Das Dankbarkeitstagebuch
Heute morgen begegnete mir auf Instagram eine prominente Mutter, die erzählte, dass es so nicht weiter gehen kann. Sie hat drei Kinder und eine Menge zuhause zu tun. Sie wollte etwas gegen ihre negative Sichtweise auf die Dinge unternehmen und gegen ihren Unmut angehen. Ihr Plan lautete: jeden Abend zehn Dinge aufzuschreiben, die gut liefen. Wofür sie dankbar ist und was sie alles geschafft haben. So sollte alles besser werden. Amen.
Ich möchte die Damen schütteln und rütteln und sagen, dass es so nicht besser wird. Dankbarkeitstagebücher führen und früher aufstehen, drei Minuten am Tag meditieren und am Wochenende den Partner bitten, die Kinder für ein paar Stunden zu übernehmen, sich eine kleine Auszeit gönnen und hinterher ebenjenem mit Dankbarkeit huldigen – all das wird nicht dazu führen, dass es ihr besser geht, vermute ich.
Früher aufstehen und öfter meditieren
Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich bis vor kurzem ja selbst so gedacht. Vor eineinhalb Jahren habe ich hier auf dem Blog ein Entspannungsprojekt gestartet und meinte, mit Meditieren und Yoga wäre ich endlich entspannter. Auslöser für das Projekt war, dass ich mich so gestresst fühlte und diesen Stress an den Kindern ausließ. Ich habe nebenher Erziehungsratgeber gelesen, die sich mit bedürfnisorientierter Erziehung befassten. Den Ansatz fand ich gut, fühlte mich aber so schuldig, weil ich, gestresst, genervt und müde, die Kinder ständig anschrie.
Ich war damals gestresst, weil ich nicht klar kam mit den Kindern, dem Haushalt und meinem Halbtagsjob. Ich versuchte erst, nicht mehr zu arbeiten. Dann habe ich gemerkt, dass ich ohne Arbeit nicht glücklich bin. Sie macht einen großen Teil meiner Identität aus und ich habe einen Schreibzwang, wenn man das so sagen kann. Ich fing also wieder an zu arbeiten. Weil ich selbstständig bin und mein Geld mit Text und Marketing-Konzepten verdiene, ging das. Aber hart war es schon, weil es schwer ist, genug Geld zu verdienen.
Ich dachte aber, wenn ich nur mehr Geld verdiene, dann werde ich in meinem Beruf ernster genommen, kann mehr arbeiten und muss mich weniger um den Haushalt und die Kinderbetreuung kümmern. Gleichzeitig schämte ich mich, dass ich so dachte, denn wie kann eine gute Mutter die Zeit zuhause mit den Kindern als anstrengend empfinden? Ich schaute immer öfter meinem Mann hinterher, der morgens das Haus verließ und war richtig neidisch auf ihn.
Auf ganzer Linie versagt?
Klingt echt schaurig, wenn ich das so schreibe. Ich fühlte mich elend, wusste nicht raus aus diesem Teufelskreis aus Arbeit, Kindern und Haushalt. Die Kinder waren und sind mein größtes Glück, ich würde nicht mehr ohne diese drei Menschen leben wollen. Dennoch war ich kreuzunglücklich darüber, dass ich die meiste Zeit alleine für sie verantwortlich war. Um da rauszukommen, versuchte ich mehr zu arbeiten, das setzte mich so unter Druck, dass ich die Kinder anschrie. Am Ende hatte ich ein schlechtes Gewissen, fühlte mich mies und als Versagerin auf allen Ebenen. Beruflich gings nicht weiter, ich war eine Schreimutter und wartete jeden Nachmittag ab halb vier darauf, dass der Tag endlich rumging.
Und dann kam das Entspannungsprojekt. Das habe ich mir als Weg aus meiner Unzufriedenheit ausgedacht. Wenn ich morgens früher aufstand, zwischen Job und Kinder-abholen noch eine Meditation einschob, wenn ich eine Kaffee-Pause mehr machte und abends Yoga-Übungen auf der Matte vollführte, dann würde ich endlich eine bessere Mutter und eine entspanntere Person werden. Ja, so war der Plan. Da hätte auch das Dankbarkeits-Tagebuch gut mit reingepasst.
