Familienpolitik in Deutschland
Elternsein ist wahrlich kein Zuckerschlecken! Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist mühselig, denn noch immer scheint es kaum möglich, mit einer reduzierten Arbeitsstelle beruflich vorwärts zu kommen, Home Office funktioniert längst nicht überall, noch immer sind Präsenzpflicht und Meetings um 9 Uhr morgens oder um 18 Uhr abends die Regel.
Aber nicht nur jobtechnisch ist das Leben mit Kindern mit vielen Hürden verbunden. Auch der Staat macht es uns schwer: Das Ehegattensplitting fördert den Einverdienerhaushalt mit hohem Risiko für den oder die, die zuhause bleibt.
Dazu kommt, dass uns Familien mächtig in die Taschen gegriffen wird. Wir sorgen zwar mit unseren Kindern dafür, dass sich unser Sozialstaat trägt (die nachkommende Generation wird unsere Rente bezahlen), aber das Kinderhaben ist teuer. Tonnenweise Windeln, Anziehsachen, Spielzeug, Kitagebühren, Schulausrüstung und Nachhilfe – ein Kind kostet uns im Laufe des Lebens knap 125.000 Euro, dabei ist die Ausbildung nach der Schule noch nicht inbegriffen.
Kinderhaben ist teuer
Tagesmutter, Kindergartenplatz und Kernzeitbetreuung an der Schule kosten uns als Familie mit drei Kindern im Monat knapp 400 Euro, das ist für drei Kinder im Schnitt sogar noch wenig! Betreut sind die Kinder nur bis knapp um die Mittagszeit, Mittagessen gibt es nur bei der Tagesmutter. Seit bald acht Jahren kaufen wir regelmäßig Windeln und schmeißen sie anschließend in die Tonne. Der volle Mehrwertsteuersatz auf die Drogerieprodukte kommt dem Staat zugute, für die Abholung des Restmülls zahlen wir hier 8 Euro pro Fuhre. Die meisten Familienvergünstigungen gelten für Familien mit zwei Kindern. Einen staatlichen Anreiz, nach zwei Kindern noch ein drittes oder gar viertes zu bekommen, gibt es nicht. Wir haben das finanzielle Abenteuer dennoch gewagt und kommen mit unserem Familienauto gerade so hin.
Übrigens will ich nicht klagen. Wir stehen als Familie sehr gut da und verfügen über ein Einkommen, das für uns alle reicht. Aber was ist mit den Familien, bei denen das nicht der Fall ist? Was ist mit Alleinerziehenden, mit Familien, in denen keine zwei Einkommen Windeln und Schulranzen finanzieren? Manchmal scheint es mir, als liege dem Staat nicht wirklich etwas dran, Familienleben so einfach wie möglich zu machen. Dabei brauchen wir eines ganz bestimmt: Kinder. Nun wirst du vielleicht einwenden, dass wir es hier in Deutschland doch ganz schön gut haben: Elterngeld, ein Recht auf einen Kitaplatz und Kindergeld, das hat es früher alles nicht gegeben. Was wollen Eltern denn noch?
Das neue Buch von Jenna Behrends
Tja, wenn man sich die Familienpolitik hier mal genauer anschaut, sieht es ein wenig anders aus. Und damit wir es endlich verstehen, um dann für eine andere und bessere Familienpolitik einzutreten, dafür gibt es kluge Frauen wie Jenna Behrends.
Sie stört all das schon lange und deshalb hat die Journalistin, Jurastudentin, Mutter und Politikerin ein Buch geschrieben: Rabenvater Staat. Warum unsere Familienpolitik einen Neuanfang braucht (Affiliate Link). Das habe ich gelesen und möchte dir heute vom Inhalt erzählen. Das, was Jenna dort zusammanträgt und mit Quellen belegt, macht ziemlich wütend. Es zeigt eine Politik, die chaotisch handelt, Geld an falscher Stelle ausgibt und ein konservatives Bild von Familie malt.
