Was keiner sieht

Abends sieht es so aus, als hättest du nicht viel getan. Die Wohnung versinkt im Chaos, ein Korb Wäsche steht ungefaltet auf dem Tisch. Das Gemüse auf dem Herd ist angebrannt, weil du gerade versuchst, die beiden Streithähne im Kinderzimmer auseinander zu zerren. Und der Kleinste: den hast du vor dem Fernseher geparkt. Na toll, was machst du eigentlich von morgens bis abends?

Was keiner sieht

Keiner hat gesehen, dass du seit halb sieben Uhr ein Kleinkind zu unterhalten versuchst, ihm Marmeladenbrot und warme Milch machst. Wie du die Hälfte der Marmeladenbrotstücke vom Boden aufliest, die Flecken wegwischst und das Kind anschließend wäschst, wickelst und umziehst.

Keiner hat gesehen, dass du dann die Großen weckst und als allererstes das Fußballkartenspiel suchst, das dein Sohn unter Tränen vermisst. Dass du dann wieder Frühstück machst, Milch erwärmst, Tisch deckst, abräumst, die Spülmaschine füllst und anschmeißt – und das alles ohne auch nur einen einzigen Kaffee getrunken zu haben. Anschließend die erste Ladung Wäsche in die Maschine schmeißt, Betten machst, die Wohnung aufräumst. Nebenher zwei kleinere und einen größeren Streit schlichtest, das Kleinkind davon abhälst, sich Bügelperlen in den Mund zu schieben. Selbiges zwei Mal wickelst, den Großen die Klamotten rauslegst, dich mit der Tochter darüber unterhälst, ob das weiße Spitzenkleid ein geeignetes Outfit für den Spielplatz ist und dem Sohn vier Mal predigst, den Fußball nicht gegen den Wohnzimmerschrank zu schießen.

Keiner sieht, wie du den Einkaufszettel schreibst, den Kinderarzt telefonisch um einen Impftermin bittest, Wechselklamotten für den Kindergarten raussuchst, dem Teddy das verlorene Auge anklebst und dann den Rucksack mit Snacks, Getränken, Matschhosen und einem Fußball packst, die Kinder unter Protest eincremst, 43 Zähnchen putzt und drei Sonnenhüte suchst und verteilst.

Keiner sieht, wie du mit deiner Karawane den Spielplatz erreichst und dort angekommen das Kleinkind gefühlte 120 Mal die Rutsche hoch hebst. Dann Brezeln und Wasser reichst, nasse Klamotten wechselst, versuchst, mit einer anderen Mutter ins Gespräch zu kommen, dann aber wieder dem Jüngsten hinterher rennst, der das Klettergerüst erklimmt und runter zu purzeln droht.

Keiner sieht, dass du realisierst, dass nach eineinhalb Stunden in gebückter Haltung Laufen üben mit dem Kleinen dieser müde ist und deshalb bitterlich weint. Dass die beiden Großen in das Geheule mit einstimmen, weil sie nicht gehen wollen. Dass du mit drei schreienden Kindern den Spielplatz verlässt und hoffst, dass Mini nicht im Wagen einschläft.

Keiner sieht, dass du zuhause flott die Töpfe schwingst, damit alle vor der Mittagspause noch was zu essen bekommen. Dass der Große sich über Erbsen und Möhren beschwert und seinen Teller trotzig von sich schiebt, die anderen Beiden ein Drittel des Gemüses unter dem Tisch verteilen, jeweils einen Becher Wasser umschmeißen, deren Inhalt du dann aufwischst. Keiner sieht, dass du mal wieder wischst, räumst und putzt, drei Ketchup-Münder abwischst und einen übermüdeten kleinen Kerl hinlegst. Dass du nicht selbst einschläfst, sondern nun zwei Ladungen Wäsche wegräumst, mit den Großen spielst, die Puppe anziehst und das Pferd striegelst.

Keiner sieht, wie du am Nachmittag die wilde Meute und drei leere Sprudelkisten packst und mit ihnen in den Supermarkt fährst. Wie du versuchst, zwei Kinder mit Mini-Einkaufswagen davon abzuhalten, mit Anlauf in die Kniekehlen der Mitmenschen zu rasen. Wie du einen Verkäufer um Hilfe bittest, weil der Tochter drei Schokopuddings aus dem Kühlregal auf den Boden gepurzelt und dort zerplatzt sind. Wie du fünf Mal den Junior davon abhälst, kopfüber aus dem Wagen zu stürzen, dem Großen erklärst, warum er keine Cola kaufen darf und dich entschuldigst, weil die Kinder die Süßigkeiten bei dem Vordermann aufs Band gelegt haben, woraufhin diese versehentlich von ihm bezahlt wurden. Keiner sieht, dass du eilig an Sohn und Tochter vorbei gehst und so tust, als gehörten sie nicht zu dir, weil sich die Beiden hinter der Kasse prügelnd auf dem Boden wälzen.

Keiner sieht, dass du zuhause angekommen die Lebensmittel ausräumst, während der Kleinste die Gabelspagehtti auf dem Boden verteilt und er es sich dann fünf saftige und tropfende Tomaten verspeisend in der Ecke gemütlich macht. Wie du dann in der Waschküche Wäsche Nummer vier aus der Maschine holst, zwei Ladungen faltest und wegräumst. Wie du anschließend Malstifte verteilst, für den Großen einen Fußball und für die Mittlere ein Pferd malst und nebenher dem Kleinen verbietest, die Wachsmalstifte in Stücke zu beißen.

Keiner sieht, wie du das Gemüse in die Pfanne schmeißt, die Großen für fünf Minuten ins Zimmer schickst und den Kleinen vor den Fernseher setzt, um in Ruhe ein paar Kartoffeln zu schälen.

Keiner hat gesehen, dass du mittags für fünf Minuten am Küchentisch sitzt, in deinen Espresso starrst, deinen Job schmerzlich vermisst, dich fragst, wieso Kinder haben für Frauen automatisch heißt, viele anstrengende Haushalts-Tätigkeiten den ganzen Tag und ohne Bezahlung ausführen zu müssen und dir schwörst, dass du im nächsten Leben Vater wirst.

Liebe Leserin! Schreib doch mal mit, was du den ganzen Tag so tust. Mach dir bewusst, dass du einen Mörderjob erledigst, der so unbezahlt wie wichtig ist. Nimm dir mindestens einmal am Tag eine halbe Stunde nur für dich und pfeif auf Wäschekörbe und verschmierte Kinderstühle. Kämpf für mehr Gleichberechtigung und wenn du wie ich deinen Job vermisst, für den Weg zurück an den Schreibtisch. Und lies mal meinen Brief an Luise. Ihr habe ich empfohlen, sich zwischen Kind und Karriere zu entscheiden!

Solltest du ein Vater sein, dann lies doch mal hier nach. Bei dir gibt es vielleicht auch Dinge, die keiner sieht!

Bleib fröhlich und unperfekt,

deine Laura

Ps.: Ich möchte hier noch etwas hinzufügen! Dass die Zeit mit den Kindern das wertvollste ist, was wir haben, steht für mich wie für jede andere Mutter außer Frage. Zu behaupten, dass Mütter, die ihren Job vermissen und bedauern, dass der Haushalt zum großen Teil an ihnen hängen bleibt, keine guten Mütter sind, ist so gemein wie falsch. Ich setze mich mit meinen Texten und diesem Blog dafür ein, dass Eltern gleichberechtigt sind und Männer wie Frauen die Wahl haben, sich im besten Fall Erziehung und Erwerbstätigkeit teilen und so auch beide Seiten, Job und Haushalt, kennen und schätzen.

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