Stell dich nicht so an!
Ich habe mal wieder Post bekommen. Mittlerweile kann ich eine ganze Schublade mit Liebesbriefen füllen, in denen steht, dass ich ein Luxus-Problem habe. Der Inhalt der Nachrichten lautet meist ungefähr so:
Wie kannst du dich nur darüber aufregen, dass du es bist, die die Rolle Toilettenpapier auswechselt? Hast du keine anderen Probleme? Übrigens: Wer sich für Kinder entscheiden, muss sich auch um sie kümmern, also jammere nicht rum. Probiers mal mit Meditation und komm runter.
Unter den Absendern sind übrigens ebenso viele Männer wie Frauen, wobei es doch immer wieder erschreckend ist, dass Frauen so denken. Aber kein Wunder: Wir leben in einer patriarchal geprägten Welt, in der Frauen die unbezahlte und unsichtbare Fürsorge übernehmen. Sie kümmern sich um die Kinder, sie sorgen für kranke Angehörige und sehen diese Arbeit oft als selbstverständlich an. Vielleicht sind gerade deshalb einige wütend, wenn wir die Richtigkeit dieser Sachlage immer weiter in Frage stellen. Das patriarchale Denken ist uns eben allen so sehr ins Blut übergegangen, dass wir Frauen automatisch das Kümmern zuordnen, ohne es zu hinterfragen.
Die Last mit dem Kopf
Fangen wir noch einmal bei mir an. Mir ging es echt nicht gut mit dieser mentalen Last. Ich trage sie, weil ich so sozialisiert wurde. Eine Frau ist für die Kinder zuständig, für die Klopapierrolle, den Kuchen auf dem Schulfest und das Abendessen, das pünktlich um 18 Uhr serviert wird. Das wird mir von Lehrer*innen, dem Apothekenheft, Drogerie-Werbung, sämtlichen Erziehungsratgebern und meinem gesamten Umfeld laufend signalisiert. Da können wir noch so viel über Gleichberechtigung reden und uns emanzipieren, wenn was schief läuft zuhause sind wir es, die sich schuldig fühlen. Das hat das System schon ziemlich raffiniert eingefädelt. Also bestrafen wir uns mit Selbstvorwürfen und schlechtem Gewissen und hängen uns dann doch noch einmal richtig rein, beim Adventskalender füllen oder Karnevalskostüm nähen, beim Backen und beim Bedürfnisorientiert-erziehen. Soweit, so gut. Diese Last treibt uns in den Mental Load und Männer, die sich auf dem Verantwortungsgefühl ihrer Frau ausruhen, tragen dazu bei. Zum Glück werden es immer mehr, die es sich nicht mehr bequem machen, das sei hier mal am Rande erwähnt.
Mental Load geht um die Welt
Wie gesagt, ich hatte harte Zeiten und ich weiß, dass es tausenden anderen Frauen genauso geht. Im letzten Jahr habe ich mit so vielen von ihnen gesprochen und ich bin nicht die einzige, die heulend auf dem Küchenboden saß. Es ist kein Luxusproblem, und dass das Buch von Eve Rodsky, Fair Play (Affiliate Link), ein New York-Times Bestseller geworden ist, sollte den letzten Zweifler überzeugen. Frauen, die über Mental Load sprechen, haben es längst in die Öffentlichkeit geschafft. (Eve hielt einen Vortrag beim Internationalen Wirtschaftsforum in Davos). Hier bei Heute ist Musik schreibt sich nicht nur die Laura aus Stuttgart ein Luxus-Problem zusammen, sondern es weisen immer mehr Frauen (und Männer) darauf hin, dass sie etwas gegen diese Ausbeutung tun wollen.
Wieso mich aber Nachrichten an mich wütend machen, die Mental Load als Luxusproblem bezeichnen, hat andere Gründe. Ich konnte mich mit Hilfe meines Mannes, der mich immer unterstützt hat, aus meinem Tief herausziehen. Ich habe Eltern, die uns die Kinder abnehmen, eine Schwester, die uns unentwegt hilft. Ich habe Nachbarn, mit denen wir uns einen Nachmittag mit Kochen und Kümmern abwechseln, wir sind gesund und die Sorgen umeinander halten sich deshalb sehr in Grenzen. Wir haben darüber hinaus genug Geld, um unsere Arbeitszeit zu reduzieren und viele weitere Privilegien mehr, die wir von Geburt an geschenkt bekommen haben.