Endlich verstanden!
Geschnallt habe ich alles erst viel später. Dabei hat auch eine Mütterkur geholfen, die ich drei Wochen alleine machte. Dort saßen all die Frauen in einem Kreis. Sie alle ackerten und schufteten zuhause, kümmerten sich um die Familie, waren berufstätig, manche Frauen waren alleinerziehend oder hatten kranke Kinder. Sie alle saßen da und weinten. Und ich weinte irgendwann nicht nur deshalb, weil ich so müde war. Ich weinte irgendwann vor Wut. Ich bin wütend und heulend durch den Wald gejoggt und das war gut. Endlich habe ich begriffen, dass wir Frauen nicht einfach zu spät aufstehen, zu wenig Yoga machen und undankbar sind. Wir zerreißen uns alle auf unsere eigene Art und Weise. Wir kümmern uns bis zum Umfallen, wir sorgen und kochen, wir arbeiten und hetzen, wir waschen und basteln und organisieren bis zum Schlafen gehen. Oben drauf quälen wir uns mit einem schlechten Gewissen, weil irgendwas nicht gut läuft. Dass das mit den Kindern und dem Job deshalb nicht gut läuft, weil es zu viel ist, sehen wir nicht. Wir denken, wir machen es nur nicht richtig.
Gründe für diese Umstände gibt es viele. Es ist das spezielle Mutterbild, das wir hier in Deutschland haben. In keinem anderen Land um uns herum geht die Gesellschaft so sehr davon aus, dass es einem Kind nur bei einer Mutter gut geht. Das Kümmern haben wir von unseren eigenen Müttern und diese wieder von ihren Müttern gelernt. Unsere gesamte Kultur baut sich auf auf das Bild einer Frau, die vor allem Mutter ist. Schön nachzulesen ist das im Buch „Die deutsche Mutter“ von Barbara Vinken:.
Frau sein heißt, sich zurückzunehmen und liebend für andere zu sorgen. (..) Familie hieß und heißt in Deutschland vor allen Dingen: Papa setzt sich im harten Kampf in der kalten Karrierewelt durch, um das warme Nest, in dem die Mama ihm und dem Kleinen ein selbstloser Engel im Haus ist, finanzieren zu können. (…) Erst wenn Mütter in ihrer Familie als Familienmanagerin Karriere machen, die nicht Macht und Geld, sondern Glück bringen, um so durch stetige Präsenz einen Raum des Humanums zu schaffen, wird unsere Kultur weitergetragen. (S. 9)
Neue Wege gehen
Ich habe für mich verstanden, dass es so nicht weitergeht. Ich brauche meine Arbeit und habe lang genug den größten Teil der Hausarbeit erledigt. Nun habe ich einen Mann, der mich unterstützt und mitzieht und mit dem ich gemeinsam Veränderungen angehen kann. Solltest du ebenfalls unzufrieden sein, wünsche ich dir, dass auch du Menschen in deiner Umgebung hast, die dich unterstützen.
Wenn auch du gestresst bist, dann gib die Schuld nicht dir selbst. Schau lieber auf die Umstände deines Lebens. Schau dir an, wie hoch die Ansprüche an Mütter sind und dann pfeif darauf, was andere sagen. Wir Mütter brauchen Entlastung beim Thema Mental Load, wir brauchen Zuspruch, wenn wir arbeiten wollen wie die Männer es tun. Wir brauchen Männer, die lange Elternzeit nehmen und den Haushaltskram eigenverantwortlich in die Hand nehmen. Wir brauchen andere Frauen, die uns ermutigen, es anders zu machen, als es die Gesellschaft erwartet.
Natürlich kannst du ein Dankbarkeits-Tagebuch führen, das kann nicht schaden. Aber langfristig müssen wir ganz andere Dinge verändern. Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura
15 Comments
Dieses Bild gibt es bei uns in Österreich ganz genauso und ich bin sehr dankbar für diesen Beitrag, weil ich wirklich immer zuerst bei mir geschaut habe, was ich falsch mache.
