Panic Room für Mütter: mein Fluchtort in der Krise

Schon vor der Krise war er mein Rettungsort: der Panic Room. Immer mal wieder eskalierten es bei uns nachmittags. Meist stritten sich die Kinder über irgendetwas. Luise schrie und rannte Jimmy hinterher, Oskar verteidigte sie. Jimmy schlug zurück und alle lagen auf einem Haufen. Ewige Diskussionen folgten, Schuldzuweisungen und lautes Brüllen.

Geschwisterstreit

An manchen Tagen kann ich es gut ab. Ich weiß es einzuschätzen, denn auch Anton und ich haben früher  mit unseren Geschwistern gestritten. Drei Kinder ist eine ungünstige Konstellation, immer bleibt eine(r) übrig. Ich helfe dann beim Klären oder trenne die Streithähne, lenke ab und tröste. An anderen Tagen bin ich dazu nicht immer in der Lage. Ich hatte viel Arbeit und keine Pause, bekomme wetterbedingte Kopfschmerzen, war müde oder schlecht gelaunt. Dann explodierte ich, stimmte mit ein in die Brüllerei, haute auf den Tisch und drohte mit Süßigkeitenentzug und „nie wieder Peppa Wutz“. Völlig daneben, ich weiß, aber sind Eltern nicht auch nur Menschen?

Mein Panic-Room

Geholfen hat mir das hier: Hinter der Gästetoilette im Erdgeschoss unseres Hauses gibt es eine Tür zu einem kleinen Verschlag, in dem man kaum stehen kann, weil die Treppe nach oben darüber führt. Dort steht ein Regal mit Bastelkram, Knete und Wolle sowie bis vor kurzem einige Kartons mit Zeug. Als ich mich in meiner Wut einmal in dieses Räumchen flüchtete und die Tür hinter mir mit dem Schlüssel verschloss, kam mir eine Idee. Ich nahm die Kartons, räumte sie in den Keller, holte eine überflüssige Kindermatratze aus Luises Zimmer, legte sie in die Ecke und polsterte alles mit ein paar Kissen aus. Dann packte ich eine Kiste mit Schokolade, einem Schreibheft, einem Buch zum Lesen und einem Anti-Stressball und stellte sie mit in den Raum. Schon all diese Tätigkeiten fühlten sich gut an und als ich in meinem fertigen Räumchen stand, war ich begeistert.

Endlich Ruhe

Ich war sogar so begeistert, dass meine Wut verrauchte. Dann legte ich mich in meine Ecke, schnappte mir das Schreibheft und notierte ein paar Sätze, die mir durch den Kopf gingen. Ich nahm mein Buch und begann zu lesen, im Mund eine Schoko-Praline. Anfangs hörte ich die Kinder über mir schreien, Türen krachten und Oskar jammerte herum. Irgendwann verstummten alle und es wurde ruhig. Nach einer halben Stunde rief Luise nach mir. Dadurch, dass dieses Kämmerlein nicht richtig abgedichtet ist und die Treppe darüber führt, kann man alles hören, was im Haus passiert. Das ist gut und beruhigend, denn ich habe schon einmal versucht, mich mit Ohrenstöpseln abzuschotten. Irgendwie meldet sich dann aber immer ein ungutes Gefühl. Was, wenn sich alle die Köpfe einschlagen, ein Kind wirklich Hilfe braucht oder blutet?

Jedenfalls bekomme ich in meiner Kammer alles mit und bin doch weg. Keiner kommt rein, denn es ist zugeschlossen. Als die Kinder herausfanden, wo ich war, standen sie erstaunt vor der Tür. „Mama, was machst du da?“, fragten sie. „Ich will eine Weile meine Ruhe haben“, rief ich ihnen zu. Sie wunderten sich noch etwas, aber irgendwie fingen sie an, sich zu beschäftigen.

Monster-Mutter

Seit ich meinem Panic Room habe, geht es mir besser. Außerdem finde ich mich selbst nicht mehr so grauenhaft. Denn wenn ich überfordert war mit den Streitereien, wurde ich zum Mutter-Monster, brüllte und schrie, dass die Orks aus den Hobbit-Filmen zauberhafte Wesen gegen mich sind. So kam zur Wut auch noch das schlechte Gewissen und die Gewissheit, die schlimmste Mutter überhaupt zu sein.

Übrigens flüchtet sich nun manchmal Jimmy dort hinein. Das darf er auch. Immer, wenn er richtig sauer auf uns alle ist, flieht er in den Panic Room, brüllt seinen Ärger in die Kissen und beginnt nach einer Weile, in seinem Buch zu schmökern. Jetzt, in Zeiten der Quarantäne, ist es mein sicherer Hafen geworden. Ich brauche meine Ruhe, finde dieses Aufeinander sitzen wirklich grenzwertig. Ich liebe meine Familie, möchte aber auch manchmal ohne sie sein. Außerdem sind da diese traurigen Phasen, trotz der Gewissheit, dass es uns verhältnismäßig super gut geht.

Vielleicht hast auch du so ein kleines Versteck bei euch zuhause und zur Not funktioniert die Toilette oder das Auto als Panic Room. Abschließen, Notkiste aufmachen, lesen, heulen, Schokolade essen – dafür ist sowas gut. Wichtig ist, dass wir verstehen müssen, dass wir Eltern auch nur Menschen sind. Wir brauchen Ruhe und Abstand, gerade auch von den liebsten Menschen in unserem Leben. Denn gerade die rauben uns manchmal den letzten Nerv.

Nebenbei lernen die Kinder, wenn sie dafür alt genug sind, dass Mama und Papa Bedürfnisse haben, die es zu respektieren gilt. Auch Oskar versteht das mit seinen vier Jahren. Es geht gut, vor allem, wenn sie wissen, dasss Mama und Papa nicht weg sind, sondern einfach mal die Türe zugemacht haben. Sind sie so alt wie Jimmy, der bald neun Jahre alt ist, fliehen sie vielleicht sogar selber und haben dann eine Technik, um sich selbst zu beruhigen. Solche Techniken helfen zum Überleben, gerade in der Krise. Braucht ein Kind doch Trost und möchte kuscheln, ist die Tür ratzfatz wieder offen – logisch!

Und nun wünsche ich dir gutes Durchhalten. Wenn es dir schwer fällt, fröhlich zu bleiben, zieh dir ein paar Videos von Martina Hill als Mutter rein. „Knallerfrauen“ googeln und loslachen. Das mache ich in meinem Panic-Room am allerliebsten und danach gehts mir immer schnell wieder gut.

Bleib gesund und am besten unperfekt, deine Laura

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