Gespräche mit Sigurdsson: Island ist Feminismus-Weltmeister

In meinem Kühlschrank steht ein Joghurtbecher mit Skyr, einer isländische Spezialität. Auf dem Becher ist ein bärtiger Mann abgebildet, mit dem ich mich abends ab und zu austausche. Wir sprechen über Kinder, Feminismus und das Land meiner Träume: Island.

„Hey Sigurdsson“, sage ich, als ich den Kühlschrank aufmache. Ich habe gerade den Tisch abgeräumt und die Butter zurück in den Kühlschrank gestellt, als ich den schönen Isländer auf dem Joghurt-Becher erblicke. „Hei Laura, prima Wetter heute!.“ „Mir ist nicht nach Smalltalk, lieber Sigurdsson, mir ist eher nach einer guten Konversation zumute. Daher habe ich eine Frage an dich: wie macht ihr Isländer es, dass bei euch alles so gut läuft mit der Gleichberechtigung? Wieso gibt es bei euch keine Machos, die sich zu schade sind für die Hausarbeit und die Kinderbetreuung?“

„Ach Laura, Machos gibt es bei uns auch. Wir Isländer finden uns ziemlich toll, aber wir finden Frauen eben genauso großartig. Der Unterschied bei uns ist, dass wir gerne Macht haben, sie aber mit den Frauen teilen möchten. Wir sind alle Feministen, denn bei uns ist das kein Schimpfwort wie bei euch Deutschen.“ Mir bleibt der Mund offen stehen. Ich kenne in meinem ganzen Bekanntenkreis keinen Mann, der sich als Feminist bezeichnen würde. Alleine schon, dass ich mich Feministin nenne, reicht, dass bei jeder Party-Konversation die Männer um mich herum genervt mit den Augen rollen. „War das schon immer so?“, will ich von Sigurdsson wissen. „Nimm dir ein Bier aus dem Kühlfach und setz dich zu mir, sagt Sigurdsson. Ich erzähl dir, wie das bei uns war. Island war mal so rückschrittlich drauf wie ihr in Deutschland.“ Gute Idee, finde ich, ich schnappe mir ein eiskaltes Bier und setze mich vor den geöffneten Kühlschrank.

„Wir leben in Island ƒin einer egalitären Gesellschaft, das bedeutet, dass wir nicht zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Also sie sind sicher unterschiedlich, so wie alle Menschen unterschiedlich sind, aber wir finden, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Daher kämpfen wir für gleichen Lohn, fairen Zugang zur Arbeitswelt, Elternzeit für Väter und schätzen die Care-Arbeit genauso wie die Erwerbstätigkeit. Wir sind das feministischste Land der Welt und das tut unserer Männlichkeit keinen Abbruch.“ Ich erblasse vor Neid und möchte am liebsten gleich morgen mit meiner Familie umziehen, wenn nur nicht die Sprache so schwer wäre…

„Ich muss aber zugeben, dass das nicht immer schon so war“, erzählt Sigurdsson weiter. „Vor elf Jahren hatten wir eine richtige Wikinger-Macho-Kultur. Aber dann kam 2008 die globale Rezession und unser Land traf es besonders hart. Unserer politischen Führung dämmerte, dass wir etwas ändern müssen, damit das Land wieder auf die Beine kommt. Dabei gingen die Politiker und Politikerinnen ziemlich drastisch vor und brachten die Verantwortlichen der Bankenkrise hinter Schloss und Riegel. Ersetzt wurden sie durch Frauen. Das Gleiche passierte mit der Regierung und dem Premierminister. Auch sie mussten weichen und so wurde die erste weibliche Premierministerin des Landes gewählt, Jóhanna Sigurdóttir. Sie brachte neuen Schwung in den Laden, führte eine Frauenquote in den Unternehmensvorständen ein und eröffnete im Finanzministerium eine neue Abteilung, die sich um Geschlechtergerechtigkeit kümmerte. Sie verbot Stripclubs, dämmte den illegalen Menschenhandel ein und legalisierte die Homoehe. Ich glaube, dass sie deshalb so erfolgreich war, weil sie die Männer in ihre feministisch geprägten Entscheidungen miteinbezog. Frauen sind ja nicht die besseren Menschen, aber sie haben einen differenzierteren Blick auf das, was in Sachen Diskriminierung schief läuft. Sigurdóttir ist homosexuell und hat als Flugbegleiterin gearbeitet. Sie weiß deshalb auch, was Gefühlsarbeit ist, und kennt den Wert des Kümmerns. Also machte sie den Männern klar, dass die Ungleichberechtigung jede Familie trifft. Jeder Mann hat eine Mutter, Kolleginnen, Bekannte, mancher eine Schwester, Freundin, Frau oder Tochter. Wie können wir Männer zufrieden sein, wenn unsere nächsten Angehörigen Diskriminierung erleben?“

Ich nehme einen großen Schluck aus meiner Bierflasche. Es kommt mir vor, als erzählte Sigurdsson aus dem Paradies. Vor allem, dass er sich selbst so feministisch gibt, beeindruckt mich. Ich habe immer das Gefühl, die Männer in meiner Umgebung erst einmal überzeugen zu müssen, dass bei uns überhaupt etwas schief läuft. „Wir Männer haben uns auch verändert, das ist wohl unser Geheimnis“, erklärt mein isländischer Freund. „Wir haben keine Angst vor den Frauen, weil sie die Hälfte unserer Gesellschaft sind und sie uns brauchen wie wir sie. Diese Solidarität untereinander unterscheidet uns von den USA und auch von euch Deutschen, meine Liebe!“

Ich proste ihm zu und kann all diese Informationen nur langsam begreifen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, denke ich. Was für eine große Krise muss wohl in Deutschland geschehen, dass wir Frauen auf die Straße gehen, so wie einst die Isländerinnen?

„Sigurdsson, ich muss langsam ins Bett. Vielen Dank, es war sehr spannend, dir zuzuhören“, sage ich, und stelle meine leere Bierflasche neben die Spüle. Die ist leer und blitzt, denn Anton hat vorhin hier sauber gemacht und dann die Kinder ins Bett gebracht. Ich glaube ja ehrlich gesagt, dass er isländische Wurzeln hat. „Ja, Laura, meld dich, wenn du mal wieder Lust hast zu quatschen“, zwinkert er mir zu. „Danke, ich komm drauf zurück“, antworte ich ihm, und winke ihm ein letztes Mal, bevor ich den Kühlschrank schließe. Hyvää yötä, Sigurdsson. Gute Nacht, Männer.

 

Ps.: All diese spannenden Infos habe ich aus dem sehr empfehlenswerten Text „Familienarbeit: Über vermeintlich inkompetente Väter und Mütter, die auch mal loslassen sollten“, der auf Edition F erschien.

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