Als ich mit meinem 2,5 Jahre altem Kind jetzt 16 Tage in Quarantäne festsaß und nebenher im Homeoffice gearbeitet habe, bin ich fast durchgedreht und an einem Tag ging es sogar so weit, dass ich mein Kind leider total angeschrien habe, weil es (zwar absichtlich, aber wäre ja eigentlich trotzdem nicht schlimm) Wasser ausgeschüttet hatte. Es tat mir sofort unglaublich leid und ich bin gleich in Tränen ausgebrochen. Mein Mann war eigentlich schon am Sprung zur Arbeit, blieb aber noch kurz, um mich zu trösten und mit mir wieder sauber zu machen. Dafür war ich ihm sehr dankbar.
Aber generell hast du recht, dass es gut wäre, wenn auch er mehr übernehmen könnte und ich mehr um Hilfe bitten würde (auch bei Omas und Opas).
Liebe Laura,
ich wünschte mir Hass, dass dieser Beitrag 1 Jahr früher da gewesen wäre.
Wie viele andere Muttis kenne ich diese Situation, allerdings war es bei mir eine Nummer heftiger.
Ich musste nach 1 1/2 Jahren Elternzeit wieder Vollzeit arbeiten gehen, habe dann noch nebenbei den Haushalt gemacht und mich um meinen Sohn gekümmert sobald ich Feierabend hatte.
Ich habe auch vieles versucht, nichts hat geholfen… und so endete es schließlich im Burn Out und 7 Wochen Psychiatrie.
Ich habe mich nun von meinem Mann getrennt, weil er leider nicht fähig ist den Haushaltskram eigenverantwortlich zu regeln (obwohl er krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten geht, den Haushalt aber locker schaffen würde).
Ich weiß, dass die Zeit jetzt nicht leichter wird, aber mit meiner Familie und meinen Freunden habe ich viele Unterstützer und ich bin nicht mehr zu stolz um Hilfe zu bitten.
Liebe Nicole, das tut mir sehr leid zu lesen. Du bist sicher kein Einzelfall. Es sind oft Mütter, die vieles alleine schultern, weil sie keine Hilfe von ihrem Partner haben. Und mehr und mehr erzählen, dass sie sich deshalb trennen. Dass es gesundheitlich gefährlich ist, beweist dein Kommentar mal wieder. Wie schön, dass du Familie und Freunde hast und es ist genau richtig, sich viel Hilfe zu holen. Kinder zu erziehen, das ist nicht so gedacht, dass man es alleine macht. Eigentlich braucht man ein ganzes Dorf. Liebe Grüße und alles, alles Gute für dich! Laura
Liebe Laura,
Vielen Dank für diesen tollen und ehrlichen Artikel. Mich würde sehr interessieren was Dir dann letztendlich im Alltag anstelle von Yoga und co geholfen hat gelassener zu sein? Vielleicht steht das ja in einem Deiner anderen Artikel, so weit bin ich noch nicht gekommen 🙂
Liebe Grüße tina
Liebe Tina, mir hat am Ende nur eines geholfen: mit meinem Mann darüber zu reden und ihm zu sagen, dass ich mit der Situation unglücklich bin. Wie können wir daran etwas ändern? Wie können wir mich im Haushalt entlasten? Ich habe mir vorher Gedanken gemacht, was ich eigentlich will. Ich will mehr arbeiten und weniger zuhause sein. Nun wollen wir in naher Zukunft beide reduziert arbeiten, er 80%, ich 60%. Das ist unser Plan. Ich habe außerdem mit ihm über all die Dinge gesprochen, für die ich bisher Verantwortung habe und die ich abgeben möchte. Ich schreibe dazu nächste Woche einen Text, weil das sehr viele Frauen interessiert. Dir gebe ich also auch den Tipp: denk mal in Ruhe darüber nach, wie für dich der perfekte Tag aussehen würde. Besprich das in Ruhe mit deinem Partner (ich hoffe, du hast einen), und überlegt gemeinsam, was zu ändern ist. Wie nahe könnt ihr einem Leben kommen, das für beide perfekt ist? Manchmal ist die Lösung gar nicht so weit entfernt. Sag ihm, dass du nicht länger die Verantwortung für Haushalt und Kinder alleine tragen möchtest. Liebe Grüße, Laura
