Wir müssen reden! Ein Brief über Mental Load

Wie spreche ich nur über Mental Load und wie erkläre ich meinem Partner, dass ich so viel um die Ohren habe mit all der Familien-Organsation? Und wie vermeide ich dabei diese nervigen Schuldzuweisungen, die zu nichts führen? Ich habe da mal einen Brief geschrieben, den du gerne verwenden oder umschreiben darfst. Oder er inspiriert dich zu deinem ganz eigenen?

Lieber XXX,

gestern haben wir uns wieder gestritten. Der Grund war eigentlich lächerlich, denn es ging um die Windeln, die du nicht gekauft hast. Ich habe mich beschwert und du hast mir geantwortet, dass ich schließlich nichts gesagt hätte, als ich dir den Einkaufszettel in die Hand gab. Mein Vorwurf an dich war dann der, dass du selber einmal an etwas hättest denken können. Aber eigentlich ist genau das unser Problem. Ich denke an alles und delegiere an dich. Du führst aus und hast Feierabend. Ich habe nie Feierabend, wirklich nie.

Ich will nicht schon wieder das alte Lied singen und dir die Schuld in die Schuhe schieben, denn in Wahrheit bringe ich die besten Voraussetzungen mit, um mental komplett überlastet zu sein. Ich fühle mich für alles verantwortlich, sogar für die Gefühle mir völlig fremder Menschen. Als neulich die Stimmung auf der Party von meiner Freundin Helene nicht in Gang kam, war MIR das peinlich und ich habe krampfhaft nach einem Thema gesucht, über das wir diskutieren könnten. Kannst du dir das vorstellen? Zuhause fühle ich mich dann verantwortlich für die Stimmung zwischen uns beiden, zwischen den Kindern oder zwischen unseren Eltern und uns. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil wir vergessen hatten, der Oma „Danke“ für die Geschenke zu sagen. Und dann frage ich mich im nächsten Moment, warum nicht DU daran gedacht hast. Ich warte ab, aber nichts passiert, und dann kommen wir zu deinen Eltern und deine Mutter fragt MICH, wieso wir uns nach Weihnachten nicht gemeldet haben. Sie wollte doch so gerne wissen, ob die Schlafanzüge den Kindern gepasst hätten.

Naja, also hatten wir auf der Rückfahrt wieder ewige Diskussionen und ich habe geheult wegen all dem, an das ich denken muss, und du warst sauer, weil du fandest, ich rege mich wegen Nichtigkeiten auf. Dann war nichts mehr mit romantischer Silvester-Sause und wir haben uns beleidigt angeschwiegen, obwohl die Kinder mal eine Nacht weg waren.

Soll es in diesem Jahr so weitergehen? Ich wünsche mir so sehr, dass wir etwas ändern in unserem Leben. Ich bin manchmal so erschöpft von all der Organisation um die Familie herum. Von all dem Kümmern und Listen führen, vom Organisieren und Einkaufen, vom Kochen und Packen und Sortieren. Seitdem Mika geboren wurde und ich in Elternzeit war, bin ich daran gewöhnt, dass ich den Haushalt schmeiße. Sogar jetzt noch, obwohl ich arbeiten gehe und wir zu viert sind. Ich weiß, ich habe auch nie die Stopp-Taste gedrückt, sondern einfach alles in die Hand genommen. Oft habe ich das Gefühl, ich bin effizienter als du und mach die Wäsche selber, weil ich sie besser falten kann. Und zack, habe ich alles am Hals. Dabei ist es nicht so, dass du zu faul bist. Du fühlst dich für die Finanzen verantwortlich und als es neulich hieß, in eurer Firma wird es Entlassungen geben, konntest du zwei Wochen nicht schlafen.

Wir sind in einen Teufelskreis geraten und spielen das alte Spiel. Du bist für die Kohle zuständig, ich für Kinder, Küche, Kirche. Ersetzen wir Kirche durch Kalender! Hätten wir gedacht, dass wir mal so altmodisch leben? Ich nicht. Aber unsere Eltern haben uns wohl mehr geprägt, als wir denken. Meine Oma wollte mir noch eine Aussteuer schenken und deine Mutter fragt mich immer, wie oft ich die Küchenschränke ausputze. Obwohl wir heute scheinbar so gleichberechtigt sind, wird uns Frauen suggeriert, dass wir für den Haushalt und die Sauberkeit zuständig sind. Ich habe die Challenge angenommen und bin Frau Penibel in Person. Manchmal nerve ich mich selbst, wenn mir bei dem Anblick von Staubmäusen die Luft wegbleibt. Lächerlich, oder?

Wir beide, wir waren mal so verliebt, und sind es eigentlich auch heute noch. Aber dieser Alltagskram nimmt uns die Luft für die Liebe. Ich möchte nicht, dass es so weitergeht. Ich fühle mich verantwortlich für alle Belange der Familie und brauche dringend deine Hilfe. Loslassen kannst du gut, du weißt, wie das geht. Kannst du es mir beibringen? Kannst du mir helfen, mich von dem Druck zu befreien und meinst du, wir können die Familienorganisation besser und gerechter aufteilen? Ich verspreche dir im Gegenzug, dass ich deinen Weg, die Wäsche zu falten, nie mehr kritisieren werde, denn es ist kleinkariert. Aber ich brauche endlich Zeit für mich und ich wünsche mir so sehr einen leeren Kopf, in dem einmal Ruhe ist. Vielleicht können wir sogar darüber reden, wie es beruflich mit dir und mir weitergeht? Oder wir planen ein Sabbatical für dich oder sparen auf eine Weltreise mit den Kindern?

Ich lade dich ein, mit mir über all den Mist zu sprechen, der mit unserer Sozialsierung zusammenhängt. Wir könnten uns kaputt lachen über Sprüche wie „sei wie ein Veilchen im Moose“, den mir meine Oma immer vorgebetet hat, oder „ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Ich wette, du musstest dir das als Junge anhören. Und eigentlich ist das kein bisschen witzig. Männer und Gefühle sind oft eine schwere Kombination. Kein Wunder, wenn sie euch von klein an ausgeredet werden. Ich gebe zu, dass auch ich als Teenie auf die coolen Boyz stand, die nie auf die Ideen gekommen wären, Diddlmaus-Karten zu verschicken.

Lass uns reden, so richtig, ohne Schuldzuweisungen. Und dann setzen wir alles auf Anfang und verteilen die Arbeit neu. So, als wären wir Arbeitskollegen. Und wenn wir das getan haben, verwandeln wir uns von einem Haushalts-Vorstandsteam zu einem Liebespaar. Wäre diese Vorstellung nicht schön?

Ich freu mich jedenfalls auf dich und bitte dich hiermit um Verzeihung, dass ich dich gestern einen „Volldepp“ genannt habe. Ich habe ein gutes Gefühl für 2020, deine XXX

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