Im Leben tun wir Dinge, die gut, schön und wunderbar sind, aber trotzdem sehr, sehr weh tun. Ich denke da an meine Freundin, die den Jakobsweg gegangen ist. Sie hatte Gründe genug, loszulaufen, und schaut nun auf eine Reise zurück, bei der sie neue Freunde, eine Menge Erfahrungen und tiefe Einblicke in ihre Seele gewonnen hat. Aber es gab Momente, da hat sie nur geweint. Warum tue ich mir das an, hat sie sich gefragt. Sie saß mit offenen Blasen an den Füßen und bei strömendem Regen mitten auf dem Camino Frances, verfluchte ihre Idee, wollte zurück in ihre kleine, warme Wohnung in Berlin und hatte keine Lust mehr, auch nur einen einzigen Schritt zu tun.
Mein Jakobsweg
An meine Freundin denke ich oft, denn ich gehe meinen eigenen Jakobsweg. Mein Ziel ist nicht die Kathedrale in Santiago. Mein Ziel ist, drei Kinder auf ihrem Weg in die Selbständigkeit zu begleiten, ihnen eine schöne Kindheit mit Liebe und Geborgenheit zu schenken und sie dadurch zu herzensguten, verantwortungsbewussten und für sich selbst und andere sorgende Menschen zu machen. Dieser Weg wird sich lohnen, das weiß ich. Und Kinder zu bekommen war die beste Idee, die ich in meinem Leben hatte. Dennoch sitze ich gerade mitten im strömenden Regen auf einem kleinen Stein. Mir tut der Rücken weh, ich bin am Ende meiner Kräfte und ich weiß nicht, wie ich die vielen Schritte schaffen soll, die vor mir liegen.
Mutmacher
Oft sind es in solchen Momenten andere Menschen, die wir treffen, die uns Mut machen. So war es auch bei meiner Freundin, die mit ihrem offenen und strahlenden Wesen immer Seelenverwandte findet, egal wo sie ist auf der Welt. Die eigenen Sorgen teilen, Schwächen zugeben und herzhaft über sich selbst lachen können – mit diesem Rucksack voll Eigenschaften öffnen sich meiner Freundin Türen und Tore und sie fühlt sich geborgen, auch wenn sie fern von zuhause ist.
Mutig sein heißt, darüber zu sprechen, dass wir manchmal nicht mehr können. Dass wir Dinge hinterfragen, die in unserem Leben schief zu gehen scheinen. Wenn wir unser Unglück teilen, finden wir andere, denen es eben so geht. Dann wissen wir: wir sind nicht alleine mit diesem Berg von Sorgen, mit dieser Last.
Seelenverwandte
Ich scrollte neulich durch meine Timeline. Da ploppte ein Facebook-Post von einer geschätzten Bloggerin auf Infemme.com und erfolgreiche Autorin zahlreicher toller Bücher auf. Sie heißt Rike Drust und meldete sich mit einem Kommentar, den ihr eine Leserin zukommen ließ. Die Leserin wollte anonym bleiben und die Community um Rat in ihrer Situation bitten. Der Text war sehr lang, aber schon beim Überfliegen der Schilderungen dieser fremden Frau war ich gerührt.
Sie ist 34 Jahre alt, wie ich. Sie hat drei Kinder, wie ich. Und sie ist erschöpft, wie ich. Sie erzählt, wie kaputt sie von ihrem Alltag ist. Diese völlige Selbstaufgabe, dieses Chaos im Haus, diese Nerven kurz vorm Kollaps:
„Nur der Alltag stresst mich extrem. Drei Jungs mit unterschiedlichen Bedürfnissen wollen 24h Mama haben, die ihre Bedürfnisse befriedigt. Ich habe das Gefühl, es nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich fühle mich oft wie in einem Gefängnis.