Das mit dem perfekten Tag als Tool gefällt mir sehr, das werde ich mal anwenden, und auch weitergeben! Mein Liebster und ich sprechen schon sehr sehr viel und passen ständig an, und dennoch läuft es nicht immer ideal, das ist ja klar, und deshalb gefällt mir das mit dem unperfekt bleiben als generelles Ziel noch viel besser 😉 gute Balance muss es halt sein. Gut dass du so auf den Tisch haust bzgl. dem was wirklich wichtig ist in so einem Familienleben. Ich finde, es verhält sich hier ein bisschen so wie mit Bedürfnispyramiden: Erst mal muss die Basis stimmen, also die Aufteilung der Lohn- und Sorgearbeit und die Fairness im Mental Load, und DANN kann auch aus diesem Boden eine spirituelle Inspiration rausgewachsen kommen. Für letzteres hilft dann Yoga und Meditation und Dankbarkeitstagebuch. Ich bin sehr überzeugt von den drei letzteren und ihrer Wirkung auf mein Seelenheil, und sie haben gerade in sehr roughen Zeiten (langer Kinderwunsch, Zweifel an der Gerechtigkeit in der Welt im großen und kleinen) sehr viel für mich getan. Ich würde nicht mehr ohne sein wollen. So wie du es hier auseinander nimmst, ist mir erst mal klar geworden, dass diese wunderbaren Praktiken aber auch GEGEN uns verwendet werden können, von uns selbst und anderen. Ganz schön crazy, vor allem wenn man bedenkt wo sie eigentlich ursprünglich herkommen!
Wow, Anni, das hast du ja in tolle Worte gefasst. Genau so ist es! Und tatsächlich halte ich von Yoga und Meditation auch sehr viel. Das mit der Bedürfnispyramide ist ein prima Bild dafür. Danke dir!
Guten Morgen Laura,
auch von mir mal wieder ein begeistertes Dankeschön!
Eigenverantwortung, Dankbarkeit und eine positive Einstellung sind ganz sicher wichtige und unerläßliche Bausteine für den Weg raus aus der „Mutterfalle“ (und generell für ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben), aber es gibt auch noch die äußere Welt und die „Umstände“ die einfach nicht weg zu meditieren sind! Auch daran dürfen wir arbeiten, nicht nur an uns selbst… Ganz schön viel Arbeit,und auch da hast Du mal wieder voll recht: zusammen wird es leichter gehen, gut dass wir und unterstützen!
liebe Grüße, Katharina
Liebe Katharina, so ist es! Und ich denke, dass der Austausch hier untereineinander sehr viel bringt. Liebe Grüße, Laura
Knallhart analysiert, würde ich sagen
Geht mir genauso und es tut gut, die Ursache mal so klar zu sehen. Was mich aber echt interessieren würde, wie hast du e geschafft, da raus zu kommen? Welche konkreten Schritte haben dir geholfen, dass du jetzt nicht mehr alles allein machen musst? Glg Conny
Liebe Conny, ich habe immer wieder mit meinem Mann gesprochen, ihm mein Dilemma erklärt und gesagt, dass ich das alles so nicht mehr weiter machen möchte und kann. Aber ich schreibe nächste Woche noch einmal einen Text darüber, weil das ganz viele Leserinnen interessiert. Liebe Grüße, Laura
Genau dieses Thema hatte ich die Tage mit meinem Mann diskutiert. Ich finde mich sehr in diesen Zeilen.
Danke für deine tollen Texte. Und fröne fröhlich deiner „Sucht“! Mehr für uns zu lesen. Dankeschön
Liebe Theresa, lieben Dank für deine Worte. Ich werde das Thema hier öfter besprechen, weil es so vielen Frauen geht wie dir und mir. Liebe Grüße, Laura
Liebe Laura, einfach mal wieder DANKE!!!!!
…für deine Ehrlichkeit!!!!!!…
Ganz herzliche Grüße Gabi
Liebe Gabi, sehr gerne! Laura