Ein Gastbeitrag von Johanna Fröhlich Zapata
Stell dir vor, du würdest für deine Care- und Hausarbeit bezahlt: 25.124,39 € – Das ist der Wert, den eine Mutter zweier Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren nach acht Jahren Partnerschaft für ihre Care- und Hausarbeit bei Mindestlohn in Rechnung stellen müsste.
Carearbeit ist in unserer Gesellschaft wenig wert. Sie hat keinen Preis.
In den letzten Monaten wurde mir klar, dass gelebter Feminismus nicht in der Krise steckt, sondern im Alltag. Er steckt in den Kinderschuhen. Neben unseren hippen Morgenritualen absolvieren wir Frauen unsere Klimmzugchallenge an der Karriereleiter und übernehmen nebenbei noch die Aufgaben, die unsere Mütter und Großmütter auch schon unbezahlt übernahmen: Die Haus- und Carearbeit. Nebenher.
Und dann kommen Leute/Männer/Politiker ums Eck und behaupten: Den Feminismus brauchen wir nicht mehr. Aber Achtung: Die Grundannahme des Feminismus’ ist, dass alle Geschlechter gleichwertig sind und deshalb gleichberechtigt sein sollten. Die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter ist noch lange nicht erreicht. Und Corona hat uns das noch mehr als je zuvor gezeigt: Plötzlich verschwanden die Frauen aus den digitalen Business Meetings. Denn: Die Männer kümmerten sich um die Firmen, die Frauen um die Familien. Die Ungleichheit spiegelt sich vor und während dieser Krise insbesondere in der Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau wider. Der große Unterschied: Die eine Rolle wird entlohnt. Die andere nicht!
Eine echte Wert-Schätzung von Care kann nur über einen Preis erfolgen!
Deshalb brauchen wir einen Wert. Wir brauchen eine Ziffer, die uns Frauen vor Augen führt, welchen Wert unsere Care- und die Hausarbeit hat. Die Arbeit, die oft ganz automatisch und selbstverständlich übernommen wird.
Als Alltagsfeminismus® Coachin war es mir ein dringendes Bedürfnis, diesen Wert benennen zu können. Dafür habe ich in enger Zusammenarbeit mit dem Verhaltensbiologen Dr. Florian Ruland und dem Software-Experten Hannes Zilt den Who-Cares-Rechner entwickelt. Der Rechner kennt den Durchschnitt der geleisteten Erwerbs- und Sorgearbeit und den Anteil, den Frauen und Männer daran haben. Der Teil, den “sie” für “ihn” ausgleicht, wird in Geld umgerechnet. Der individuell ermittelte Wert basiert auf der aktuellsten Studie zur Arbeit und Zeit von Claire Samtleben, Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Der Rechner ist ein Instrument, um sich Ungleichheiten im eigenen Leben bewusst zu machen und stellt die Frage: Wie feministisch bist du wirklich?.
Stell dir also vor, Haus- und Carearbeit würde bezahlt werden und du würdest für den Anteil, den du mehr machst als dein Partner, genauso viel Geld pro Stunde bekommen wie im Job, den du stattdessen nicht ausübst. Je nach Dauer des Zusammenlebens mit deinem Partner sammeln sich geleistete “Über-Stunden” Hausarbeit an. Da Frauen im Laufe der Jahre einen erheblich größeren Anteil Fürsorge-Arbeit leisten, insbesondere als Mutter, ermittelt der Rechner den Wert, den SIE für IHN ausgleicht.
Klar werden jetzt einige von Euch denken: Aber wer soll das denn bezahlen? Wichtig ist mir: Das Ergebnis soll ein Bewusstsein schaffen. Ein Bewusstsein über den tatsächlichen Wert der Arbeit, den Frauen täglich ohne finanzielle Entlohnung leisten. Diese Zahl soll deutlich machen, was der Care-Gap mit dem eigenen Leben zu tun hat.
Der Rechner ist Ausdruck einer meiner Überzeugungen: Das Leben einer modernen Frau, die tut, was von ihr erwartet wird, spielt sich zwischen vollen Terminkalendern und vollen Windeln ab. Automatismen, wie eine Ehe ohne Ehevertrag oder das Arbeiten in Teilzeit ohne Absprache über die Konsequenz für die Rente der Frau, führen am Ende ihres Lebens zu Armut und gefährden ihre emotionale und körperliche Gesundheit. Das sage ich auch als Medizinanthropologin: Der Zusammenhang von Gender und gesundheitlichen Problemen ist in vielen Studien und an Hand unendlicher Beispiele deutlich erkennbar.
