Bei uns in der Grundschule werden zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet, darum verlässt nach jedem Schuljahr die Hälfte der Kinder den Klassenverband. Zum Abschied gestalten die jüngeren SchülerInnen einen Gruß. Meine Tochter bemalte freiwillig und mit viel Freude zwölf Karten und ich war überrascht, wie viel Mühe sie sich machte. Mein Sohn hatte keine Lust. Ich konnte das gut verstehen, denn ich finde schon, dass das eine hohe Erwartung an die Kinder ist. Wir waren während der Corona-Krise beim Homeschooling so oft aneinandergerasselt, dass ich es jetzt nicht für eine gute Idee hielt, ihn zum Gruß-Karten schreiben zu verdonnern.
Keine Lust auf Karten schreiben!
Also dachte ich mir eine unkomplizierte Sache aus: Jimmy diktierte mir seinen Lieblingswitz, ich druckte ihn vierzehn Mal aus und dann sollte er die Witze einfach auf die Karten kleben. Auch das war ihm der Mühe nicht wert, generell ergab diese ganze Aktion für ihn keinen Sinn und er wollte nur raus zum Fußball spielen. Oft hatte ich meinem Sohn und meinen Nerven zuliebe darüber nachgedacht, die Sache mit der Kartengestaltung einfach sein zu lassen. Aber es war ja ein Geschenk für andere Kinder, außerdem hatten sich die OrganisatorInnen aus der Elternschaft Mühe gegeben und vielleicht wäre es meinem Sohn unangenehm gewesen, als Einziger ohne Karten dazustehen. Mittags saßen meine Tochter und ich am Tisch und ich fragte sie, ob sie mir schnell hilft, die Karten zu bekleben. Sie war sofort dabei. Abends kritzelte mein Sohn seinen Namen unter jede Karte und steckte sie in seinen Ranzen – wo sie sich, lange nach dem Abgabetermin, bis heute befinden.
Es ist keine bedeutende Geschichte. Aber sie zeigt ganz genau, wie sich die Dinge so entwickeln, dass sich Frauen für die Kümmer-Arbeit verantwortlich fühlen. Zwar malt meine Tochter gern und das Bekleben der Karten war für sie Spaß, trotzdem übernahm sie die Aufgabe ihres Bruders. Hätte sie keine Lust gehabt, hätte ich sie damit nicht belästigt, aber doch habe ich auf ihre Hilfsbereitschaft gezählt.
Genetische Veranlagung? Fehlanzeige!
Ist diese Hilfsbereitschaft eine Eigenschaft von Luise, weil sie ein Doppel-X-Chromosom besitzt? Nein! In meinem Mentalload-Ratgeber (Affiliate Link) erkläre ich, dass sich die Gehirne von männlichen und weiblichen Säuglingen nur minimal unterscheiden. WissenschaftlerInnen machen diesen winzigen Unterschied aber nicht für das unterschiedliche Verhalten von Jungen und Mädchen verantwortlich. Die Erziehung durch die Eltern und die Außenwelt sowie die Sozialisierung durch die Gesellschaft haben viel stärkere Auswirkungen. Kleine Mädchen gehen nicht in pinke Röcke gekleidet in die Puppenecke, weil ihre Gene sie quasi dorthin leiten, sondern sie imitieren die Erwachsenen, mit denen sie sich identifizieren und sie tragen die Kleider, die ihnen zugeordnet werden. Kinder möchten den Erwartungen anderer entsprechen, sie möchten zu „ihrer Gruppe“ gehören und sein wie alle anderen. Durch die starre Einteilung in männlich und weiblich und die von uns zugeordneten Spielzeuge, Kleidung und Verhaltensweisen (Puppe, rosa Kleid, brav und freundlich sein vs. Auto, blaue Hose, abenteuerlustig und freiheitsliebend) orientieren sie sich daran, wie sie zu sein haben. Jungen mit langen Haaren, die mit Puppen spielen und Röcke tragen, irritieren Erwachsene so stark, dass die Kinder durch deren Kommentare sofort gespiegelt bekommen, dass sie etwas „Falsches“ tun oder „falsch“ aussehen.
