Morgens, halb neun in Deutschland
Der Morgen ist bekanntlich in vielen Familien die Rush-Hour des Tages. Los gehts mit Frühstück machen, Kinder anziehen, Taschen packen. Dabei summt und brummt der Kopf vor Fragen, die beantwortet werden müssen: kann das Kind nach Erkältung heute wieder in die Kita? Wird es heute warm oder kalt, müssen die Kids mit Sonnencreme oder Kälteschutzsalbe versorgt werden? Matschhose und Gummistiefel, oder Hut und Shorts? Fahren wir mit dem Auto, weil es in Strömen gießt, oder nehmen wir die Räder? Wo sind eigentlich die Kinderhelme? Und sollten wir nicht im Kindergarten leere Klopapierrollen / Teegeld / Wechselklamotten abgeben? Dabei reden wir unentwegt, bis die Stimmbänder heiser werden:
Los, mach schon, du musst aufstehen! Nein, nicht den guten Rock, ihr geht doch heute auf den Matsch-Spielplatz! Bitte, Luise, nimm die Puppe ODER den Teddy mit. Wieso hast du schon wieder keine Unterhose an? Warte, ich muss dir noch den Po abputzen. Wollt ihr Ziegenkäse oder Leberwurst aufs Brot? Warum magst du auf einmal keine Pfirsiche mehr? Warum hat dich Anna gestern gehauen? Geht ihr heute in die Bewegungslandschaft?
Mit vier Wochen altem Säugling steigert sich das Schwierigkeits-Level noch einmal um ein Vielfaches, denn während das große Kind mal wieder trödelt, das mittlere sein Frühstück im Schneckentempo verzehrt und die Uhr erbarmungslos tickt, brüllt das Baby herzzerreissend, denn es möchte nun einmal auf GAR KEINEN FALL irgendwo abgelegt werden. Darum heißt es für Eltern in einer solchen Lage: Abstriche machen, Prioritäten setzen und immer das Wichtigste zuerst erledigen. Im Klartext bedeutet das, dass Outfit, Hygiene und Nahrungsaufnahme der Erwachsenen sowie Haushaltspflichten vernachlässigt werden. Die Küche sieht deshalb bei uns manchmal aus wie in Messie-Hardcore-Soaps, die abends auf Sat 1 laufen, ich stecke in Leggings, Schlafanzugoberteil und Jeansjacke und mein leerer Magen muss sich mit einem Espresso begnügen.
Die wahren Helden der Morgenstunden
Hiermit möchte ich einmal eine Lanze für Väter und Mütter brechen, die diesen Wahnsinn jeden Morgen durchstehen, ob mit einem, zwei oder drei Kindern. Sie sind die Helden der Morgenstunden, die Ritter des Sonnenaufgangs, die Superhelden des Vormittags und haben in Sachen Organisation und Stressresistenz die optimalen Voraussetzungen für Berufe wie Fluglotsen, Unternehmensberater oder Notfallchirurgen.
Aber das, was ich hier geschildert habe, ist nur der Anfang. Eltern sind nämlich auch Verkehrspolizisten. Jeden Tag fühle ich mich wie ein Straßenlotse, der den Ampelausfall in Berlin-Mitte im morgendlichen Berufsverkehr am
Potsdamer Platz alleine regeln muss. Es beginnt mit der Schwierigkeit, vier Räder eines Kinderwagens, meine eigenen beiden Füße, vier Kinderbeinchen und zwei Fahrräder mit vier Rädern in den Haus-Aufzug zu verfrachten. Dabei fahren sich Jimmy und Luise dauernd über die Zehen, fangen an zu weinen und streiten unentwegt darüber, wer auf den Aufzugknopf drückt, wer als erster hinein und als erster heraus fährt und wer heute überhaupt vorne fahren darf. Nebenbei fahre ich den Kids mit dem Kinderwagen aus Versehen in die Hacken, was weiteres Weinen und Trösten nach sich zieht. Also heißt es, alles genau zu koordinieren: Jimmy darf drücken, dafür fährt Luise vor. Alle fahren langsam und bedächtig und keiner schubst den anderen um. Bis wir auf der Straße stehen, bin ich heiser, fühle aber auch den Stolz über meinen Etappensieg im Morgenchaos, wenn alle einigermaßen heil auf der Straße stehen.
