendwie. Aber wie viele Eltern wissen einfach nicht, wie es weitergehen soll?

Los gehts! Familien sollen sichtbar werden. Darum hat Mareice Kaiser die Kampagne #CoronaEltern gestartet und wir posten nun um die Wette. Lasst uns laut sein und für uns und andere Familien einstehen, vor allem für die, die keine Power mehr haben, einen Text zu schreiben.

Der Vorstoß von Familienministerin Franziska Giffey war ein Anfang, aber Eltern und ihre Kinder brauchen Perspektiven.

Bleib gesund, laut und wütend!

Laura

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