🤯 Wie kann es gelingen, dass Mütter drei Wochen Auszeit von der Familienarbeit nehmen? Und hilft eine Mutterkur gegen Mental Load?
Mich erreichte ein Brief von Laura, Mama von zwei Kindern und Angstellte in Teilzeit. Sie hat eine Kur gemacht und dort erlebt, wie erschöpft Mütter sind. Sie appellierte in ihrem Brief daran, endlich etwas zu ändern. Die Erschöpfung von Frauen ist ernst zunehmen und weit verbreitet, diesen Eindruck teile ich mit ihr.
Laura hat in ihrem Leben inzwischen Einiges geändert und ihre mentale Belastung stark reduziert. Grund dafür war auch eine psychische Erkrankung, die ihr gezeigt hat, wie wichtig mentale Gesundheit ist. In dieser Podcast-Folge von Lauras Mental-Load-Sprechstunde rede ich mit Laura über eine Mutterkur, was Frauen darüber hinaus noch dringend brauchen, was wir in unserer Gesellschaft verändern müssen und was sich auch in der Arbeitskultur ändern sollte. Was können wir darüber hinaus selbst tun? Zum Beispiel, andere Frauen nicht länger zu bewerten.
Diese Folge ist dank Laura so gelungen und ich lege sie dir wärmstens ans Herz. Laura und ich haben so wichtige Dinge und so viele Erfahrungen angesprochen, die wir teilen. Vielleicht geht es dir auch so! Vielleicht ermutigt dich diese Folge darin, eine Mutterkur in Erwägung zu ziehen. Viel Spaß beim Hören und hier kommt Lauras Brief.
Lauras Brief
Es ist Montag, der 9. Januar 2022 und ich befinde mich in einer Mütter-Vorsorgeklinik in Südbayern. Ich bin sauer und enttäuscht und habe das große Bedürfnis ein Bewusstsein für Mütter zu schaffen. Es ist der innere Drang eine Art Brandbrief zu verfassen und diesen überall zu streuen, damit endlich alle aufwachen und die Unverhältnismäßigkeit wahrnehmen.
Ich möchte nicht länger leise sein und im großen Hamsterrad mitlaufen, sondern meine Stimme erheben und andere Frauen unterstützen, motivieren und ermutigen.
Für all die Mütter, die arbeiten. Mütter, die nicht arbeiten. Mütter, die Angehörige pflegen. Mütter, die kranke Kinder haben und Mütter, die Sternenkinder im Herzen tragen. Mütter in ihren unterschiedlichsten Facetten.
Aber erst einmal zurück zum Anfang. Ich bin Laura, 35 Jahre, verheiratet, Teilzeit-Berufstätig, habe Zwillingsmädchen im Alter von 6 Jahren. Vor zirka zwei Jahren hatte ich einen kompletten Zusammenbruch und war aufgrund einer schweren depressiven Episode sowie einer generalisierten Angststörung in der Psychatrie. Heute kann ich sagen: Zum Glück. Das Wort Psychatrie klingt unschön und die meisten haben – übertrieben gesagt- Bilder von Ärzten in Kopf, die mit langen Spritzen und Zwangsjacken durch die Flure laufen. Aber das Gegenteil ist natürlich der Fall: Sowohl die Ärzte & die Pfleger sowie die Patienten sind unglaublich normal. Und alle Patienten, die in einer Psychatrie behandelt werden, reagieren auf ihre Art und Weise auf diese ungesunde, leistungsorientierte Gesellschaft, deren Bild so sehr überholt ist.
In den letzten zwei Jahren war ich also stationär sowie in ambulanter Therapie, ich nehme seither Antidepressiva und versuche unter anderem durch sämtliche Coping-Strategien meinen Leben zu bestreiten. Nach bestem Wissen und Gewissen. Auch nach zwei Jahre habe ich immer noch eine mittelschwere Depression und auch meine Angststörung hat sich leider nicht ad hoc in Luft aufgelöst.
Psychische Erkrankungen brauchen Zeit. Aber es ist nicht nur Zeit, was eine vollstündige Genesung fördert, sondern auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft und endlich mal eine Entstigmatisierung psychischer Krankheiten.