Es ist wirklich nur Stress. Es geht morgens schon los- früh aufwachen, obwohl die Nacht mit einer kurzen Unterbrechung nicht so erholsam war, duschen in Sekundenschnelle, Kinder fertig machen- zwei an der Zahl, mit dem großen Jungen diskutieren über Pubertätskram.
Ich schwitze, wenn ich das Haus verlasse und bin total genervt!“
Sie schreibt darüber, wie schön es ist, ein paar Stunden in Ruhe ihrem Job nachzugehen, während die Kinder in Kindergarten und Schule sind. Der Blick auf die Uhr und das Ende dieser Entspannungsphase macht ihr Bauchschmerzen. Sie schildert ihren Nachmittag, der wild und laut ist, in der keine Zeit bleibt, um alleine auf die Toilette zu gehen, weil der 2-jährige Sohn so an ihr klebt. Sie erzählt, dass sie mit schlechtem Gewissen von einem Leben ohne Kinder träumt:
„Ja, richtig, zur Zeit denke ich sehnsüchtig nach einem Leben ohne Kinder und Stress hinüber. Ich stelle mir vor, dass ich dreimal die Woche in mein Fitnessstudio gehen könnte, ich hätte zusammen mit meinem Mann „Geld ohne Ende“, ich könnte nachmittags einfach direkt nach der Arbeit in das saubere, ruhige Haus und den nächsten entspannten Weihnachtsbummel oder Urlaub mit Freunden und Mann planen.“
Sie berichtet weiter, wie sehr sie mit sich hadert, dass sie so denkt. Warum schaffen alle anderen Mütter das alles, und vor allem: wie schaffen sie es? Außerdem klingt ihre Angst mit, all diese Dinge so zu äußern. Wir alle kennen die Reaktionen im Netz, wenn eine Mutter ihre Situation beklagt. Da hagelt es Kritik und Boshaftigkeit, immer klingt der Vorwurf mit, wer sich beschwere, sei keine gute Mutter. Deshalb fragt sich die Schreiberin:
„Wieso dürfen wir Frauen das nicht fühlen und benennen in unserer Gesellschaft, ohne gleich als Rabenmutter oder psychisch instabile Persönlichkeit gesehen zu werden? Ist es nicht normal, dass man als Mensch auch Mensch sein will?“
Ich kenne diese Gefühle
Mich hat der Text so berührt, weil ich mich an vielen Stellen wiedergefunden habe. Diese Kraftanstrengungen, die es braucht, um drei Kinder zu betreuen. Diese Müdigkeit und die Erschöpfung. Der Wunsch, heute Nachmittag einfach mal keinen der Drei abholen und bespaßen zu müssen. Auch ich bin es so leid, dauernd aufzuräumen. Meine Kinder veranstalten bei uns zuhause in nur zwei Stunden ein riesen Chaos. Wo ich zuvor noch aufgeräumt und geputzt habe, ist es bald schmutzig und durcheinander. Ja, so ist es, wenn Kinder im Haushalt leben. Aber hin und wieder bin ich so müde, dauernd für Ordnung sorgen zu müssen. Unser Krabbelkind ist den lieben langen Tag damit beschäftigt, Becher auszukippen, vom Stuhl zu fallen und Krümel im ganzen Haus zu verteilen. Ich mag die Streiterei zwischen den Großen nicht mehr hören und das viele Geschrei raubt mir oft die Nerven.
Mich hat noch etwas berührt, das auch die Autorin Rike Drust zu einem Kommentar veranlasste. Beim Lesen der Zeilen schwante mir schon der Inhalt der Community-Kommentare, mittlerweile sind es 205 an der Zahl. Vermutlich würden hier wieder Hasstiraden geschwungen über Frauen, die ihre Mutterrolle nicht annehmen würden, die egoistisch seien, wo doch Frauen als Mütter klaglos Haushalt und Kinderbetreuung mit Glückseligkeit hinzunehmen hätten. Ich selber veröffentliche meine Texte, in denen ich offen und ehrlich über das Kinderhaben schreibe, immer mit einem unguten Gefühl und habe Angst vor einem Shitstorm der Mütter-Front. Aber die Community von Rike Durst reagierte ganz anders! Alle hatten großes Verständnis, schrieben, dass es ihnen ähnlich ginge. Machten Mut und versuchten, hilfreiche Tipps zu geben. Das hatte ich nicht erwartet!
