Und, was hast du heute so gemacht? Ach, nicht viel, irgendwie ist der Tag an mir vorbeigerauscht. Dann erzähl doch mal! Also morgens habe ich Frühstück für die Kinder gemacht, ihnen die Brotboxen gefüllt und ihnen geholfen, sich anzuziehen. Etwas später bin ich zur Arbeit und habe in der kurzen Kaffeepause mit meiner Freundin telefoniert, der es gerade nicht so gut geht. Nach dem Mittagessen bin ich schnell nach Hause gefahren, habe die Kinder in Empfang genommen und mit ihnen Hausaufgaben gemacht. Anschließend sind wir zusammen zu meiner Großtante ins Krankenhaus gefahren. Sie hatte einen Schlaganfall und freut sich immer so über Besuch. Den Sohn haben wir erst beim Fußballtraining abgesetzt und hinterher wieder abgeholt. Dann war es schon Zeit fürs Abendessen. Mein Mann ist gerade auf Geschäftsreise, daher habe ich die Kinder alleine ins Bett gebracht. Ich war abends richtig platt und hatte doch das Gefühl, vieles nicht geschafft zu haben.
Wow, was für ein Tag, oder? Aber so absurd klingt es nicht, was die Dame da erzählt. Es könnte der ganz normale Tagesablauf einer normalen Frau in Deutschland sein. Sie selber denkt, sie hätte den Tag über kaum etwas geschafft, dabei hat sie sich den ganzen Tag gekümmert. Wieso denkt sie nur so? Nun, eigentlich ist es ganz einfach. In unserer Kultur zählt vor allem die Erwerbstätigkeit. Wer erfolgreich im Beruf ist und Geld verdient, macht einen tollen Job. Wer sich um andere kümmert, nun ja, das ist ja nicht wirklich Arbeit, oder?
Frauen fühlen sich verantwortlich
So lernen wir es von klein auf und übernehmen diese Ansichten. Aber genau das ist das Problem. Die Diskriminierung von Care-Arbeit hat viele negative Folgen, vor allem für Frauen. Sie sind es nämlich, die sich verantwortlich fühlen für das Kümmern. Sie sind es, die zuhause bleiben, wenn Kinder auf die Welt kommen. Sie kümmern sich aber auch in den meisten Fällen um pflegebedürftige Angehörige, hören zu, haben ein offenes Ohr und fühlen sich für eine angenehme Atmosphäre verantwortlich – im Haus und im Job, im Verein oder in der sozialen Arbeit.
Wieso ist das so? Können Frauen das einfach besser, diese Art von emotionaler Arbeit? Nein, ganz und gar nicht. Die Gehirne von männlichen und weiblichen Säuglingen unterscheiden sich nur minimal, dagegen hat unser Verhalten und die Erziehung viel stärkere Auswirkungen auf die Entwicklung, wie Neurobiologin Lise Eliot erklärt:
Ja, es gibt angeborene Unterschiede, doch wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass sie sich durch unser Verhalten als Eltern oder durch die Inszenierung der Geschlechter in der Werbung und in den Medien vergrößern.
Der Unterschied
Und tatsächlich werden Mädchen anders erzogen als Jungen. Väter sprechen mit ihren Töchtern über Gefühle, mit ihren Jungs dagegen toben sie herum, wie dieser Text erklärt. Mädchen lernen schnell, dass lieb und brav gut ankommt. „Vertrag dich doch lieber mit deiner Freundin!“ oder „für ein Mädchen bist du aber ganz schön unordentlich“. Jungen dagegen dürfen sich auch mal aggressiv zeigen, wir tolerieren es eher, wenn sie laut, frech und stürmisch auftreten. Sie haben ein ganz anderes Problem: ihnen werden manche Gefühle abgesprochen und sie lernen von ihren Vätern. Die haben sich nämlich damals oft anhören müssen, dass ein Indianer kein Schmerz kennt und Jungen nicht weinen dürfen. Kein Wunder, dass es heute viele Männer gibt, die Distanz zu den eigenen Gefühle haben und damit auch zu denen der anderen. Wer kümmert sich um ein Dankeschön für die Fußballtrainerin? Wer bringt dem Lehrer ein paar Weihnachtsplätzchen vorbei? Natürlich die Frauen, die emotionale Arbeit von klein auf aus dem FF können – weil sie es gelernt haben.
Wenn Kümmern arm macht
Diese Art von emotionaler Arbeit, die im Zusammenhang mit Menschen auch Care-Arbeit genannt wird, wird verhältnismäßig oft von Frauen gemacht und wird zu wenig wertgeschätzt, das ist ein Problem und vereint sie durch sämtliche Gesellschaftsschichten hindurch. Es ist aber nicht nur die fehlende Wertschätzung, sondern auch das Armutsrisiko, das damit einhergeht. Eine Frau, die sich um die Kinder kümmert und dafür ihren Beruf zeitweise aufgibt oder einschränkt, verdient weniger Geld. Fehlt dann der Partner, kommt sie oft nur schwer über die Runden. Von den Alleinerziehenden sind über 90 % Frauen. Das betrifft genauso Frauen, die Angehörige pflegen. In unserer Gesellschaft ist dieses Kümmern aber keine besonders relevante Tätigkeit, obwohl sie entscheidend ist für die Würde und das Wohlbefinden von Kindern, Kranken und älteren Menschen.