Ich überlege derzeit, die Trillerpfeife und Jimmys Kelle mitzunehmen, denn nun ist die Verkehrspolizistin in mir gefragt: ich bin damit beschäftigt, auf dem Weg in den Kindergarten etwa 68 mal darauf hinzuweisen, dass alle an der Straße halten, dann links-rechts-links schauen. Darauf folgt ein „ihr könnt fahren“ und ein „am schwarzen Auto bitte halten!“ Oft kann ich bis dahin meine eigene Stimme schon nicht mehr hören. Zwischenzeitlich gibt es weitere Diskussionen darüber, ob Jimmy oder Luise schneller fährt, wer an der Ampel drücken darf und wer zuerst am Gehweg-Ende angekommen ist. Jimmy, sein zweiter Name lautet „Vorsicht“ ist, bremst auf dem Weg hinunter wie verrückt. Dabei quietschen diese haarsträubend und ununterbrochen, nebenher fragt mich der Knabe allerlei Dinge, die ihm gerade im Kopf herum gehen. Luise ruft von vorne „schau mal Mama, wie schnell ich bin“ und ich antworte mit einem „Achtung, da hinten kommt ein LKW“. Tatsächlich fühle ich mich, als müsste ich den gesamten Luftraum über Amerika bewachen.
Endlich am Kindergarten angekommen kann ich ausatmen. Einen kleinen Zwischenfall gibt es immer noch dann, wenn ich aus Versehen einem der Kinder ein bisschen Haut einklemme, während ich den Fahrradhelm löse. Aber hin und wieder schaffen wir es tatsächlich friedlich in den Flur.
Eltern, die perfekten Arbeitnehmer
Dann heißt es für mich: ab nach Hause. Dort wartet schon mein nächster Job als Reinemacherin. Danach kommt die Schicht am Computer, denn ich bin außerdem noch Managerin eines Kleinunternehmens, wie es in der Werbung so schön heißt. Etwas später trete ich meinen Dienst als Köchin mit hochdifizilem Anspruch an den Speiseplan an, denn meine kleinen Gäste mögen so gut wie nichts. Ach, im Übrigen bin ich auch noch einzige Mitarbeiterin in einer mittelständischen Reinigung und erledige nach dem Mittagessen noch die Aufgaben, die mir als Finanz- und Steuerberaterin einer fünf-köpfigen Familie zugetragen wurden.
Da sage noch irgendeiner, Eltern wären als Arbeitnehmer auf Grund von Kinderbetreuungspflichten schwierig einzustellen! Gerade WEGEN der Kinderbetreuung sind wir die flexibelsten, verlässlichsten und belastbarsten Mitarbeiter, die es überhaupt nur gibt. Wir haben ein nach etlichen Virenangriffen gestärktes Immunsystem und sind daher selten krank. Außerdem brauchen wir wenig Schlaf und sind auch in Sachen Nahrungsaufnahme und benötigten Pausen anspruchslos. Wir organisieren die perfekten Firmenfeiern mit Buffet und Partyspielen und helfen als Streitschlichter im Büroalltag – sind also die perfekte Wahl für sämtliche Arbeitsstellen! Wer was anderes behauptet, bekommt es mit mir zu tun. Ich bin nämlich ebenfalls die perfekte Strafvollzugsbeamtin, fragt mal Jimmy und Luise!
Mein Beitrag für den ELTERN! Blog Award 2016 von Scoyo
Diesen Beitrag habe ich verfasst, um mich für den ELTERN! Blog Award 2016 von Scoyo zu bewerben. Der Online Lernplattform geht es unter anderem darum, dass Blogger mit ihren ehrlichen und humorvollen Texten zeigen, wie der Alltag in der Familie aussieht. Der Alltag in unserer Familie sieht jedenfalls so aus: bunt, unaufgeräumt, ziemlich chaotisch und alles andere als perfekt. Ich bin eine Mutter, die Fehler macht, und meine Kinder sind auch mal laut, wütend oder äußerst schlecht gelaubt, so wie in jeder anderen gewöhnlichen Familie eben auch!
Weg mit dem Perfektionsdruck unter Eltern, her mit dem turbulenten Alltag. Deshalb möchte ich mit meinem Beitrag zeigen, wie es bei Scoyo so schön heißt: „Eltern sind wunderbar – und wer dem Bauchgefühl folgt, der kann nicht ganz falsch liegen!“