Eine Frage des Privilegs
Wenn ich, als Weiße Frau ohne Geldsorgen und mit ausreichend Familien-Backup schon ziemlich am Ende bin, wie geht es dann Frauen, die andere Voraussetzungen haben? Ich kenne genug alleinerziehende Mütter, die nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Sie können ihre mentale Last kaum teilen und sind dennoch mit all diesen Erwartungen an Mütter konfrontiert. Sie müssen Geld verdienen und oft in Vollzeit arbeiten, egal wie alt die Kinder sind. Trotzdem wird von ihnen erwartet, dass sie ihren mütterlichen Pflichten nachkommen inklusive Kuchen backen, achtsam erziehen, da sein, zuhören, vorlesen und Hausaufgaben betreuen.
Fürsorge wird von allen Frauen verlangt. Auch die, die sich mit zwei Jobs über Wasser halten, müssen zuhause das Klopapier auswechseln, den Tisch für das Abendbrot decken, das Geburtstagsgeschenk besorgen und bitte endlich mal den Wandertag in der Schule begleiten. Ihre Männer haben sicherlich die gleichen Geldsorgen, aber garantiert nicht dieselben Ansprüche an sich, was Kinder, Haushalt und Organisation betrifft.
In Familien mit kranken Kindern sind es oft die Mütter, die sich kümmern. Was es bedeutet, sich Sorgen zu machen und da zu sein, seine eigenen Bedürfnisse konsequent hinten anzustellen und die Pflege zu stemmen, die ein schwer krankes Kind oder ein Kind mit Behinderung braucht, ist kaum zu ermessen. Auch diese zehrende Aufgabe ist ungleich verteilt, hat viel mit Mental Load zu tun und wird von der Mutter, weniger vom Vater erwartet.
Da wäre noch eine andere Gruppe. Frauen mit Migrationshintergrund haben einen besonders hohen Mental Load. Darüber hat schon Gemma Hartley in „Es reicht!“ (Affiliate Link) geschrieben. Sie erzählte von einer Schwarzen Frau, die besonders viel Gefühlsarbeit verrichten muss. Diese weiß, dass ihr viele Menschen auf Grund ihrer Hautfarbe kritisch gegenüberstehen und ist besonders darauf bedacht, dass sich ihre Kinder in der Öffentlichkeit brav verhalten. Sie denkt ständig darüber nach, wie sie es schafft, nicht aufzufallen, ihre Arbeit zu erledigen und sich anzupassen, um nicht dem Ärger von Weißen ausgesetzt zu sein. Dazu kommt, dass in den USA Schwarze Frauen oft die schlecht bezahlte und geringgeschätzte Arbeit machen, was hier bei uns in Deutschland Frauen aus Osteuropa betrifft. Auch wer für wenig Geld putzt oder sich um alte Menschen kümmert, hat zuhause zusätzlich die Care- und Organisationsarbeit am Hals.
Dass ich nicht lache
Mental Load ist ein Luxusproblem? Ich kann darüber nur lachen, aber oft bin ich einfach nur sauer. Weil es mir verhältnismäßig gut geht, kann ich die Kraft aufbringen und meine Stimme erheben für viele andere Frauen, die gerade weinend auf dem Küchenboden sitzen. Oder es sich gar nicht leisten können, sich auch nur auf ihren Küchenboden zu setzen.
Wer meint, die Beschwerde über den Austausch von Toilettenpapier sei lächerlich, hat einfach keine Ahnung von den gesellschaftlichen Folgen von unfair verteilter Care-Arbeit. Wer sagt, Frauen sollten sich vorher überlegen, dass Kinder zu haben bedeutet, sich um sie zu kümmern, der hat leider überhaupt nichts verstanden. Er oder sie sollte sich lieber mal fragen, warum dieser Vorwurf niemals an Väter gerichtet wird, die den ganzen Tag außer Haus sind. Wer mir noch einmal seitenweise Mansplaining-Mails schreibt mit dem Hinweis, ich solle es doch mal mit Meditation und Achtsamkeit probieren, möge sich das bitte sparen und in dieser Zeit besser den Kühlschrank auswischen oder mit den Kindern spielen. Denn ich bleibe laut und werde mich hier weiter einsetzen, dass Denk-, Gefühls- und Sorgearbeit nicht länger nur Frauen in die Schuhe geschoben wird. Und wenn ich es einzig und alleine für meine kleine Tochter und ihre Freundinnen tue.