Noch vor meiner Erkrankung liebäugelte meine Chefin damit mich zum Teamleiter zu benennen. Damals arbeitete ich noch in Vollzeit. Leider war nach meiner Erkrankung und der Offenheit darüber, keine Rede mehr von einer Teamleiterfunktion. Denn nicht nur die Reduzierung der Arbeitszeit (von 35 auf 25 Stunden), sondern auch meine Erkrankung („Du bist halt einfach nicht mehr so belastbar. Und du bist manchmal kindkrank. Ich muss hier ein Business am laufen halten, ich hoffe du verstehst das.“). Wie schön, dass „Offenheit“ eines der Unternehmenswerte ist.
Im August 2021 sowie im November 2022 wurde bei meinem Mann ein Hodentumor und auch Nerventumor in der Leiste festgestellt. Beide Tumore sind glücklicherweise gutartig und konnten entfernt werden. Die Gefahr, dass der Krebs wieder kommt bleibt. Seither verstehen mein Mann und ich ältere oder erkrankte Menschen noch mehr, die sich nichts anderes als „Gesundheit“ wünschen und deren „Gesundheit“ das kostbarste Gut ist.
Diese beiden Diagnosen befeuerten meine generalisierte Angststörung im Laufe der Zeit zunehmend. Meine Therapeutin und auch mein Arzt rieten mir zu einer Reha. Liebend gerne hätte ich eine psychosomatische Reha in Anspruch genommen, aber es war uns ein Rätsel wie mein Mann, vollzeit-arbeitend, 6 Wochen lang die Kinder alleine betreuen soll. Zumal wir befürchteten, dass unsere Kinder diese 6 Wochen nicht gut verkraften würden, da sie in den letzten zwei Jahren einiges miterlebt haben.
Eine Alternative musste her: Ich recherchierte welche machbaren Möglichkeiten bestehen und entdeckte die „Mütterkur“. Ich lies mich beim Müttergenesungswerk kostenlos hierzu beraten und sie sagten mir, dass es eine 3-wöchige Kurmaßnahme nur für Mütter gäbe. Also ohne Kinder, einzig allein für müde, ausgelaugte, erkrankte Mamas – einfach alle Mamas, die in dieser lauten Welt mal auf ‚Stopp‘ drücken müssen oder können.
Mein Antrag wurde genehmigt und so sitze ich hier in Bayern, in einem Kurhaus mit vielen anderen Müttern und ich bin wütend. Ich bin wütend und enttäuscht, denn diese großartigen Frauen, die hier ja nur exemplarisch für die Mehrheit der Mütter da draußen stehen, sind alle müde. Sie sind müde von den Anstrengungen, die ihnen zu schaffen machen. Jede einzelne davon braucht eine Pause und hat sie vor allem verdient! Es ist unglaublich wohltuend und auch erleichternd zu hören, dass jeder sein eigenes, kleines Päkchen zu tragen hat, aber dass diese Bubble, in der wir hier uns derzeit befinden, unsere safety zone ist, in der wir sein können wer wir sind. Es ist okay In Gruppentherapien zu weinen, weil es zu Hause Eheprobleme gibt. Es ist okay beim Essen stillschweigend da zu sitzen und einfach nur zuzuhören, weil man einen schlechten Tag hatte. Es ist okay vor allen auszusprechen was wohl möglich viele andere Eltern denken: Es ist zu viel, ich kann nicht alles schaffen. Es ist okay an Kreativworkshops am Abend teilzunehmen, sich neu auszuprobieren und zu schauen, ob eines der Angebot eventuell auch ein neues Hobby für zu Hause sein könnte. Es ist okay einfach mal alles zu machen auf das man Lust hat & die eigenen Energiereserven aufzuladen.
In den letzten Tagen führte ich intensive Gespräche mit anderen Frauen. Hier herrscht eine Akzeptanz und Offenheit, wie sie „draußen in der Gesellschaft“ nicht so zu finden ist. Oft hörte man den Satz wie „Sonst würde ich mich nicht trauen das zu erzählen“ oder „Ich berichte niemandem von meiner Krankheit. Hier stört es niemandem, weil ich weiß, dass ihr mich versteht. Ich habe aber Angst, dass man doch ein Stigma aufgedrückt bekommt“ oder „Ich bin so unendlich traurig und verzweifelt in meiner Lebenssituation. Nach außen tue ich so als wäre ich stark und patent, aber ich weiß nicht wie ich weitermachen soll“.