Elfenarbeit ist Frauensache?
Zurück zu meinen Kindern. Meine Tochter nimmt mich als ihr Vorbild und sieht, wie ich mich kümmere: ich besorge Geschenke und schreibe Karten an meine Verwandten, ich pflege Kontakte zu Onkel, Tanten, Freunden, ich gratuliere zur Geburt von Babys, ich rufe oft meine Eltern an und bin die hauptverantwortliche Hauselfe. Meine Tochter und der kleine Sohn glauben noch an die Zahnfee und das Christkind, erleben aber, dass ich mit den Beiden unter einer Decke stecke. Papa hat damit eher weniger zu tun. Generell hat mein Mann, der übrigens viel fürsorglicher mit den Kindern umgeht als ich, sich schon immer für den Haushalt verantwortlich fühlte und sich mit mir die Organisationsarbeit teilt, mit dieser Art von Sorge-Arbeit nicht viel am Hut. Auch er wurde so sozialisiert, dass Karten schreiben, Zahnfee spielen und Eltern zur Geburt ihrer Kinder beglückwünschen nicht in seinen männlichen Aufgaben-Bereich fällt.
Die Geschichte von meinen Kindern zeigt, wie es dazu kommt, wie wir von klein an lernen, Menschen in unser übliches (diskriminierendes) binäres Geschlechter-System einzusortieren und wie wir uns selbst einordnen.
Es reicht!
Ich selber habe dazu beigetragen, dass meine Tochter sich kümmert. Unterbewusst nutze ich ihre Bereitschaft (aus), bitte sie, sich mit ihren Brüdern zu vertragen, der Oma ein Bild zum Geburtstag zu malen, sich schnell wieder mit ihren Freundinnen zu vertragen oder mich eben dabei zu unterstützen, die Elfenarbeit ihres Bruders zu übernehmen. Sie macht es jetzt noch mit Vergnügen, aber womöglich wird sie selber mal eine Familie haben. Die erste Weihnachtskartengestaltung finde sie vielleicht noch nett, aber irgendwann wird sie im Dezember mit Geschenken bepackt eine endlose Advents-To-do-Liste pflegen und fluchen, weil sie noch 25 Karten an die Verwandtschaft beschriften muss, während ihr Partner keinen einzigen Gedanken daran verschwendet. Schließlich hat niemals jemand von ihm erwartet, zuhause für Atmosphäre, Glitter und Weihnachtszauber zu sorgen. Er wird meine Tochter Luise fragen, wieso sie sich so stresst, und sagen, dass Karten schreiben doch wirklich unwichtig ist. Und vielleicht wird Luise dann am 24. Dezember morgens ihre Familie verlassen und sich denken: macht euren Kram doch von nun an selber. Karten schreiben ist wirklich nicht überlebenswichtig. Aber es ist wichtig, dass wir uns umeinander kümmern. Mit einem Gruß, einem Glückwunsch, einem Anruf oder einer Aufmerksamkeit zeigen wir anderen Menschen, dass sie uns etwas wert sind, und wir an ihrem Leben Anteil nehmen.
Ich muss dringend achtsamer mit meinen unbewussten Erwartungen an die Kinder umgehen. Bloß weil Luise gerne malt, darf ich sie nicht bitten, die Aufgaben ihres Bruders zu übernehmen. Die Sache mit dem Karten an die MitschülerInnen schreiben ist vielleicht nicht der Rede wert, aber es ist unglaublich wichtig, auch den Jungen zu zeigen, dass es wichtig ist, sich für andere Menschen zu interessieren und für sie zu sorgen. Wenn wir uns fragen, wieso überall mental belastete Frauen sitzen, die sich so verantwortlich für die Empfindungen der anderen fühlen und sich selbst darüber vergessen, finden wir manchmal Antwort in diesen kleinen scheinbar nebensächlichen Angelegenheiten.
Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura
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