Die Last auf unseren Schultern: Mütter und ihre Sorgen

Manchmal liege ich abends im Bett. Kurz vor dem Einschlafen läuft ein Film vor meinem inneren Auge ab: ich bringe Jimmy und Luise in den Kindergarten, Luise steigt aus dem Auto, rennt über die Straße, aus den Augenwinkeln sehe ich einen Lastwagen kommen – rumms! Dann sitze ich vor Schreck senkrecht, mein Herz klopft, ich kann mich kaum beruhigen. Seit Jimmys Geburt laufen vor meinem inneren Auge immer mal wieder ganz schreckliche Filme ab, von Babys, die aus dem Fenster fallen, Kindern, die vor die S-Bahn plumpsen und andere Horror-Alpträume. Und dann wird mir wieder klar, was ich mir mit Beginn der ersten Schwangerschaft aufgehalst habe: Sorgen so groß wie der Mont Blanc und so schwer wie ein 100 Kilo-Sack Zement auf meinen Schultern. Diese trage ich mit mir herum und werde sie wohl mein Leben lang nicht mehr los. Sie drehen sich um die Kinder, um deren Gesundheit, Zukunft, Zufriedenheit und Wohlbefinden.

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Die Schwangerschaft ist nur der Anfang

Eine Bekannte erzählte mir neulich von ihrer Schwester, die das erste Kind bekommen hatte. „Werden die Sorgen nun weniger, wenn das Kind geboren ist?“ fragte die Neumutter hoffnungsvoll. Meine Bekannte musste ihr möglichst schonend die Wahrheit sagen: „Weißt du was? Die Gedanken um ein Baby im Bauch, ob es wohl gesund sein wird, ob es behindert oder krank sein könnte, und all die Schauergeschichten rund um die Pränataldiagnostik, das ist nur der Anfang.“

Das Schlimme ist manchmal, dass die Sorgen mit dem Alter und den Erfahrungen zunehmen, auch was die Schwangerschaft betrifft. Ich bin Anfang Dreissig, haben nun im Bekanntenkreis mehr als zwei Dutzend Mütter. Einige davon haben rund um die Geburt schlimme Geschichten erlebt oder kennen mindestens eine Geschichte aus deren Bekanntenkreis, die nicht so gut ausging. Auch Ärzte erläutern ja gerne mal, was alles passieren kann, von der missglückten Hausgeburt bis hin zu Toxoplasmose-Infektionen mit ihren fatalen Folgen.

Leider sind die Sorgen mit Geburt eines gesunden Kindes nicht hinfällig geworden. Wir Mütter fürchten uns schon, wenn das Baby nicht wie die anderen mit neun Monaten sitzen kann, und bibbern, ob der Säugling an einem frühkindlichen Autismus leidet, wenn er nicht wie im Buch beschrieben nach ein paar Lebenswochen lächelt wie ein Sonnenschein. Die ersten Lebensmonate der Kinder stand ich stündlich an Bettchen, Kinder- oder Stubenwagen und prüfte deren vorhandenen Atem. Als Luise und Jimmy nach acht Monaten länger als fünf Stunden schliefen, brachte mir das überhaupt nichts, denn nun wachte ich alle zwei Stunden auf und schaute, ob sie noch unter den Lebenden weilten. Aber das sind Kinkerlitzchen.

Oft saß ich die letzen Jahre mit rasendem Puls nachts am Bett eines fiebernden Kleinkinds, das Thermometer parat und minütlich messend, ob die Temperatur weiter steigt. „Sollen wir in die Notfallambulanz fahren?“, habe ich Anton um halb zwei gefragt, und seine rollenden Augen ignoriert.

