Die Wut, über die Mütter nicht sprechen*

Gestern war der zweite Tag in Folge, an dem ich zitternd vor Wut im Auto saß. Mir klopfte das Herz und ich war außer mir, auch wenn der Grund simpel schien. Ein Kind, drei Jahre alt, gebeutelt von ein paar Entwicklungsschritten und Müdigkeit. Kenne ich, erlebe ich jetzt das dritte Mal, ist alles ganz normal. Was sich nicht normal anfühlt, ist meine eigene Aggression. Denn in meinem Kopf passt sie nicht in das Mutterbild, das ich habe. Mütter sind geduldig und lieb, sie trösten und nehmen in den Arm. Ich aber sitze hier im Auto und möchte gerne etwas kaputt schlagen.

Oskar saß im Möbelhaus glücklich in seinem Einkaufswagen. Um der heimischen Enge zu entfliehen, haben wir uns zu diesem Ausflug entschlossen. Es war ein besonderer Einkaufswagen, ein kleines Auto, das man herumschieben kann. Wir mussten es hinterher auf dem Parkplatz zurücklassen, Oskar aber wollte das Auto behalten. Er schlug vor, den Einkaufswagen mitzunehmen. „Geht leider nicht“, sagte ich ihm. Dann flippte Oskar aus.

Ich wusste, dass er ein erschöpftes Kind ist. Aber manchmal ist mein Hirn von meinem Kopf entkoppelt. Es sind Momente, in denen ich zehn Mal erwachsen und reflektiert gehandelt hatte, das elfte Mal aber nicht mehr dazu fähig bin. Ich versuchte, das Kind zu überreden, lockte mit einem Hörspiel im Auto, mit Laugenbrötchen zum Abendessen und Weihnachtskeksen zum Nachtisch, aber Oskar brüllte. Er saß mitten im Parkhaus, haute und kratzte mich, wenn ich ihn hochheben wollte und schmiss seine Mütze von sich. Als er mich dann schmerzhaft ins Bein biss, explodierte ich. In diesem Moment steht mein Hirn in Flammen.

„Mein Sohn kann mich in einen Zustand provozieren, der der Aggression im Straßenverkehr ähnelt. Ich habe im Laufe der Jahre oft gespürt, dass ich fähig wäre, ihn zu verletzen …“, schreibt Anne Lamott in ihrem Text Mother rage: theory and practice. „Aber der Muttermythos ist so heilig, dass wir diese Gefühle nicht einmal vor uns selbst zugeben möchten.“

Aggression ist ein typisches menschliches Gefühl, dass Frauen allerdings bereits in der Kindheit abgesprochen wird. Werden sie wütend, heißt es, sie seien hysterisch. Bei Männern hingegen wird Wut akzeptiert. Die Psychotherapeutin Doris Wolf schreibt in ihrem Buch „Wenn Schuldgefühle zur Qual werden“, dass Mädchen dazu erzogen werden, brav und angepasst zu sein. Der Ausdruck von Ärger und Konfliktbereitschaft dagegen werde nicht gefördert oder sogar verboten“ (S. 69) Wir wissen heute, wie wichtig es für Kinder ist, ihre Gefühle spüren und benennen zu können, um sich selbst nah zu sein und sich anzunehmen, wie sie sind. In jedem Erziehungsratgeber steht, dass es nicht in Ordnung ist, den Kindern ein „ist ja nicht so schlimm“ entgegen zu werfen, wenn sie weinen oder wütend sind. Denn für sie ist dieser Moment schlimm und ihnen dieses Gefühl abzusprechen hilft nicht. Besser, wir benennen die Wut oder die Trauer und geben ihnen so das Gefühl, dass es in Ordnung ist, intensiv zu fühlen.

Für Mütter scheint das nicht zu gelten, denn die Wut, die wir angesichts unserer Kinder empfinden, ist ein Tabu. Dabei kennen die meisten Frauen dieses pochende Gefühl in den Fingern und das Mantra, das im Gehirn immer lauter wird und uns hoffentlich davon abhält, gewalttätig zu werden. Aber auch um Kinder zu schützen und auch, um die belastenden Schuldgefühle loszuwerden, dürfen wir diese Wut nicht tabuisieren.

Die Wut lebt in meinen Händen, rollt meine Finger herunter und drückt sie auf die Fäuste. Ich will jemanden verletzen. Ich bin Tränen und Wut und Gewalt. Ich will schreien und Kissen aufreißen, Stühle werfen und Wände schlagen. Ich möchte meine Zerstörung sehen – Federn schwebend, umgestürzte Möbel, zerklüftete Löcher in der Trockenbauwand.