Die Sozialisierung ist schuld
Das Probem betrifft Frauen umso stärker, je weniger sie privilegiert sind. Ist genug Geld vorhanden, gibt es Möglichkeiten, Sorgearbeit abzugeben. Haushaltshilfen übernehmen das Putzen, ein Babysitter sorgt für ein wenig Freiraum. Aber die Haushaltshilfe selbst hat womöglich auch Kinder. Sie arbeitet, um über die Runden zu kommen und macht die Sorgearbeit oben drauf. Mental Load, also die Last, an alles denken zu müssen, was die Familienorganisation und die Care-Arbeit angeht, ist auch so ein typisches Frauen-Problem. Das Kümmern fällt uns ja angeblich so leicht, heißt es, wir machen das alles intuitiv. Wenn ich sowas höre, muss ich mittlerweile lachen – oder weinen. Nein, das machen wir alle nicht intuitiv, das machen wir, weil wir uns durch unsere Sozialisierung verantwortlich fühlen und weil wir sehr viel Übung im Kümmern haben. Diskriminierung von Betreuungsarbeit ist der Punkt, der die Erfahrungen von Frauen ganz oben und ganz unten verbindet, schreibt Anne-Marie Slaughter in ihrem Buch Was noch zu tun ist (Affiliate Link).
Das ist der Grund, wieso wir Care-Arbeit aus dem Schatten holen müssen. Denn was wäre, wenn wir Frauen das Kümmern einfach mal sein lassen würden, weil auch wir uns auf unseren persönlichen Ehrgeiz konzentrieren? Wir Menschen haben zwei verschiedene Antriebskräfte: unseren persönlichen Ehrgeiz, also den Impuls, in einer Welt der Konkurrenz egoistische Interessen zu verfolgen. Und wir werden geleitet von der Fürsorge für andere. Das ist der altruistische Impuls, andere voranzustellen, schreibt Slaughter. Es geht bei einem Menschen um die Balance dieser beiden Kräfte. Wir möchten an uns denken, aber wir wollen auch für andere da sein. Wenn wir dieses Wechselspiel erkennen, finden wir neue Lösungen, findet die Buchautorin.
Die ungelöste Frage der Fürsorge kann zu einem neuen politischen Banner werden, unter dem sich alle Frauen vereinen. (Slaughter, S. 119)
Veränderungen im Arbeitsleben
Darum ist auch die Forderung so wichtig, Väter mehr in Familienverantwortung zu bringen. Wir brauchen Männer, die zuhause auf die Kinder aufpassen, die sich Elternzeit nehmen und im Haushalt nicht nur helfen, sondern eigenverantwortlich handeln. Es ist kein Gefallen, auf das Baby aufzupassen, sondern es ist eine Vaterpflicht. Die Care-Arbeit in unserer Gesellschaft wertzuschätzen bedeutet auch für die Arbeitgeber, den Männern Elternzeit möglich zu machen und sie darin sogar zu unterstützen. Wer Verantwortung übernimmt, zeigt Engagement. Wer sich kümmert, kann sich gut in andere hinein versetzen. Wer sich nicht den Herausforderungen stellt, knickt so schnell nicht ein. Es soll sogar Arbeitgeber geben, die gerade Väter, die lange in Elternzeit gehen, beruflich besonders unterstützen. Genauso müssen wir dafür kämpfen, dass Frauen beruflich die gleichen Wege offen stehen. Frauen müssen in der Gesellschaft sichtbarer werden, in Vorständen, Aufsichtsräten und in politischen Ämtern. Was dabei herauskommt, wenn Frauen Politik mit neuen Impulsen bereichern, zeigte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin. Sie erwähnte die Idee der Vier-Tage-Woche, „denn die derzeitige Vollzeitnorm benachteiligt vor allem die Karrierechancen von Frauen“.
Die fehlende Wertschätzung zeigt sich übrigens auch an der extrem schlechten Bezahlung von Berufen, in denen es ums Kümmern geht. Kindererziehung und Pflegeberufe brauchen eine angemessene Bezahlung, denn hierbei stellt sich auch die Frage, welchen Wert diese Arbeit in unserer Gesellschaft hat. Für unsere Familie ist es ein unermessliches Glück, dass wir so tolle Erzieher*innen im Kindergarten haben, dass die Grundschullehrer*innen so engagiert sind und sich Pflegekräfte im Krankenhaus zugewandt kümmern, wenn es uns nicht gut geht. Bessere Bezahlung für Pflegekräfte und Erzieher*innen würde auch dazu führen, dass die Berufe für mehr Männer attraktiv werden, die sich immer noch in vielen Fällen verpflichtet fühlen, von ihrem Einkommen eine Familie zu ernähren. (Was übrigens auch an unserer Sozialisierung liegt)
Equal Care Day: ein Tag schafft Veränderung!
Auch aus diesem Grund unterstütze ich mit diesem Text den Equal Care Day, der im Februar 2020 in Bonn stattfindet. Der Verein klische*esc e.V. organisiert diesen Tag, bei dem mit vielen Veranstaltungen und Projekten auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam machen. Wir fordern zusammen eine faire Bezahlung der professionellen Pflegearbeit und eine gerechtere Verteilung der privaten Care-Arbeit sowie den Abbau struktureller Diskriminierung.
Ich werde am 29. Februar dabei sein und einen Tag vorher beim Barcamp eine Session zu Mental Load machen. Ich freue mich sehr, wenn du dabei bist, werde aber auf jeden Fall auf meinem Instagram-Kanal dazu berichten. Patricia Cammarata von dasnuf sowie Heiner von Vaterwelten sind auch dabei und bieten am Samstag spannende Workshops an.
Mehr Infos zum Equal Care Day findest du hier.
Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura