Heute habe ich einen spannenden Gastbeitrag für dich. Die Frau von meinem Cousin berichtet von ihrem Leben in Singapur. Zusammen mit ihrem Söhnchen leben die beiden schon bald ein Jahr dort und du kannst dir vielleicht vorstellen, dass es sehr schwierig ist, in Asien plastikfrei zu leben. Nadine schreibt übrigens auch einen super spannenden Blog: Singapurhochdrei ist absolut lesenswert, auch weil Nadine eine unheimlich lebenslustige, starke und positive Frau ist.
Plastikfrei in Singapur – Ein Ding der Unmöglichkeit?
Leben in München
Noch vor knapp einem Jahr war ich ein wandelndes Schwabinger LOHAS-Klischee: ich fuhr ausschließlich und bei jedem Wetter mit dem Fahrrad in die Arbeit, mein Sohn Titus wuchs mit Fahrradanhänger auf und wir benutzten unser Auto maximal für die Fahrten zum Großelternbesuch oder in die Berge.
Natürlich trennten wir sämtlichen Müll, fuhrten zum Wertstoffhof bzw. radelten bei den Sammeltonnen vorbei, und ich verhandelte knallhart mit dem Göttergatten um den Einzug eines Bio-Mülleimers in unserer Küche (bzw. auf dem Balkon). Entdeckte ich im Müllraum unseres Mehrfamilienhauses Glasflaschen oder sonstigen recyclebaren Abfall, holte ich diesen sogar manchmal wieder aus der Tonne raus und entsorgte ihn “richtig”.
Einmal wöchentlich wurde uns (einem Vegetarier- Haushalt) per Lieferservice die Ökokiste ins Haus geliefert, den Rest der Lebensmittel kaufte ich auf dem freitags direkt bei uns im Viertel und nur zwei Minuten Fußweg entfernten Wochenmarkt bzw. im Supermarkt daneben ein, dann aber nur so verpackungsarm wie möglich. Gerne legte ich mich mit den Einräumern an und beschwerte mich über in Plastik eingeschweißte Gurken.
Hatte ich Muße, radelte ich sogar zum “Ohne”-Supermarkt in der Maxvorstadt, dieser komplett verpackungsfreie Laden versorgte mich mit allem, was man zum Leben braucht: Holzzahnbürsten, Müsli, Öle, Honig und Putzmittel zum Selbstabfüllen, Gemüse und Obst von Etepetete, wiederverwendbare Hygieneartikel,… Alles natürlich zu völlig abartigen Preisen, aber was tut man nicht alles der Umwelt zuliebe!
Jeden Herbst sammelte ich kiloweise Kastanien, kämpfte mit den Nachbarskindern um jede Nuss, um dann meine Ausbeute mühsam kleinzuhacken, zu trocknen und das Jahr über als Waschmittel zu benutzen. Blogs wie Wastelandrebel waren meine Bibel, ich stellte Deos und Putzmittel selber her, nähte mir Abschminkpads und wusch mich und meine Haare nur noch mit Seife. Jedes ausrangierte Kleidungsstück wurde per “Upcycling” zu neuen Klamotten für das Kind oder anderem umgenäht.
Kurz: ich war – zumindest für meinen Mann – der wahrgewordene Öko-Alptraum.
Ab nach Singapur
Und dann wurde alles anders – denn wir zogen Knall auf Fall mit Sack und Pack nach Singapur um. Zuerst einmal musste der Haushalt aufgelöst werden, und es blieb schlichtweg keine Zeit, jedes zu entsorgende Ding liebevoll auf ebay einzustellen, es langwierig weiterzuverschenken, upzucyclen oder sonstwie “sinnvoll” zu entsorgen. Wir warfen ziemlich viel weg.
In Singapur angekommen, erlebten wir dann den “Einkaufsschock”: nicht nur die Lebensmittelpreise verursachen beim Neuankömmling Schnappatmung, sondern auch die unfassbare Verpackungswut der Südostasiaten. Plastik, so weit das Auge reicht. Die ersten Male kam ich vom Supermarkt mit wahren Tütenbergen nach Hause, doch dann sagte ich den uneinsichtigen Kassierinnen den Kampf an. Bezeichnenderweise war der erste Satz, den unser dreijähriger Sohn auf Englisch von sich gab: “No bag, please!”
Fast acht Monate später bin ich etwas demütiger geworden. Singapur hinkt Deutschland einfach zwanzig Jahre hinterher, was Umweltbewusstsein und das Bestreben nach Nachhaltigkeit angeht. An den wunderschönen Stränden der indonesischen und malaiischen Inseln rundherum wird tagtäglich Plastikmüll angespült, hier lebt man quasi mit den direkten Auswirkungen der Meeresverschmutzung, und trotzdem: Tüten, Tüten und nochmals Tüten sowie Plastikbecher und -flaschen.
Selbst auf dem Markt im Viertel, den ich nach längerer Suche entdeckt habe und dem ich nun wöchentlich meinen Besuch abstatte (sehr zur Belustigung der rein chinesischen Kundschaft), muss ich Plastiktüten abwehren wie der Teufel das Weihwasser. Mein “Hackenporsche” und meine selbstgenähten Jutebeutel werden skeptisch beäugt, und wahrscheinlich denkt man sich: “Verrückte Europäer!”
Bio-Gemüse und -Obst muss man lange suchen, das gibt’s nur im Supermarkt, dort aber zum Fünffachen des eh schon abartigen Preises, und dazu noch komplett in Plastikfolie eingeschweißt. Auf dem Markt liegen die Früchte zwar offen aus, doch über die Bio-Qualität ist nichts bekannt. Äpfel kommen genauso aus Neuseeland wie im deutschen Supermarkt auch, Singapur selbst hat ja kaum eigene Anbauflächen und muss praktisch alles importieren. In der Bäckerei werden sämtliche Teilchen einzeln in kleine Plastikbeutel eingepackt; von Papiertüten hat hier noch nie jemand gehört, und die wären hier auch recht unpraktisch, denn bei der oft über 90%igen Luftfeuchtigkeit draußen wäre das Brot schneller Matsch, als ich es vom Geschäft nach Hause tragen könnte.
Andere Bio-Lebensmittel wie Couscous, Tofu-Würstel, Sojaschnetzel etc. lassen wir uns von jedem Besucher aus der Heimat, der hier in Singapur vorbeikommt, mitbringen (Vergleich: eine Packung Tofuwürstel von Alnatura: 2.95 Euro vs. umgerechnet 8 Euro im hiesigen Reform- und Juwelenhandel für die halbe Packungsgröße). Ebenso praktizieren wir den Import mit dem gesamten Bio-Kosmetik-Sortiment von der Lieblingsdrogerie – denn danach suche ich bislang vergebens.
Was mir wirklich schwerfällt, ist die völlige Abwesenheit von Mülltrennung. Als Deutscher bekommt man ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn man das Alupapier nicht richtig vom Nutellaglas abzupft, bevor man das leere Glas in der Tonne für Weißglas (!) entsorgt. Hier dagegen: einfach alles in den Müllschacht, und zwar zusammen. Ich stelle nach wie vor jede Woche einen Karton voll Altpapier in den Hof zu den großen, verschiedenfarbigen Tonnen, die eine Mülltrennung suggerieren – erwische dann aber die Müllmänner, wie sie das Papier einfach zum normalen Haushaltsmüll dazukippen, ebenso wie leere Flaschen oder Dosen.
Tatsächlich darf man hier sogar staatlich abgesegnet Batterien und Elektroschrott im ganz normalen Müll entsorgen – aber das geht mir dann doch zu weit! Tatsächlich habe ich für unseren bald anstehenden Heimatbesuch bereits ein Tütchen mit leeren Batterien bereitgelegt und werde diesen Sondermüll lieber per Flugzeug zurück nach München transportieren, als dass ich mich hier müllentsorgungstechnisch Richtung Fegefeuer bewege.
Immerhin ist unsere Umweltbilanz in Sachen Mobilität etwas besser, denn ein eigenes Auto haben wir nicht. Fahrradfahren funktioniert aufgrund der krassen Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit nur bedingt gut, noch schlimmer sind die Autofahrer, die es schlichtweg nicht gewohnt sind, eine Radlerin neben sich zu haben. Unsere Hauptfortbewegungsmittel sind Bus und U-Bahn sowie Taxi bzw. Uber.
Strom ist teuer, also nutzen wir die Klimaanlage in der Wohnung nicht ganz so exzessiv wie die Einheimischen. Hier ist es gang und gäbe, dass Büroräume, Klassenzimmer, Veranstaltungsorte und öffentliche Verkehrsmittel auf winterliche 18° C runtergekühlt werden. Die Kosten und die Energie, die dafür aufgewendet werden müssen, lassen mich noch mehr schaudern.
Mit Öko-Waschmittel oder -Putzmittel habe ich zwar erste Versuche gestartet, bin jedoch kläglich gescheitert. Wir leben nunmal in den Tropen, Singapurs Boden ist einem riesigen Sumpfland mit tropischem Regenwald abgerungen, und dementsprechend kreucht und fleucht es hier, sobald man etwas nachlässiger putzt oder versucht, ohne Chemikalien im Haushalt auszukommen. Als wir zum ersten Mal handtellergroße Kakerlaken in Küche und Bad vorfanden, griff ich auf Anraten meiner Putzfrau dann doch zähneknirschend zu einer großen Flasche “giftigem” Bodenreiniger; danach verschwanden auch die Ameisenkolonnen im Vorratsschrank. Während der Regenzeit schimmelte einfach alles in unserer Wohnung, selbst die Kosmetikartikel im Inneren unseres Badezimmerschranks, und seufzend reinigte ich alles mit Chlorox…
Natürlich habe ich mich auch in Singapur einer “Zero Waste”-Gruppe angeschlossen, doch versucht man hier, das Müllproblem eher im Kleinen zu beheben: Nein zu Plastikstrohhalmen, statt Take-Away-Wegwerfgeschirr lieber eigene Dosen, Besteck und Becher mitbringen, selbstgenähte Lunchbags und Jutebeutel statt Tüten,… Alles ganz nett und auf dem richtigen Weg, aber bis die Gesamtbevölkerung sensibiliert ist, wird noch einiges Wasser den Singapore River hinunterfließen!
Liebe Nadine, ich danke dir für deinen Bericht. Krass, wie wir Menschen mit unserem Planeten umgehen. Aber wir Deutsche dürfen uns gerne an die eigene Nase fassen, denn plastikfrei einkaufen ist auch bei uns schwer, siehe mein Text für das Projekt #GutesaufdenTeller. Sehenswert ist übrigens die Serie „Der Blaue Planet“ im Ersten. Hier erfährt man unter anderem auch, wie schrecklich die Auswirkungen von Mikroplastik auf unsere Umwelt, die Meere und die Tiere ist. Ein Walbaby erstickt an einer Plastiktüte und die Walmama trauert tagelang mitsamt ihrer Sippe. Es lohnt sich, auf Plastik so gut es geht zu verzichten, denn wir tragen Verantwortung für unseren Planeten, für die Tiere und vor allem für unsere eigenen Kinder!
Blein dennoch fröhlich und unperfekt, deine Laura
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