Falls du Lust hast, zu diskutieren, kannst du heute Abend um 20:30 Uhr in den Instagram-Kanal des Elternmagazins klicken, da talken wir live über Mental Load. Außerdem bin ich morgen in Stuttgart bei den Social Moms zu Gast und nächste Woche in der Bücherei in Fellbach Oeffingen. Die Revolution beginnt zuhause – aber wir tragen sie von dort durch das ganze Land.
Laura
Falls du neben einem Mental Load-Problem auch noch überlegst, wie ihr mit euren Wackelzahn-Kindern umgehen sollt, dann wäre sicher mein Ratgeber Wackelzahnpubertät (Affiliate Link) das richtige für euch! Und in einigen Monaten gibts dann auch mein umfassendes Mental Load-Buch. Work in Progress – das wird fantastisch!
7 Comments
Liebe Laura,
ich bin so sehr mit dir einverstanden und dir so dankbar dafür, dass du diesen Blog schreibst. Auch und vor allem dafür, dass du so ehrlich beschrieben hast, in welche Wut dich diese Überlastung getrieben hat, denn mir ging es ganz genauso und ich habe mich so sehr in Frage gestellt deswegen – bis ich deinen Blog entdeckte. Unglaublich, wie sehr es hilft, von ähnlichen Erfahrungen anderer zu lesen. Ich dachte so oft, das hätte ich selbst 1:1 so schreiben können, das Anmeckern/Anschreien der Kinder aus purer Erschöpfung, nachdem man lange, lange ausgehalten hat, und wie schlecht man sich hinterher dafür fühlt. Ich bin übrigens überzeugt davon, dass ein Teil der Erschöpfung aus purer Langeweile resultiert, aus der Stupidität der Putzerei und des Klorollenwechselns und der fünften Wiederholung derselben Witze. Ich bin jemand, die selbst viel nachdenkt, liest, bin selbst mit einem sehr emanzipierten Anspruch aufgewachsen und habe es doch nicht geschafft, die Care-Arbeit in meiner eigenen Familie gerecht zu verteilen, aus all den bekannten Gründen (Mann verdient mehr etc etc). Jetzt sind meine Kinder schon ziemlich groß, aber ich arbeite noch immer daran. Ich freue mich auch so sehr für dich, dass du für Euch so viel ändern konntest und auch mit deinen Büchern jetzt so erfolgreich bist!
Von Frauen wird verlangt, mit dem gesellschaftlichen Wandel konform zu gehen. Sie sollen und wollen Erwerbstätig sein, gleichzeitig aber weiterhin die frühere Rolle der Vollzeitmama erfüllen. Beschweren sie sich, zurecht, über diesen unfairen Zustand, wird mal wieder mit Klischees um sich geworfen. Männer dürfen einfach im Ist Zustand verweilen, ohne von der Öffentlichkeit abgestraft zu werden. Im Gegenteil! Solche Männer, die das Thema Arbeitsteilung tatsächlich ansatzweise umsetzen, werden gepampert und gefeiert, wo dies doch eigentlich selbstverständlich sein sollte…
Da gebe ich dir recht. Auch im Netz sind sie unterwegs, die Väter, die stundenlang lamentieren, was sie alles machen. Was sie in der Zeit, in der sie bloggen und instagrammen alle erledigen könnten 😉 Es ist noch ein langer Weg, aber wir können es schaffen!
Ich habe selten einen Artikel gelesen dem ich so 100 prozentig zustimmen kann. Danke für deine klaren und wahren Worte! Ich frage mich immer wieder warum es in einer eigentlich fortschrittlichen Beziehung so schwer ist, eine gerechte Aufgabenverteilung hinzubekommen. Wieso werde ICH für die ungebügelten Hemden meines Mannes schief angeguckt? Diese Erwartungshaltung regt mich auf! Oder die allgemeine Ansicht dass der Mann im Haushalt „hilft“. Nein, es ist auch sein Haushalt in dem er bitteschön den gleichen Anteil erledigt!
Danke auch für den Denkanstoß, dass man mit dem stetigen Arbeiten an diesem „Luxusproblem“ des mental loads vielleicht auch eine Besserung für die Alleinerziehenden schafft. Mir gefällt deine Sichtweise richtig gut, werde jetzt noch in weiteren Artikeln hier stöbern 🙂
Liebe Betty, freue mich richtig doll über dein Kompliment. Lass uns weiter die Fahne hochhalten, für alle Frauen!
Danke Laura! Einfach Danke ❤️
Sehr gerne, liebe Simone