Rike Durst schrieb dazu: „Eure Solidarität und Euer Verständnis haben mir eben glückliche Tränen in die Augen getrieben. ICH BIN SO VERLIEBT IN EUCH ALLE! UND ICH MÖCHTE JEDER VON EUCH EIN GEHEIMANSTECKZEICHEN GEBEN, DAMIT WIR UNS ALLE ERKENNEN KÖNNEN.“
Mütter-Support
Eben erst hatte ich meine eigene Situation beweint. Dann kamen mir die Tränen in die Augen, weil ich die Frau mit ihrem Text so gut verstanden habe. Die nächsten Tränen heulte ich aus Rührung über die Anteilnahme der anderen Frauen. Oft plädiere ich hier auf dem Blog für mehr Solidarität unter Müttern. Diese Woche habe ich einen Gastbeitrag auf Sonjas Blog Mamanotes veröffentlicht, in dem ich mich für mehr Zusammenhalt aussprach. Wie schön, dass es diese Solidarität unter Müttern tatsächlich im Netz gibt.
Ich möchte aber auch der unbekannten Mutter sagen, wie mutig ich es finde, ihre Sorgen und Nöte im Netz zu teilen. Falls du mich hörst, liebe Schreiberin da draußen: ich habe deinen Text ausgedruckt und in meinen Wintermantel gesteckt. Als ich mich gestern aufmachte, um meine Kinder abzuholen, und mir der Weg schwer fiel, weil ich wusste, dass da wieder ein ziemlich anstrengender Nachmittag kommen würde, da hat mir der Zettel ganz viel Mut gemacht. Ich wusste, dass ich nicht alleine bin. Dass es eine Tatsache ist: Kinder oder ein Kind erziehen und betreuen kann ein Kraftakt sein, der uns hin und wieder alles abverlangt. Ich wusste, dass es nicht an mir liegt, dass ich nicht überempfindlich, ungeduldig oder gar eine schlechte Mutter bin, weil ich nicht immer Glück fühle, sondern auch mal traurig und erschöpft bin. Dass es ein normales Bedürfnis ist zu wünschen, dass es mal einfach wieder um MICH geht – das war Balsam für meine Seele.
Auf nach Santiago
Wir können das Kinder-Haben sehen wie eine Reise auf dem Jakobsweg. Es wird die bereicherndste Reise sein, die wir in unserem Leben gemacht haben: da ist ganz viel Glück und Zufriedenheit. Stolz auf unsere Söhne und Töchter, unglaublich viel Zuneigung und Liebe. Tiefe Einblicke in unsere Seele, in unsere Vergangenheit und in die dunklen Seiten unseres Ichs. Und es wird immer und immer wieder Momente geben, in denen wir heulend im Regen sitzen und unsere Wunden lecken. Wenn wir dann ehrlich sind, unsere Sorgen und Ängste teilen und uns gegenseitig unterstützen, dann fassen wir Mütter neuen Mut und bekommen neue Kraft. Auf, in Richtung Santiago, Mädels, wir schaffen das – gemeinsam!
Danke für deinen Text, liebe fremde Person. Du hast in mir eine Schwester im Geiste!
Bleib fröhlich und unperfekt,
Laura
Ps.: Danke auch an Rike Drust, die vielleicht im Gefühl hatte, was die Worte in vielen Lesern auslösen würden. Ich liebe deine Bücher „Muttergefühle. Gesamtausgabe“ und „Muttergefühle. Zwei: Neues Kind, neues Glück“ und empfehle sie hiermit allen Müttern dringend weiter!
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