Die Mütter, die berichten, sind Mamas, die nicht nur Kinder haben, sondern die Angehörige pflegen, die arbeiten und sich täglich dem Spagat zwischen Kind(ern) und Job ausgesetzt sind, die selbst krank sind, die Eheprobleme haben, die Traumata noch nicht verarbeiten konnten und und und.
Es spielt keine Rolle, welchen Job die Mamas haben, denn hier findet sich ein Blumenstrauß an Tätigkeiten, die alle wichtig sind. Eine Gesellschaft braucht nicht nur Ärzte oder Lehrer, sondern Krankenschwester, Amtsangestellte oder Busfahrer. Wir alle zusammen kreieren mit unseren Jobs die Infrastruktur und so ist Wertschätzung jeglicher Arbeit wichtig.
Was aber auffällt ist, dass alle von identischen Herausforderungen berichten: Zeitstress, Erziehungsprobleme, Krankheiten, gesellschaftliche Ansprüche, suggerierte Selbstoptimierung, schlechtes Gewissen, den struggle Kind & Job zu vereinbaren.
Als Beispiel: Eine Ärztin, 4 Kinder, spricht 3 Sprachen, eine wunderbar warme, lustige Frau. Sie berichtet von jahrelangen Depressionen und dem Gefühl „nicht gut genug zu sein“ aufgrund dessen, dass sie Vollzeit ihre Kinder großgezogen hat.
Eine 60-jährige Frau, ist bereits Oma von wie sich berichtet zuckersüßen Enkelkindern, arbeitet in Teilzeit in der (eh schon viel zu wenig geschätzten) Pflege und pflegt zu Hause noch ihre erkrankte Mutter. Sie fühlt sich überfordert, ausgelaugt, gestresst und „schafft es nicht allen gerecht zu werden.“. Am wenigsten sich selbst.
Natürlich nicht. Und das ist das Problem: Wer schafft denn schon alles? Welche Mutter hat Kinder, arbeitet, schmeißt den Haushalt, geht regelmäßig ihren Hobbies nach, ist nicht nur Mutter, sondern auch Freundin und Ehefrau UND macht aus Sicht der Gesellschaft alles richtig? NIEMAND.
Es muss verdeutlich werden: Good enough is the new perfect.
Lasst uns achtsamer sein im Umgang mit anderen Mamas (und auch Papas!), die tagtäglich ihr Bestes versuchen. Lasst uns weniger verurteilen, denn wir können den Menschen nur vor die Stirn gucken. Wir wissen nicht welches Paket von anderen Mamas und Papas getragen wird, welche Schicksale sie erlebt haben und unter welchen sie noch immer leiden. Lasst uns Mamas und Papas im Job nachsichter begegnen, denn niemand weiß, ob zum Beispiel das Baby die letzte Nacht ständig wach war. Lasst uns Mamas&Papas supporten, die sich für eine Mütterkur (oder Väterkur) ohne Kinder entscheiden und somit gesund werden oder bleiben wollen. Gesunde Kinder brauchen eine gesunde Mutter/einen gesunden Vater. Lift others up anstatt zu werten oder zu verurteilen.
Liebe Führungskräfte,
ich wünsche mir, dass ihr den Mut habt das Thema mentale Gesundheit zu sehen, zu verstehen und in die Realität einzubauen. Es gibt viele Workshops über psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz. Bitte schaut nicht weg, sondern lässt uns zukünftig präventive Maßnahmen ergreifen, bevor es zu spät ist und der Arbeitnehmer monatelang aufgrund eines Burnouts ausfällt.
Ich plädiere für mehr Bewusstsein, Menschlichkeit und Akzeptanz in unserer Gesellschaft. Für eine bessere Zukunft für uns und unsere Kinder.
“A crisis highlights all of our fault lines. We can pretend that we have nothing to learn, or we can take this opportunity to own the truth and make a better future for ourselves and others.” (Breme Brown)
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