Loslassen

Wie war das nochmal mit den Wurzeln und den Flügeln, die man Kindern geben soll? Dieser kitschige Spruch, den Jeder mal auf einer Postkarte liest und dessen Anweisung so einfach klingt, ist allgegenwärtig, wenn es ums Elternsein geht. Seit ich selbst Kinder habe, wird mir ständig aufs Neue bewusst, wie schwer das Loslassen sein kann. Jetzt sind sie noch klein, aber es beginnt mit kleinen Schritten, die in kurzer Zeit zu Siebenmeilensprüngen anwachsen. Die ersten Strampler, die schon nach zwei, drei Wochen in die Kiste kommen, wenn das Baby so winzig ist, sind der Anfang. Schon jetzt ist der Anblick von den Mini-Hosen unglaublich, war die Maus echt mal so klitzeklein???
Ich bin allerdings keine Mutter, die die Säuglingszeit ausnahmslos genießt. Nie habe ich so hart gearbeitet, so wenig geschlafen und so laut geflucht. Die Vollzeit-Pflegefälle machen eine Menge Arbeit und ich bin stolz und froh über jeden Fortschritt der Kinder. Die ersten acht Monate sind ein Vollzeitjob mit massenhaft Überstunden, bei denen jedem Unternehmensberater die Ohren schlackern. Ich applaudiere also lautstark über die erste Breispeise, die ersten Krabbelversuche und die kleinen Spaziergänge durch die Wohnung.
Das erste Wochenende meines Großen bei Oma und Opa ohne eine Träne des Vermissens seinerseits war für mich dann doch schwer.

Diesen Post schreibe ich deshalb, weil mich die Macht des Loslassens mit voller Wucht traf, als ich Babysachen zusammenpackte. In unserer Familie gibt es bald neuen Zuwachs und meine Schwägerin erhält einen Teil unserer Babyausstattung. Himmelbettchen, Mobile, Rasseln und bergeweise Kleidung haben ausgedient und verlassen vielleicht für immer unser Zuhause. Zwar sind das nur Gegenstände, aber sie bedeuten so viel, erinnern an zahlreiche schöne Momente. Akribisch fotografiere ich jedes Teil, damit sich die Kinder später anschauen können, womit sie gespielt, worin sie geschlafen haben. Ich selbst liebe alte Fotos, auf denen mein Teddy auftaucht, oder ich einen alten Holzbus wiedererkenne.

Welche Mutter kennt es nicht, wenn ältere Damen in Bus und Bahn die Kinder betrachten und wehmütig seufzen: „Genießen Sie die Zeit, sie werden so schnell groß!“. Innerlich zeige ich jedes Mal den Vogel, aber ich ahne jetzt schon, wie recht all die tattrigen Mütterchen im öffentlichen Nahverkehr haben. Wenn ich meinen Sohn festhalte, kitzel und abknutsche, und er dabei lacht, wird mir bewusst, dasss er das irgendwann nicht mehr möchte. Der kleine, kuschelige Körper, den ich jederzeit drücken und an mich ziehen kann, ist irgendwann die tolpatschige Gestalt eines Teenies, der garantiert lieber in den Teppich beißt, als von seiner Mutter geküsst zu werden. Oh jeeh!

Ein paar Jahre habe ich meine Vögelein noch bei mir. Und Loslassen hat auch sein Gutes: Es schafft Platz für Neues. Die Wiege weicht einem neuen Kinderbett, und die Minimaus spielt jetzt lieber mit den Autos des Großen, als mit der Quietscheente. Loslassen gehört zum Leben, ob man Kinder hat, oder nicht. Und so schwer es meist scheint, so viel neue Erfahrung, so viel Beginn und so viel Zauber kann darin stecken.Wie ein Luftballon, der aus der Hand gleitet, ist der Schreck anfangs groß. Aber der Anblick des fliegenden bunten Balls, der sich immer weiter entfernt, ist doch schmerzlich schön.
Laura

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