Behrends spricht zu Beginn von der Bedeutung von Familie und erklärt, warum der Staat gar nicht genug Personal beschäftgen könnte um auszugleichen, was Familien leisten:
Familien sind für ihre Kinder da, sie pflegen Kranke und Alte. Ohne sie bräche unser Sozial- und Gesundheitssystem zusammen. (S. 11)
Aus diesem Grund werde es Zeit,
dass wir Eltern auf die Schulter klopfen für all das, was sie ihren Kinder an Werten, Fähigkeiten, Wissen mit auf den Weg geben. (…) Ohne Familien, ohne Kinder, könnte unser Staat nicht existieren. (S. 10)
Jenna fordert, dass sich die Politiker endlich der Realität stellen (Vgl. S. 12), den Eltern etwas zutrauen (vgl. S. 14) und nicht länger einfach nur immer mehr Geld ausgeben, es dafür lieber richtig investieren (vgl. S. 20).
Kindergeld, dein gutes Recht!
Wusstest du, dass der Staat jährlich mehr als 200 Milliarden Euro für über 150 familienbezogene Leistungen ausgibt? Ganz schön viel, könnte man meinen. Jenna erklärt aber genau, warum das Geld oftmals sein Ziel verfehlt und vieles gar nicht bei denen ankommt, die es brauchen. Denn wenn man genauer hinschaut, „schrumpft der Geldtopf auf die Größe eines Spielzeugeimers zusammen.“ (S. 17).
Ihr erhaltet Kindergeld für jedes Kind. Toll, findest du nicht auch? Aber das Geld steht euch zu! Denn darin ist zum Beispiel auch ein Betrag enthalten, der dazu dient, das Existenzminimum steuerfrei zu stellen. Das besagt nämlich unsere Verfassung: Jeder Mensch darf einen bestimmten Betrag steuerfrei behalten, um seine Existenz zu sichern. Für Kinder gibt es das allerdings nicht, daher ist im Kindergeld auch eine Teil-Rückzahlung dessen enthalten.
Für Familienleistungen, die dir zustehen, zahlst du übrigens kräftig selbst mit. Kannst du dir vorstellen, wieviel Steuern alleine durch die Windeln zusammenkommen, die du bisher gekauft hast? Jenna rechnet vor, wie sich das Geld für die Familien-Leistungen zusammensetzt: 40 % kommt aus Sozialbeiträgen, 30 % werden über Verbrauchssteuern eingenommen. Beim jedem Kauf von Windeln, Brei und Kinderspielzeug fließt also Geld in die Staatskassen. Die Krux fasst sie wie folgt zusammen:
„Er (der Staat) nimmt Familien etwas weg, um es dann wieder generös wieder an sie zu verteilen.“ (S. 18)
Jenna hat Ideen
Jenna Behrends kritisiert in ihrem Buch nicht nur die Politik, sie hat auch reichlich Vorschläge, wie es besser laufen könnte. Vor allem fordert sie, dass der Staat folgendes Gefühl vermitteln sollte:
„Ihr könnt das schaffen. Ihr könnt euch ein, zwei, viele Kinder finanziell leisten. Eure Karriere ist nicht für immer verbaut. Ihr werdet auch im Alter nicht arm siein. Ihr werdet nicht regelmäßig kurz vorm Burn out sein.“ (S. 34)
Dabei helfen könnten
- lokale Familienbüros, die die einzelnen Familien-Leistungen erklären und Familien beraten (vgl. S. 44)
- eine Familienkasse, die über Steuern und Arbeitgeberbeiträge finanziert wird, aus der die Leistungen bezahlt werden (vgl. S. 41)
- eine faire Besteuerung: Familien müssen günstiger besteuer werden, nicht die Ehe (S. 76)
- steuerliche Vergünstigungen: wieso 19% Mehrwertsteuer auf Windeln, aber 7 % auf Trüffel? (S. 77)
- Möglichkeiten, die Kinderbetreuung in unbegrenzter Höhe absetzbar zu machen (S. 79)
- gleiche Rahmenbedingungen für Mütter und Väter (über die Benachteiligung der Frauen im Kapitel „Politik, die ihre Hausaufgaben macht“)
- Gesetzesänderungen: Werdende Väter vor Kündigungen schützen (S. 138)
- erhebliche Aufwertungen des Berufes der ErzieherInnen und anderen Berufsgruppen, sie sich um Menschen kümmern (S. 170)
- ein Arbeits- und Sozialrecht, das Familien- und Fürsorgephasen vorsieht (S. 181)
Und es gibt zahlreiche weitere Ideen, zum Beispiel Patchworkfamilien in ihren Befugnissen zu stärken, Alleinerziehende zu entlasten, die Probleme gleichgeschlechtlicher Eltern auszuräumen, denn: Familien bestehen längst nicht mehr nur aus einem verheirateten Paar unterschiedlicher Geschlechter plus ein bis drei Kindern, Familie ist heute viel vielschichtiger und das müsse die Politik unbedingt berücksichtigen.