Auch Minna Dubbin hat extreme Gefühle gegenüber ihrem Sohn. Aber wenn wir schweigen, schwelt unsere Wut neben der Schande unter der Decke, weil wir davon überzeugt sind, Mütter sollten geduldige Märtyrerinnen sein, schreibt sie in Die Wut, über die Mütter nicht reden*. Minna hat sich beraten lassen und bei einem Kurs zur Wutbewältigung für Mütter mitgemacht. Dabei wurde klar, dass sie viel mehr Geduld hat, wenn wenn sie sich bewegt, künstlerisch tätig sein kann und sich gesund ernährt. Leider stehen als berufstätige Mutter Kochen, Laufen und unbezahlte Hobbys ganz unten auf ihrer To-do-Liste. Ein Grund mehr, die Familienverantwortung mit dem Partner zu teilen und etwas gegen den Mental Load von Müttern zu tun!

Wie oft habe ich Anton im Büro angerufen und ihm gesagt, dass ich nicht mehr kann. Meist hatte ich vorher die Kinder angeschrien und ein schlechtes Gewissen auch ihm gegenüber, weil es ja ebenfalls seine Kinder sind, die ich grob behandelte. Wir müssen reden über diese Gefühle, die an der Tagesordnung stehen, wenn man sich alleine um die Kinder kümmert. Denn an manchen Tagen ist das eine hohe nervliche Belastung.

Auch wenn wir unsere Kinder abgöttisch lieben, können sie in uns negative Gefühle hervorrufen, die wir erschreckend finden. Mütter bekommen mit der Geburt der Kinder keinen extra dicken Geduldsfaden geschenkt. Wie schnell man an die Decke geht, ist Charaktersache und nicht eine Frage des Geschlechts. Außerdem ist es kein Wunder, dass Mütter, die sich um alles kümmern müssen, überlastet sind und schneller in Wut geraten. Ihnen diese Wut abzusprechen hilft überhaupt nicht weiter, sondern macht ihre Situation noch schlimmer.

Bevor ich Kinder hatte, wusste ich nicht, wie wütend ich werden kann. Aber an manchen Tagen ist der Alltag mit seinen Terminen und Überraschungen eine Zumutung für alle – Eltern und Kinder. Manchmal sitze ich in der Küche und denke mir nur: „was zum Teufel hat mich geritten, Mutter zu werden“, um dann die Antwort zu kennen, wenn ich in die Gesichter meiner wunderbaren Kindern schaue. Wenn wir diese zwiespältigen Gefühle zugeben, ist die Wut kein Tabu mehr und wir können uns damit auseinandersetzen, es niemals zum Äußersten kommen zu lassen. Auch das ist Schutz für unsere Kinder.

Ich bemühe mich täglich, lieb zu meinen Kindern zu sein. Oft gelingt es mir nicht gut, weil mich der Alltagstrubel und die Streiterei sehr anstrengen. Deshalb haben wir unser Leben geändert und teilen uns nun die mentale Last gerechter auf. Das ist aber nicht allen Müttern möglich, aber ein erster Schritt ist vielleicht der Trost, mit der Wut nicht alleine zu sein.

Bleib fröhlich und unperfekt

Ps.: Ich habe noch ein paar Buchtipps. Mutter.Sein von Susanne Mierau behandelt die hohen Ansprüche, die an Mütter gestellt werden und gibt Tipps, wie wir es schaffen können, uns nicht so sehr unter Druck zu setzen. Toll fand ich das Arbeitsbuch Das Kind in dir muss Heimat finden von Stefanie Stahl. Damit kannst du dich mit deinen eigenen Glaubenssätzen auseinander setzen und es hilft sehr, zu sich selbst zu finden. Erziehen ohne Schimpfen oder Die Schimpf-Diät setzen sich damit auseinander, wie es Eltern gelingt, achtsamer mit den Kinder umzugehen. Außerdem erscheint im Februar mein Buch Wackelzahn-Pubertät, in denen ich meine Tipps für das Leben mit Vor- und Grundschulkindern zusammengetragen habe. Bei Erziehungs-Ratgebern ist es mir wichtig zu sagen, dass wir die Schuld nicht den Müttern in die Schuhe schieben dürfen. Meiner Meinung nach müssen wir Frauen dringend entlasten. Wie das gelingt und wie wir den Mental Load mildern können, das beschreibe ich in meinem Buch, das nächstes Jahr erscheint. –> Alle Buchlinks sind Affiliate Links

 

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