Die Entdeckung der Langsamkeit oder die Geschichte von Schnecke Max

Kinder haben Einiges gemeinsam. Und wenn sie jünger sind, vor allem das: sie lieben es, zu rennen. Klar, ich finde es super, diesen Bewegungsdrang, der mir manchmals als Erwachsene so fremd ist. Mir ist Rennen ein Graus und außer beim Joggen versuche ich, es zu vermeiden. Mit zwei Kindern geht das nicht lange: auch ich muss Fangen spielen, Luise in Windeseile auffangen wenn sie vom Tisch zu fallen droht, oder Jimmy mal eben sprintend davon abhalten, mit dem Mini-Einkaufswagen in die Kniekehlen der Einkaufenden zu donnern.

Und ein Thema ist bei uns brandheiß: wir wohnen in einer Wohnung im zweiten Stock. Logischerweise wohnen unter uns auch Menschen. Die sind äußerst liebenswürdig, haben selbst Kinder und würden sich niemals über Lärm beschweren, aber dennoch möchte ich nicht, dass sie den ganzen Tag damit leben müssen, dass eine Horde Elefanten über ihnen herumtrampelt. Also heißt es für die Kinder: In der Wohnung bitte gehen und nicht rennen. Zum Fangen spielen gehts auf den Spielplatz und zum Springen legen wir eine Matratze auf den Boden. Regeln müssen sein!

Dass das mit den Regeln so eine Sache ist, muss ich hier nicht erwähnen. Also poltern Jimmy und Luise dennoch lachend, kichernd, sich fangend und prügelnd durch die Zimmer und ich spüre das Beben unter meinen Fußsohlen. Ihr seht, wir verbringen unseren Alltag meist rennend, es sei denn….

wir haben einen Termin!

Kann mir einer mal bitte sagen, wieso sich alles, aber auch wirklich alles ändert, wenn ich sage: „so Kinder, wir müssen los!“ Schlagartig läuft bei uns das Leben in Zeitlupe ab. Jimmy zieht sich seine Schuhe an, als möchte er beim Langsamkeitswettbewerb gewinnen. Luise pult seelenruhig die Schnürsenkel raus, um sie bedächtig wieder einzufädeln. Gaaanz langsam, aber wirklich gaaaanz langsam werden Mützen und Schals angezogen und die Kapuze noch mal abgeknöpft, bevor sie in sich ruhend in die Jacken schlüpfen. Dann laufen, nein, schleichen sie Richtung Treppe und bleiben auf jeder zweiten Stufe stehen. Der lange Flur zur Tiefgarage wird im Schneckentempo hingelegt und Luise schaltet in den Extra-Langsamkeitsmodus. Ich komme mir vor wie eine Vierhirtin, die in großer Eile ihre gemütliche Kuhherde dazu antreibt, ein paar Schritte zu tätigen. „Wir müssen los“, rufe ich, „schneller!“, „Luiiiiiiiiise, wo bleibst du?“ und „Jimmy, mach voran!“ Ich warte ungeduldig an der Tür, die ich gefühlte drei Minuten aufhalte, bevor die Beiden hindurch trotten. Gerne verliert einer der Kinder noch einmal was, um sich in Seelenruhe umzudrehen und den Gegenstand aufzuheben. Jimmy fällt in solchen Momenten gerne noch aus dem Stand um. Während die Kinder schleichen, rast die Zeit…..

Die beiden schlurfen in vier Metern Abstand hinter mir her. Niemals würden sie auf die Idee kommen, sich so in unserer Wohnung fortzubewegen oder so bedächtig durch die Warenstraßen unserer Drogerie zu bummeln. Nur, wenn wir zum Kindergarten, Arzt, Turnen, Kaffeekränzchen etc. müssen, geht die Zeitlupe an.

Und noch eine Sache ist mir unerklärlich: die Beiden benehmen sich auf dem Gehweg neben der Hauptstraße (wenn wir nicht in Eile sind…) wie die junge Gorilla-Truppe in der Wilhelma: sie hüpfen, rennen, stolpern und purzeln wie wild und ich bekomme einen Herzkasper. Aber sobald wir eine Straße überqueren – bumms – legt Luise drei Gänge zurück, geht in Faultiergeschwindigkeit über die Straße und würde gut und gerne noch einmal drei Grün-Phasen mitnehmen, bevor sie auf der anderen Seite ankommt. Auf Zebrastreifen bleibt sie dann auch mal wie ein Eselchen stehen. Drüben angekommen rennt sie los….

Eltern, die eine Erklärung für dieses Phänomen haben, dürfen sich umgehend bei mir melden. Dann hätte das Rätseln endlich ein Ende. DANKE!

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