Wie kriege ich mein Kind vom Bildschirm weg?

Auseinandersetzung vor der Glotze

Unsere Kinder lieben den Fernseher. Sie könnten stundenlang die Sendung  mit der Maus schauen, aber auch so nervige Serien wie Feuerwehrmann Sam und My little Pony stehen hoch im Kurs. Bitte ich sie dann nach ein paar Folgen, auszuschalten, sind sie sauer. Der kleine Oskar fängt sogar an zu schreien.

Außerdem hat Jimmy die Playstation für sich entdeckt. Der olle Kasten, der immer so laut surrt, wird von uns nur als DVD-Player genutzt. Aber es gibt dort auch ein Fifa-Spiel, das Jimmy völlig aus dem Häuschen bringt. Sonntags, wenn die Sonne scheint und wir raus wollen, würde er viel lieber drei Stunden vor der Kiste sitzen und seine Fußballer durch die Gegend schicken.

Sind die Kinder suchtgefährdet?

Die Kinder lieben die Bildschirme und ich weiß ja selbst, wie schön das manchnal ist. Ich selber gucke gerne ins Handy, ich könnte die Serie „Mord mit Aussicht“ vier Stunden am Stück schauen und mich auf Pinterest verlieren, obwohl mich ein gutes Buch eigentlich viel mehr erfüllt.

Wie gehen wir am besten um mit dieser Bildschirm-Leidenschaft? Wie sehr kann sie den Kindern schaden und was machen wir, wenn wir keine Verbote oder feste Bildschirmzeiten einführen , stattdessen lieber mit den Kindern kooperieren möchten?

Rat auf der Blogfamiliär

Ich war am Wochenende bei einer wunderbaren Veranstaltung der Blogfamilia, in deren Orga-Team ich seit kurzem bin. Das kleine und feine Event namens Blogfamiliär richtete sich aber nicht wie sonst nur an ElternbloggerInnen, sondern an Eltern im Allgemeinen, PädagogInnen und ErzieherInnen, die Antworten auf Fragen wie meine suchen. Katja Seide, Bestsellerautorin und meine persönliche Lieblingselternratgeberin, hat einen Vortrag gehalten, von dem alle Anwesenden restlos begeistert waren. Ich habe mir ein ganzes Paket mit Wissen und viele neue Ideen im Umgang mit meinen Kindern, dem Fernseher und dem Internet mitgenommen. Davon möchte ich dir berichten!

Katjas Vortrag

Zunächst einmal erklärte Katja, dass die Befürchtungen vieler Eltern in folgendem Horrorszenario begründet liegen: das Kind kommt nicht mehr los vom Bildschirm, es vernachlässigt Schule und Freunde, sein Leben und die Schule entgleiten ihm, es wird internet- oder computerspielsüchtig, sein Leben ist vermasselt. Das betrifft vor allem natürlich ältere Kinder mit eigenen Geräten, aber auch schon bei den Kleinen steckt diese Befürchtung tief in uns drin.

Katja erläutert, wie es zu einer richtigen Sucht kommen kann und dass nur eine sehr geringe Anzahl an Menschen wirklich suchtgefährdet ist. In einem tatsächlich stattgefundenen Experiment von Bruce Alexander aus dem Jahr 1970, das an Ratten durchgeführt wurde, zeigte sich, dass Sucht dann entsteht, wenn es an stimulierenden Beschäftigungen und sozialen Beziehungen mangelt. Folgern könne man daraus, dass Kinder, deren Grundbedürfnisse gedeckt sind, nicht suchtgefährdet seien.

Foto: Kerstin Bienzle

Die Grundbedürfnisse der Kinder stillen

Was also brauchen die Kinder? Eigentlich genau das, was auch wir Erwachsenen brauchen, um ein zufriedenes Leben zu führen. Im Wunschkindbuch werden folgende Punkte aufgezählt:

  • Authentizität und Integrität (–> jedes Kind möchte so geliebt werden, wie es ist)
  • Selbstwirksam sein
  • Eigene Entscheidungen treffen
  • Wertgeschätzt werden
  • Emotionale Verbundenheit
  • Ein Ziel haben
  • Zugehörigkeit und Geborgenheit
  • Zur Bereicherung einer Gemeinschaft beitragen
  • Gefühle ausleben
  • Struktur erleben
  • Auch Lachen und Spielen ist ein ganz entscheidender Faktor, um zufrieden und glücklich zu sein:

