Das ewige Vergleichen: warum schauen wir Eltern immer so kritisch auf unsere Kinder?

„Dreht er sich auch schon?“, fragte die Frau im Bus, die ich aus dem Geburtsvorbereitungskurs kannte. Ich blickte herab auf Jimmy, der brüllend in seinem Wagen lag. Er lag da auf dem Rücken wie ein Käferchen, wie ein sehr unzufriedenes und unmotiviertes Käferchen. Die Kleine im Kinderwagen daneben grinste zahnlos vor sich hin, stützte sich munter in Bauchlage auf die Unterärmchen und gurrte zufrieden. „Milla dreht sich immerzu, wenn ich sie auf den Boden lege“, schwärmte die stolze Mutter. Gleich erzählt sie mir noch, dass ihre Tochter durchschläft, dachte ich neidisch. Ich schaute noch ein bisschen kritischer auf Jimmy, der die meiste Zeit des Tages richtig wütend war, wie jetzt auch, und der nicht im Traum daran dachte, sich auf die Ärmchen zu stützen, geschweige denn sich zu drehen. Alle Kinder waren scheinbar ruhiger, mobiler, zufriedener. Und da war es, dieses Vergleichen. Dieser seltsame Blick auf das eigene Kind. Warum war es nicht so, wie alle anderen? Hatte es eine Störung, war irgendwas nicht in Ordnung? Hatte ich schon in den ersten Monaten etwas falsch gemacht?

Wenn ich heute an diese Sorgen denke, bin ich froh, dass mir so etwas nicht mehr in den Sinn käme. Mittlerweile ist Jimmy sieben und ich habe noch zwei andere Kinder. Nun weiß ich, dass jedes Baby mit einer Menge Gaben und auf die Welt kommt. Viele Dinge fallen ihm zu, aber Einiges muss es in seinem Leben auch schwer erlernen. Manches klappt vielleicht nie richtig. Das eine Kind ist besonders sensibel und feinfühlig, das andere hat ein großes Selbstbewusstsein. Das eine traut sich viel, das andere ist schüchtern.

Trotzdem schauen wir Eltern oft kritisch, wenn unser Kind etwas nicht kann. Das ist sicher in gewissem Maße normal. Denn im Grunde ist da die Angst, unser Kind könnte es nicht schaffen. Es könnte in der Schule scheitern, keine Freunde finden, traurig, einsam und isoliert werden. Davor wollen wir unsere Kinder beschützen und so leuten die Alarmglocken, wenn das Kind immerzu alleine spielt, erst spät redet oder seinen Namen nicht schreiben kann.

Im Nachhinein lache ich mich kaputt, weil ich Jimmy ständig das Laufrad vor die Füße stellte. „Probier es doch mal, es macht total viel Spaß“ habe ich ihm gesagt und dabei nach Kindergartenkumpel Jonas geschielt, der auf seinen zwei Rädern durch die Gegend düste. Jimmy hatte einfach kein Interesse am Fahren und verstand nicht, warum seiner Mutter dieses Laufrad doch so wichtig war. Bei Oskar ist es mir nun ziemlich egal, ob er gerne fährt. Wir bieten es ihm an, aber wenn er nicht will, passt das auch. Ehrlich gesagt nervt es mich zur Zeit total, dass Jimmy und Luise immer noch nicht schwimmen. Aber es interessiert mich nicht, wenn es andere Kinder in diesem Alter längst tun.

Dennoch kenne ich das Vergleichen der eigenen Kinder mit anderen nur zu gut. Und ich kenne auch diese Angst, die dem Vergleichen zu Grunde liegt. Aber ich kann dich vielleicht ein wenig beruhigen. Die wichtigen Sachen lernen die Kinder alle irgendwann, der eine früher, der andere später. Ich kenne Kinder, die lagen noch am ersten Geburtstag auf dem Rücken und sind nun wieselflinke Fußballspieler. Ich kenne Kinder, die wollten nie Laufrad fahren und rasen nun mit Skiern den Berg hinab. Kinder, die die ersten drei Jahre nichts sprachen, labern den Eltern das Ohr blutig und solche, die nur brüllten, sind ein kleiner Sonnenschein geworden.

Wir lieben unser Kind von Anfang an so sehr, aber schauen doch immer wieder kritisch auf dessen Entwicklung. Vielleicht müssen wir selbst in den meisten Fällen viel mehr lernen, als das Kind, nämlich in erster Linie, ihm zu vertrauen. Denn Kinder sind von Natur aus wissbegierig, sie wollen lernen, sie wollen mitmachen und einen Beitrag leisten, das liegt in unseren Genen. Wirkliche Probleme werden uns nicht entgehen, dafür ist das Kontrollsystem aus Kinderarztuntersuchungen und Erzieher-Entwicklungsgesprächen sehr eng. Alles andere kommt in den meisten Fällen von alleine.

Schüchterne Kinder zu unterstützen und ihnen als Eltern Mut zu machen, ist schön und wichtig. Am Ende ist es aber auch ok, wenn es mit großen Gruppen und fremden Menschen Probleme hat. Geht es einem der Eltern nicht selbst genau so? Es ist auch in Ordnung, wenn ein Kind keine Sportskanone ist. Lassen wir es ein paar Sportarten ausprobieren, aber Lebensglück erlangen Menschen auch ohne Fußball, Tennis oder Ballett. Auch ein Abitur ist nicht immer das Ziel einer Schulkarriere. Aber eine schöne Schulzeit, die sollte das Kind haben, und das gelingt sicher am besten ohne Druck.

Unsere Kinder sind ziemlich gut so, wie sie sind. Ihnen das zu vermitteln ist das wichtigste, finde ich. Wenn sich also dein Baby nicht drehen möchte, das Kleinkind Laufrad fahren doof findet oder dein Schulkind mit den Buchstaben fremdelt, warte ab und gib ihm Zeit. Meist klappt alles von alleine, früher oder später. Meredith Haaf hat im aktuellen Heft der Südeutsche Familie einen schönen Text zu diesem Thema geschrieben, der sehr rührend endet:

„Denn das tollste Geschenk, das man einem Menschen machen kann, ist nicht die tollste Förderung und das aufmerksamste Fordern. Das eigentliche Geschenk ist, dass man ihm lässt, was am Anfang an da war: das große, gute Genaurichtigso.“

Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

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