Frauen arbeiten für Luft und Liebe? Care-Arbeit ist nicht kostenlos und unerschöpflich

Fürsorge ist eine sehr bereichernde Arbeit. Ein Kind trösten, wenn es sich weh getan hat, für Freunde da sein, wenn es ihnen nicht gut geht, dafür sorgen, dass es alten und kranken Menschen besser geht, indem wir uns kümmern – es gibt kaum einen besseren Grund, sich anzustrengen. Ohne die Sorge füreinander geht es nicht, das spüren wir jetzt in der Krise besonders stark. „Fließbänder kann man stillstehen lassen, Kinder und Schwerkranke alleine zu lassen, ist unmenschlich“, schreibt Barbara Vorsamer in der Süddeutschen Zeitung (Bezahlschranke). Das macht deutlich, dass Fürsorge nicht nur bereichernd, sondern auch überlebensnotwendig ist.

Diskriminierung von Fürsorge

Wäre es nicht an der Zeit, diese Fürsorge-Arbeit endlich zu würdigen, sie besser zu entlohnen und sich einmal damit zu beschäftigen, was das für Folgen hat für die, die diese Arbeit ausführen? Auch wenn Väter sich mittlerweile viel selbstverständlicher um ihre Kinder kümmern, als sie das noch Generationen zuvor getan haben, und es auch Krankenpfleger, Kassierer und Erzieher gibt, so ist Fürsorge-Arbeit immer noch vor allem Frauensache, und damit halten in erster Linie sie die Gesellschaft in Krisen-Zeiten zusammen, wie die Zahlen auf Statista beweisen:

Wie die Statista-Grafik auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigt, überwiegt ihr Anteil in denjenigen Berufsgruppen deutlich, die existenzielle Lebensbereiche umfassen. So sind etwa jeweils deutlich über 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Lebensmittel-Einzelhandel, bei den Sozialversicherungen oder den Krankenhäusern weiblich. Bei den Kindergärten und Vorschulen sind es sogar über 90 Prozent. In allen Bereichen ist derzeit großer Einsatz, Mut und viel Improvisations- und Organisationstalent gefragt, um den beruflichen Alltag zu meistern.

Care-Arbeit ist seit jeher ein weiblicher Betätigungsbereich. Das sieht man an Berufen, in denen die Sorge um andere Menschen im Fokus steht. In der Altenpflege liegt der Frauenanteil aktuell bei 84 Prozent, in der Kindertagesbetreuung bei 93,6 Prozent.[ii] Berufe, die traditionell als weiblich gelten, erhalten weniger gesellschaftliche Anerkennung, was eben auch an dem Mythos liegt, Frauen machten diese Arbeit »einfacher« und intuitiv.[iv]

Was bedeutet Erfolg?

Wenn wir an erfolgreiche Arbeit denken, denken wir für gewöhnlich nicht an liebevoll betreute Kinder in der Kita, an ältere Menschen, die respektvoll und fürsorglich behandelt werden oder an Eltern, die zuhause die Familie organisieren, sondern wir denken an Arbeit, die etwas produziert. In unserer kapitalistisch geprägten Gesellschaft erfährt Care-Arbeit viel zu wenig Wertschätzung, weil diese Form der Arbeit keinen Gewinn erwirtschaftet.[i] Das betrifft die Pflegeberufe als auch die private Fürsorge. Dabei ist genau diese Arbeit die Grundlage für die produktive Arbeit, denn wer berufstätig ist, möchte seine pflegebedürftige Mutter und sein eigenes Kind gut umsorgt wissen und braucht ab und zu selbst Fürsorge, um fit und gesund zu sein. Keiner kann am Fließband oder am OP-Tisch stehen und Geld für die Familie verdienen, wenn nicht jemand anderes ein Ohr für dessen Sorgen und Nöte hat oder wenn nicht eingekauft wurde. Das gilt natürlich auch umgekehrt.

Frauensache

Dass vor allem Frauen Care-Arbeit machen, liegt daran, dass nach der Industrialisierung Lohnarbeit und Arbeit im Privathaushalt nach Geschlechtern getrennt wurde. Vorher, als die Menschen auf dem Land lebten und Landwirtschaft betrieben, waren Männer und Frauen gemeinsam für den Lebensunterhalt verantwortlich. Kinder wurden von Geschwistern, Großeltern oder Mägden betreut. Mit dem Umzug in die Stadt, wo in Fabriken Geld verdient werden konnte, machten Frauen die Arbeit zu Hause, denn Platz für eine große Familie gab es nicht mehr. Frauen sollten von nun an durch ihre Männer entlohnt werden, und diese Haltung hat besonders Deutschland geprägt. (Sie gilt teilweise bis heute) Natürlich entscheiden sich Eltern, davon zumeist Frauen, heute noch dafür, die private Care-Arbeit zu übernehmen und damit ganz bewusst und über die Elternzeit hinaus beruflich kürzerzutreten. Manche möchten es, bei andere fordern es die Umstände. Aber die Menschen, die diese wichtige Arbeit zuhause machen, sind finanziell oft kaum abgesichert. Für mehr Geschlechter-Gerechtigkeit ist es also gleichermaßen notwendig, Frauen beruflich zu fördern als Care-Arbeit als gleichwertige Arbeit anzuerkennen und über die finanzielle Frage nachzudenken, denn die hohe Altersarmut bei Frauen rührt auch daher, dass sie sich ihr Leben lang gekümmert, aber kaum Geld verdient haben.