Der Spieltrieb ist ein wichtiges Grundbedürfnis des Menschen, das sich selbst unter den widrigsten Umständen nicht unterdrücken lässt. (…) Kinder bereiten sich im Spiel nicht nur auf ihre späteren Aufgaben vor, sie verarbeiten so auch ihre Ängste oder üben sich in grundlegenden Kompetenzen. (Katja Seide, Danielle Graf: Das gewünschteste Wunschkind… Gelassen durch die Jahre 5 bis 10, Beltz 2018, S. 180)

Besorgniserregend findet es Katja deshalb, dass Kinder heute so wenig frei spielen. Aus Sorge, ihnen könnte etwas zustoßen, verbringen sie kaum Zeit ohne Aufsicht und spielen kaum noch in der Natur, sondern nur auf von Erwachsenen konzipierten Spielplätzen. Kinder haben aber das innere Bedürfnis, Abenteuer zu erleben, zum Beispiel mit Freunden den Wald zu erforschen oder am Bach einen Staudamm zu bauen. Dabei machen sie Grunderfahrungen, die sie stärken, die ihnen die Gesetze der Natur erklären und den Zusammenhalt untereinander fördern, das betont auch der Kinderarzt Dr. Renz-Polster immer wieder in seinen Büchern. (Vgl. Wunschkindbuch, S. 181)

Foto: Kerstin Bienzle

Ausreichend (frei) spielen, dann ist daddeln erlaubt

Katja, deren Kinder auf eine frei Schule gehen, an der sie im Prinzip so viel spielen können, wie sie möchten, sind reich an solchen Spielerfahrungen. Daher hat sie auch kein Problem damit, wenn sich die Kinder mit ihren Konsolen beschäftigen. In den Schulferien dagegen gibt es in der Familie die Regel, dass frei gespielt wird und die Konsolen in der Schublade bleiben. Denn genau wie bei Süßigkeiten ist es ganz besonders für Kinder schwer, den Konsum selbst zu regulieren.

Kritisch ist sie bei Kindern jüngeren Alters. Ihre eigenen Mädchen begannen mit ca. vier Jahren, kleine Spiele auf dem Handy zu spielen, ihr jüngerer Sohn schon mit zwei, weil er seine Schwestern schon früh dabei beobachtete. Das finde sie grundsätzlich zu früh und sie rät, die Kinder so lange wie möglich von Tablets und Co fernzuhalten. Bei jüngeren Geschwistern wäre das aber so gut wie unmöglich, bestätigt sie.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass kleine Kinder eine viel niedrigerer Toleranzschwelle haben, weil ihr Gehirn noch nicht so entwickelt ist. Darum flippten jüngere Kinder auch komplett aus, wenn sie abschalten sollen, erklärt Katja. Hier hat sie auch einen Tipp: die Kinder müssen lernen, den Ausknopf selber zu drücken. Das bedeutet dann, dass die Eltern vielleicht auch mal viel Geduld brauchten und das Ganze schon zu Konflikten führen könne. Aber den Kindern die Geräte einfach wegzunehmen oder selber den Aus-Knopf zu betätigen, hilft ihnen nicht zu verstehen, dass das Gerät irgendwann wieder ausgenacht werden muss.

Hirn auf Stand-by

Spannend fand ich, was Katja über das Gehirn erzählte: wir Menschen verfügen über eine eingebaute Kontrollschleife, den präfrontalen Cortex (nachzulesen auch im Wunschkindbuch, S. 189f). Dank dieses Prüfsystems schlagen wir nicht sofort zu, wenn wir bedroht werden oder reagieren nicht so aggressiv, wenn wir uns umdrehen und sich ein Schubser in der U-Bahn als Kind herausstellt. Diese Kontrollschleife funktioniert bei Kleinkindern noch nicht, weil sie sich durch Erfahrungen entwickelt. Kein Wunder also, dass Oskar reagiert wie ein wütender Löwe, wenn ich ihn bitte, Feuerwehrmann Sam nun Ciao zu sagen. Aber auch bei Jimmy und Luise fährt bei Medienkonsum das Kontrollsystem auf Stand-by. Sie haben keine Lust, auszuschalten, sie reagieren wütend und sind gar nicht mehr die vernünftigen Kinder, die sie noch vorher waren, als sie mir erklärten, sie wollen nur eine Folge My little Pony schauen.

