Ich bewege mich als Mutter zweier Kindergartenkinder jeden Tag auf sehr schwierigem Terrain. Da ist es gar nicht so schlecht, wenn man ein gewisses Talent für Diplomatie mitbringt. Jimmy und Luise, zwei Parteien, zwischen denen jederzeit eine gewisse Grundspannung herrscht, tragen nahezu stündlich hoch brisante Konflikte aus und sind dabei kaum auf eine Wellenlänge zu bringen. Und so liegt es alleine an mir, durch Absprachen, Kompromisse und Regeln den nötigen Frieden zu wahren oder wenigstens für einen kleinen Waffenstillstand zu sorgen. Geschwisterstreit ist bei uns also an der Tagesordnung.
Konfliktpotential in rauen Mengen
Gründe für Streitereien gibt es bei Jimmy und Luise in Hülle und Fülle. Oft beginnt es am Morgen mit Banalitäten. Wer ist der Erste im Badezimmer, wer darf den orangenen Becher benutzen? Wer setzt sich auf die linke Seite der Kinderbank, um sich die Schuhe anzuziehen? Was hier so banal klingt, ist für die beiden Streithähne mindestens so wichtig wie der Weltfrieden. Lange konnte ich, die diese Themen zunächst ebenfalls für unwichtig hielt, nur mit Ärger und Genervt-Sein reagieren. Mittlerweile habe ich rausbekommen, dass ein wenig diplomatisches Geschick so manchen Morgen retten kann. Also lauten meine Anweisungen wie folgt:
„Jimmy, du bist der Erste im Badezimmer. Dort gehst du zunächst auf die Toilette, während ich Luise die Zähne putze. Luise, du darfst dir dafür als Erste die Kleider raussuchen,“ – und schon trotten mir zwei brave Kinder hinterher, die mit meinen Vorgaben einverstanden sind. Puuuh, das ist geschafft, denke ich dann, und klopfe mir auf die Schulter. Beim Frühstück darf Luise den orangenen Becher wählen, Jimmy bekommt dafür eine Erwachsenen-Tasse aus Porzellan, weil er „schon so groß ist“. Er setzt sich auf die Bank, um die Schuhe anzuziehen, Luise darf auf meinen Schoß. Ein großes Thema ist der Aufzug in unserem Haus. Hier gab es schon den einen oder anderen Groß-Konflikt, der beinahe in einer atomaren Katastrophe endete. Luise, frech und flink wie eine Maus, drückt außen auf den Aufzugknopf, wartet, bis sich die Tür öffnet und rennt hinein, um auch hier die entsprechenden Knöpfe zu bedienen. Jimmy sieht das, heult und brüllt, und es herrscht erneuter Unfriede im Flur. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch Herrin meiner Nerven bin, nehme ich mir die forsche Dame, weise sie auf ihr Fehlverhalten hin, erkläre ihr die Regeln (einer drückt außen, einer innen) und bitte sie, sich um des lieben Friedens willen bei ihrem Gegner zu entschuldigen. Wenn die Nerven mit mir durchgehen, weil dies schon der 120. Konflikt in den ersten 60 Minuten des Tages war, verwandele ich mich vom wohlmeinenden Diplomat in einen herrischen Diktator, brülle und schimpfe und wende mich auch noch an den heulenden Jimmy, der sich bitte nicht so antellen solle. Nun ja, auch ein Diplomat hat eben mal seine schlechten Tage.
Es wird verhandelt, wer als erstes ins Auto steigen, wer mit dem Laufrad voran fahren darf. Wer von Beiden kriegt das erste Stück Kuchen und wer darf beim Memory anfangen. Einigkeit, Recht und Freiheit sind des Jimmys Unterpfand, und so besprechen wir den lieben langen Tag, wer was wann zuerst machen darf und so manches Mal ist mir der Mund fusselig geworden.
Gewalt ist keine Lösung
Bei Eintritt eines massiven Konflikts mit Gewaltpotential komme auch ich an meine moralischen und sachlichen Grenzen. Darf Jimmy, der einen gewaltigen Abdruck von Luises Zähnen auf dem Oberarm trägt, zurückbeissen? Muss die Übeltäterin zur Strafe auf den Stuhl oder in die Ecke? Widme ich mich erst dem weinenden Opfer oder mache zunächst den Täter zur Schnecke?
Momentan bewerbe ich mich für ein Praktikum in der ukrainischen Botschaft mit Sitz in Moskau. Ich denke, hier kann ich Einiges lernen. Ob Friedensverhandlungen oder die Moderation beim Zusammentreffen zweier Erzfeinde – es gibt noch viele Wissenslücken meinerseits, die ich mir in Russland anzueignen gedenke.
Überraschende Wendung im Geschwisterstreit
Überrascht war ich neulich, als ich mich keinesfalls diplomatisch verhielt, aber in Friedensdingen dennoch einen Sieg davon trug. Nachdem ich an einem Sonntagmorgen, an dem ich es mir mit Kaffee und Zeitung gemütlich gemacht hatte, gänzlich die Contenance verlor, weil sich Jimmy und Luise unermüdlich ärgerten und schlugen, packte ich die beiden Rivalen mit leichter Gewalteinwirkung an den Oberarmen. Dann zerrte ich sie pädagogisch wertlos in ihr Kinderzimmer, erklärte, dass keiner von Beiden in der nächsten Stunde den Raum verlassen dürfe und knallte mit der Tür. Vermutlich werde ich dafür meines Diplomaten-Amtes enthoben, dachte ich mir noch, und ging zurück an meinen Platz. Die nächsten 15 Minuten hörte ich die uneinvernehmlichen Geschwister heulen. Dann aber wurde es unvermittelt still. Weiter 5 Minuten später hörte ich sie miteinander sprechen und als ich ungläubig an der Tür lauschte, bekam ich mit, wie Jimmy Luise seine heiß geliebten Räuber Hotzenplotz-Bücher zeigte. Sie spielten weitere 40 Minuten friedlich miteinander, bis Jimmy auf der Uhr erkannte, dass die Stunde Arrest nun um war. Daraufhin rannte er zum Tischkicker, um sich keine zwei Minuten später mit Lusie um den Ball zu prügeln.
Dennoch habe ich gelernt, dass es sich hin und wieder lohnt, den Diplomaten in mir in den Urlaub zu schicken, und die Streithähne sich selbst zu überlassen. Der Krieg ist deshalb nicht vorbei, aber die Freude über einen selbst erzeugten Waffenstillstand ist dann umso größer.
Bleib fröhlich und unperfekt,
deine Laura
Für mehr Heute ist Musik kannst du ganz einfach auf der Facebookseite auf „Gefällt mir“ klicken oder den Blog abonnieren (hier auf der rechten Seite). Dann gibts noch dem fabelhaften Newsletter (ebenfalls rechts zu abonnieren) und einen Instagram-Kanal für mehr Glitzer im Mama-Alltag. Ich freue mich auf dich!