Um zu erfahren, was es heißt, sich um die eigenen Familienmitglieder zu kümmern, muss man es erlebt haben. Kinder haben laufend Bedürfnisse, die Arbeit »hinter den Kulissen« hat nie ein Ende und gesetzlich geregelte Arbeitspausen oder Urlaub gelten nicht. Trägt ein Elternteil die Verantwortung für Care-Arbeit und Familien-Organisation alleine, funktioniert die Familie nicht ohne dessen Einwirken. Willkommen, Mental Load! Wer Kinder betreut, den Haushalt macht und sich um alle organisatorischen Aufgaben kümmert, hat mehr zu tun als in einem 40-Stunden-Job. Wer sich laufend um andere kümmert und immer den Kopf voll hat, dem fehlen Zeit und Raum für eigene Träume, Begabungen und Interessen. Es fällt immer schwerere, sich auf sich selbst zu konzentrieren sich von der anstrengenden Care-Arbeit auszuruhen. Wenn wir nicht anfangen, die Aufgabe von Menschen zu wertschätzen, die sich um andere kümmern, und ihnen in diesem Zusammenhang auch die notwendigen Pausen und eine bessere soziale Absicherung zuzugestehen, schaden wir vor allem Frauen. Dazu ein Zitat aus einem Spiegel-Artikel über „die Ausbeutung der Hilfsbereiten“:

Mütter zerfasern sich, geben buchstäblich Körper und Herz für das Großziehen von Kindern oder für die Pflege eines Verwandten, arbeiten härter in einem Monat als so mancher Abmahnanwalt in seiner ganzen Karriere und machen das ihr Leben lang unbezahlt – aus Liebe.

Und das ist natürlich romantisch und nachvollziehbar, natürlich schützen und stützen wir uns aus Verantwortungsbewusstsein und Bindung, und vermutlich auch aus Biologie, aber das gesellschaftsökonomische Ausnutzen eben dieser Liebe ist ungerecht; weil es die bestraft, die besonders viel aufgrund von Fürsorge und Liebe arbeiten, und diejenigen belohnt, die das genau nicht tun (..).

Ein ausbeuterisches System

Unsere Gesellschaft profitiert davon, dass Frauen sich fürs Kümmern verantwortlich fühlen und baut darauf ein ganzes System auf. Das könnte in der Zukunft noch folgenreicher werden, denn es wird immer mehr ältere Menschen geben, die Pflege benötigen. Aktuelle Reformen scheinen in der Zukunft weiterhin auf die kostenlose Pflegearbeit von den Töchtern, Schwiegertöchtern, Enkeltöchtern und Ehefrauen zu setzen, sagt die Politologin Dr. Cornelia Heintze und kritisiert damit das gesamte deutsche Pflegesystem.[v] Die Diskriminierung von Fürsorge haben wir Frauen längst selbst übernommen. Weil uns die Gesellschaft prägt, erkennen wir selbst kaum an, was wir zu Hause tun, und messen der Zeit, in der wir Geld verdienen, mehr Wert bei. Zwei Stunden im Büro sind demnach »effektiver« investiert als zwei Stunden zu Hause, in denen wir für die Kinder kochen oder die Wäsche machen. Auch gestehen wir uns bei der Care-Arbeit kaum richtige Pausen zu, zumal ja immer die Annahme besteht, man könne sich jederzeit hinsetzen, ausruhen und Kaffee trinken. (Hier bitte laut lachen.)

Frauen an den Tisch!

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Care-Arbeit aus ihrem Schattendasein zu holen und sichtbar zu machen, was aktuell vor allem Frauen leisten. Nun haben wir eine gewaltige Krise zu bewältigen, und nach großen Krisen gibt es einen Neuanfang. In den letzten Jahrhunderten wurde diese Neuanfänge von Männern gestaltet. Männer, die grundsätzlich viel weniger Care-Arbeit machten, haben aus diesem Grund diese wichtige Arbeit nicht ausreichend in den Blick genommen und sehen die Welt deshalb aus ihrem männlichen, kapitalistisch geprägten Blickwinkel. Das muss sich ändern, damit Care-Arbeit endlich die Achtung, Wertschätzung und Entlohnung erfährt, die sie verdient.