Die Grundlagen des Sozialsystems
Um Familienpolitik zu verstehen, müssen wir ein wenig in die Vergangenheit schauen. Bundeskanzler Konrad Adenauer erweckte den Generationenvertrag und führte das Umlageverfahren ein, das bis heute Bestand hat. Darum bezahlen wir jetzt mit unseren Steuern die Renten unserer Eltern und machen später Renten-Ansprüche an all die Kinder geltend, die jetzt in der Kita Burgen bauen. Das Problem: eigentlich war eine Kindheits- und Jugendrente vorgesehen, die den Lebensunterhalt und die Ausbildung der Kinder vorfinanzieren sollte. Arbeitnehmer mit vielen Kindern wären von der Rückzahlungspflicht entbunden gewesen. Auf diese Weise hätten Menschen ohne Kinder die Kindererziehung mitfinanziert. Adenauer hat sich aber gegen diese Kindheits- und Jugendrente entschieden und das ist auch der Grund, warum es heute wirtschaftlich klüger ist, keine Kinder zu bekommen. Während Eltern ihre Karriere aufs Spiel setzen, nicht genug für ihre eigene Rente zurücklegen können und Unsummen für Windeln und Feuchttücher ausgeben, arbeiten Kinderlose an ihrer Karriere und bilden Rücklagen. Ihre Rente wird später aber auch von den Kindern der anderen finanziert. (vgl. Behrends, S. 53).
Wer heute Kinder aufzieht und deshalb beruflich kürzertritt, verdient weniger, gibt mehr aus und erhält am Ende eine niedrigere Rente als kinderlose Nachbarn. (S. 54)
Kinderkriegen ist wirtschaftlicher Unsinn
Vom Sozialstaat profitieren also die, die keine Kinder bekommen, denn sie ziehen mehr Vorteile aus den Sozialkassen, als sie selber aufbringen. Anders ist das bei Eltern, erklärt Jenna Behrends in ihrem Buch. Insgesamt übersteigen die Steuern und Sozialbeiträge, die jedes der Kinder im Laufe ihres Lebens entrichten werden, die von ihm in Anspruch genommen Leistungen um 103.400 Euro. Die Kosten, die Kinder aufzuziehen, tragen Eltern aber nahezu alleine. (S. 56).
Darauf erst einmal einen Schnaps, oder?
Findest du nach all diesen Infos nicht auch, dass die Familienpolitik einen echten Neustart braucht? Dass Familien endlich zum Kinderkriegen ermutigt werden sollen, Kinderhaben nicht länger als Privatsache gilt, für das die Eltern gefälligst selbst aufkommen müssen und wir endlich darin unterstützt werden, Beruf und Kinder besser vereinbaren zu können! Denn
Kinder sind keine Steuergeldverschlucker, sondern ein Sozialsystemstabilisator (S. 50)
Ich empfehle dir das Buch von Jenna von ganzem Herzen, denn es erklärt alle genannten Punkte genau und vor allem sehr gut verständlich. Und seid euch bewusst, was ihr mit euren Kindern jeden Tag leistet!
Bleib fröhlich und unperfekt,
Laura