Den Wert der eigenen Arbeit kennen ist der erste Schritt zur Gleichberechtigung in deinem Alltag
Was macht diese Zahl mit dir? Oft entsteht erst einmal ein Strohfeuer. Einige Frauen sind empört, kehren wieder in den frustrierenden Alltag zurück und lassen das Thema Armutsfalle offen stehen. Ein Großteil der Frauen profitiert jedoch von dieser Zahl: Die Zahl lädt dazu ein, den Ist-Zustand zu analysieren und sensibel zu werden für den eigenen Wert. Der Wert führt dazu, sich mit dem Partner und auch mit anderen Frauen über die eigenen Wünsche und Prioritäten auszutauschen.
Ich möchte zum Nachdenken anregen und zu Gesprächen untereinander einladen. Beobachte dich selbst während deiner Haus- und Carearbeit, denk darüber nach und entwickle ein neues Verständnis dafür, ob du als Frau nicht schon längst über eng gewordene Rollenklischees hinausgewachsen bist.
Echte Hoffnung auf Feminismus im Alltag
In den letzten Wochen habe ich Hoffnung, dass die Schieflage, die auch schon lange vor Corona existierte, endlich erkannt und sichtbar wird. In den letzten Wochen habe ich Hoffnung, dass wir erkennen, dass guter Wille oder gar Applaus, Blumen und Pralinen nicht vor Altersarmut schützen. Ich möchte echte Anerkennung, Wertschätzung und faire Verteilung der Haus- und Carearbeit. Ich wünsche mir, dass wir die Leistung vieler Frauen, die in Teilzeit arbeiten und sich um unsere Kinder und den Haushalt kümmern, in Geld und Rentenpunkte übersetzen lernen. Dass wir die Arbeit der Kitas, Schulen, Spitäler und Ehrenämter würdigen lernen. Dass Pflegeberufe in Zukunft ihre verdiente Anerkennung finden. Und dass auch mehr Männer bereit sind, ihren Teil zu leisten. Ich habe Hoffnung, dass der Feminismus im Alltag zu existieren beginnt. Beruflich und Privat.
Über die Gastautorin:
Johanna Fröhlich Zapata ist Expertin für den Zusammenhang zwischen Care und emotionaler Gesundheit.
Als Therapeutin für „Frauen, die alles wollen” weiß sie, wie stressig die Fürsorge-Arbeit für viele Frauen ist. Als Medizinanthropologin weiß sie auch: Stress und mental load haben gesundheitliche Folgen. In aller Konsequenz sichtbar wird das Problem zum Lebensabend, denn Care- Arbeit führt zu Altersarmut. Wer umsonst (haus-) arbeitet und in Teilzeit Kinder erzieht, hat weniger Rentenpunkte angesammelt.
2016 reichte bei 16 von 100 alleinstehenden Rentnerinnen das Einkommen nicht zum Leben. 2036 wird die Quote bei fast 30 % liegen. Insgesamt nimmt die Altersarmut bis dahin um 70% zu. Paare machen oft den Fehler, in alte Rollenmuster zu fallen. Das kann für alle sehr frustrierend sein. Die Frauen fühlen sich dann hin- und hergerissen. Und der Mann will Zeit mit den Kindern verbringen und nicht die Last der finanziellen Verantwortung allein stemmen müssen.
Als Therapeutin begleitet Johanna Fröhlich Zapata Frauen dabei, dieses Fürsorge- Dilemma zu lösen. In eigener Praxis in Berlin (Gestaltpsychologie) begleitet sie „Frauen, die alles wollen“ dabei, ihre Fürsorge wertzuschätzen. Mit guten Gefühlen über Überforderung und Stress zu kommunizieren führt zu überraschenden und unkonventionellen Lösungen, die zum Leben ihrer Klientinnen passen.
Ideen und Gedanken für einen feministischen Alltag findet ihr auch auf Instagram @alltagsfeminismus. Johanna schreibt aktuell an ihrem ersten Buch, einem „Workbook für Frauen, die alles wollen.”