Ich möchte zum Abschluss aus dem sehr empfehlenswerten Buch Unsichtbare Frauen (Affilliate Link) von Caroline Criado-Perez zitieren. Dort geht es um die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates. Diese fordert alle Akteure auf, die Beteiligung von Frauen zu erhöhen und Genderperspektiven in alle Friedens- und Sicherheitsbemühungen der Vereinten Nationen aufzunehmen. Damit schien erst ein Meilenstein erreicht, doch es gibt kaum Forschritte, seitdem die Resolution im Jahre 2000 verabschiedet wurde. Noch immer werden Frauen nicht an den Tisch geholt, noch immer wird ihre Stimme nach einer Krise nicht ausreichend angehört:

Sie alle (die Begründungen, warum Frauen nicht mit einbezogen werden) laufen letztlich auf das Versprechen hinaus, mit dem Frauen schon seit Jahrhunderten vertröstet werden: Mit euch beschäftigen wir uns nach der Revolution. (…) (S. 388)

Auch Mareice Kaiser ärgert sich auf Edition F über Frauen, die an den runden Tischen fehlen. Ein Mediendienst spricht aktuell von „zehn deutschen Köpfen“, die in der Krise gefragt sind. Darunter ist keine einzige Frau. Ist das denn zu glauben? Kaiser schreibt:

Warum Frauen gerade nicht gefragt sind? Weil sie zwischen Care-Arbeit, emotionaler Arbeit und systemrelevanter Lohnarbeit keine Zeit für die Antworten haben. Und weil weder die Gesellschaft noch die Politik unsere Antworten hören will – geschweige denn unsere Forderungen (Lohngerechtigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, faire Arbeitsbedingungen in all den Berufen, die noch immer vorwiegend von Frauen ausgeführt werden) umsetzen will.

Talking about a revolution

Wir lassen uns nicht mehr abspeisen und nach dieser Krise wollen wir mitreden. Wir sind keine besseren VerhandlerInnen, wir sind nicht die besseren Menschen, aber mit uns, mit Frauen am Tisch, kommen wir zu besseren Ergebnissen, weil diverse Teams immer erfolgreicher sind. Verschiedene Blickwinkel kommen zusammen, soziale Aspekte werden stärker in den Fokus gestellt. Wenn wir nach der Corona-Krise über unsere Gesellschaft reden, muss das eine Gesellschaft sein, in der Care-Arbeit endlich wertgeschätzt und gerecht verteilt wird: zwischen den Geschlechtern und zwischen den sozialen Schichten. Bis heute brennen Frauen über dem Kümmern aus, meist unbezahlt oder mies bezahlt und nicht sichtbar genug. Damit wird nun Schluss sein.

Care-Arbeit ist nicht kostenlos und unerschöpflich. Sie rettet uns aus der Krise und ist die Grundlage dafür, dass es uns allen gut geht. Das gilt auch für die Arbeit, die Eltern zuhause tun. Und das sind zum Großteil immer noch Mütter.

Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

Ps.: Mein Buch über Mental Load, die Folgen und mögliche Lösungen steht in den Startlöchern. Ich habe das Gefühl, das Thema ist so nötig wie nie zuvor.

PPs.: Bei Meetora biete ich am Freitag, den 10. April 2020, um 10 Uhr ein kleines Webinar für Frauen an: Miss Perfekt kann mich mal. Mama sein ohne Druck. Wir besprechen, welche Schritte wir schon einmal selbst gehen können, um uns stückchenweise von der Belastung zu befreien. Das Webinar eignet sich auch für alleinerziehende Mütter, die so schnell Niemanden haben, mit dem sie sich die Care-Arbeit zuhause teilen. Der Eintritsspreis von 3,99 Euro geht als Spende an die Mias, ein Verein, der alleinerziehende Frauen unterstützt. Komm vorbei, ich freu mich auf dich!

[i]Im Sozialismus haben Frauen besseren Sex, in Psychologie heute, 12/2019.

[ii]Männerberufe, Frauenberufe? Klassische Rollenbilder bestimmen noch immer die Arbeitswelt, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/11/PD19_N009_122.html

[iii]Adalbert Metzinger: Die Erzieherin – bis heute fast ein reiner Frauenberuf, in: https://www.erzieherin.de/die-erzieherin-bis-heute-fast-ein-reiner-frauenberuf.html

[iv]Vgl. ebd.

[v]Cornelia Heintze: Auf der Highroad – der skandinavische Weg zu einem zeitgemäßen Pflegesystem. Ein Vergleich zwischen fünf nordischen Ländern und Deutschland, in: https://library.fes.de/pdf-files/wiso/11337.pdf

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