Ich weiß nun Bescheid, warum sich meine Kinder vor dem Fernseher manchmal in Hyänen verwandeln und kann künftig besser reagieren. Eine Möglichkeit ist auch, ihnen diesen Vorgang zu erklären und herauszufinden, wann ihr Kontrollsystem auf Stand-by schaltet. Gemeinsam finden wir sicher eine Lösung und einigen uns auf „nur“ zwei Folgen.

Viele Tipps für zuhause

Was habe ich nun für uns zuhause noch so mitgenommen? Ich möchte jedenfalls keine Mutter sein, die Verbote erteilt, mit Medienentzug bestraft oder sich als Herrin über die Steckdose aufspielt. Ich möchte meinen Kindern die Auswirkungen der Medien erklären und mit ihnen gemeinsam einen guten Umgang finden. Mit Luise und Jimmy kann ich darüber ganz gut reden. Oskar ist noch zu klein und bei ihm ist das Abschalten immer noch ein wenig anstrengend. Der ein oder andere Wutanfall ist wohl kaum zu vermeiden, gehört aber zum Lernprozess dazu.

Luise erlebt ihre Abenteuer draußen im Kindergarten. Sie ist ganzjährig in der Natur, baut im Wald Höhlen und matscht mit ihren Freundinnen im Matschloch herum. Sie verbringt den halben Tag mit freiem Spiel: im Kindergarten gibt es wenig Spielsachen, dafür aber eine kleine Küche mit Wasserhahn, Weidennester zum Verstecken und Bäume zum Klettern. Für Jimmy habe ich mir etwas anderes überlegt: bei uns in der Nähe gibt es eine Jugendfarm. Dort kann er mit seinem Freund nachmittags Hütten bauen, Fußball spielen und auch mal ein Feuer machen. Eltern sind verboten, aber es gibt Aufsichtspersonen. Außerdem darf er hier im Dorf mit seinen Kumpels durch die Gegend streunern. Sind die Kinder genug draußen, haben Kontakt zu ihren Freunden und spielen, was das Zeug hält, habe ich auch kein Problem mehr mit der Playstation, ein paar Folgen Wickie und die starken Männer oder erste Internet-Spaziergänge auf kindersicheren Seiten.

Foto: Kerstin Bienzle

Sicher durch den Mediendschungel

Übrigens gab es auf der Veranstaltung auch noch zwei Vorträge von Constanze Osei-Becker von Facebook und Martin Wicke von Instagram über Jugendschutz in den sozialen Netzwerken. Das ist bei uns noch kein Thema, aber Eltern haben heute einfach die Pflicht, sich mit sozialen Netzwerken, Computerspielen und Youtube auseinander zu setzen. Sie müssen die Gefahren kennen und mit den Kindern darüber sprechen – fernhalten lassen sich unsere Teenies nämlich nicht davon. Die Blogfamiliär findet übrigens bald in Hamburg statt und wird hoffentlich noch in andere deutsche Großstädte kommen. Ans Herz legen möchte ich dir außerdem Katjas und Danielles Buch Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Gelassen durch die Jahre 5 bis 10 (Affiliate Link). Da werden Medienkonsum, Risiken und Nebenwirkungen noch einmal gewohnt liebevoll, spannend und wissenschaftlich gut erklärt. Außerdem kannst du direkt auf dem Blog nachlesen: hier zum Beispiel über die Frage, ob Computerspiele und Apps für Kinder schädlich sind.

Sind deine Kinder genug draußen? Falls nicht, könntet ihr doch mal in den Wald gehen. Jugendfarmen gibt es in ganz vielen deutschen Städten, sie sind meist für Kinder ab dem Grundschulalter geeignet. Sind deine Kinder schon in der Schule, lass sie auch mal alleine losziehen! Ihr könnt ja langsam üben und euch steigern: das erste Mal ohne Eltern Brötchen holen, dann alleine auf den Spielplatz gehen und mit den Kumpels in den Park ziehen. Erleben die Kinder genug Abenteuer, fühlen sie sich geliebt und angenommen, wie sie sind, werden ihnen das Fernsehen und der Gameboy sicher auch nicht schaden.

Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

Wenn du diesen Text spannend fandest, interessiert dich vielleicht auch meine kleine Youtube-Warnung!

Ganz lieben Dank übrigens an Kerstin vom Blog TagausTagein für die vielen schönen Fotos der Veranstaltung.

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