Die anfangs beschriebenen Gruselgeschichten, die mich beim Einschlafen ins Gehirn schleichen, nähren sich aus Film, Fernsehen und sonstigen Medien, in denen traurige Kinderschicksale eine Rolle spielen. Welche Mutter kann denn überhaupt noch einen sonntäglichen Tatort sehen, in dem ein Kind entführt oder wie letzten Sonntag erschlagen wird? Ich selbst schaffe es nicht mal mehr, eine Reportage über Pinguine anzuschauen. Denn immer wird dabei gezeigt, wie die Pinguin-Papas ihr Ei verlieren, das sie auszubrüten gedenken, oder wie sich die Babypinguine verlaufen und dann erfrieren. Mein Mutterherz zieht sich dann schmerzend zusammen und ich muss unweigerlich umschalten.

Wenn ich jetzt daran denke, dass Jimmy, Luise und Oskar irgendwann mal den Führerschein machen wollen, wird mir Angst und Bange. Aber erst einmal muss ich mich daran gewöhnen, dass Jimmy im nächsten Jahr in die Schule gehen wird, und das zu Fuß und ohne mich!

Geh nicht mit Fremden mit!

Neulich ließ ich Jimmy im Supermarkt drei Minuten alleine, um mit Luise aufs Klo zu gehen. Ich wusste, ich kann mich auf ihn verlassen, und dass er brav mit unserem Einkaufswagen warten würde. Abends erzählte ich Anton davon. Der schaute mich entgeistert an und fragte, ob ich nicht Angst gehabt hätte, dass Jimmy von einem Fremden aufgegabelt würde. Ehrlich gesagt hatte ich daran nicht gedacht, aber in dieser Nacht grübelte ich lange und mir war stundenlang übel, als ich über die Gefahr nachdachte, an die mich Anton erinnert hatte.

Wie gehen wir Eltern und besonders wir Mütter mit diesen Sorgen um? Das frage ich mich häufig, denn ein Leben voller Sorgen um Dinge, die vielleicht und hoffentlich niemals eintreffen werden, ist meiner Meinung nach nicht lebenswert. Und schlimmer noch finde ich die Gefahr, die Sorgen an die Kinder weiterzugeben!

Ich habe ein passendes Sprichwort in dem schönen und empfehlenswerten Buch von Michael Hauch, „Kindheit ist keine Krankheit“, gefunden. Er zitiert hier den Polen Janusz Korczak, ebenfalls Kinderarzt und Erzieher:

Aus Furcht, der Tod könnte uns das Kind entreißen, entziehen wir es dem Leben; um seinen Tod zu verhindern, lassen wir es nicht richtig leben. (S. 67)

Wie können wir mit der Sorge leben?

Nun, was können wir tun, um uns nicht von diesen Sorgen auffressen zu lassen? Mein Ansatz ist dieser: ich möchte das Leben und meine Kinder im Moment genießen. Achtsamkeit ist das Stichwort. Der ewige Gedanke an morgen, an die Zukunft – was bringt er schon? Wir leben im Hier und Jetzt und genießen das Glück, das wir haben. Also übe ich mich in Meditation, die ja nachweislich den Gang unserer Gedanken positiv beeinflussen soll.

Ganz wichtig ist es mir, diese Sorgen keinesfalls auf die Kinder zu übertragen. Jimmy und Luise sollen nicht mit der Angst aufwachsen, ihnen oder ihren Eltern könnte jeden Moment ein Unglück geschehen. Vorsicht ist gut und wichtig, besonders an Straße und U-Bahn-Haltestelle, aber es darf im Umgang mit diesen Alltagsdingen keine Todesgefahr allgegenwärtig sein. Vor allem Jimmy, der beim Thema Gefahr sehr sensibel ist und sich zur Zeit damit beschäftigt, was alles bei Gewitter passieren kann, soll nicht mit dem Gefühl leben, dass die Welt jeden Augenblick über ihm zusammenbrechen könnte.

Seine Sorgen irgendwo abladen, das kann unheimlich helfen. Ich habe in Gesprächen mit andern Müttern gelernt, dass es nicht nur mir so geht. Nach einem Frühstück mit meiner Freundin Ruth waren wir uns sehr nah, weil wir uns vor den gleichen Dingen fürchten: dass unseren Kindern etwas passieren könnte. Es tat gut, mit jemandem zu reden und danach fühlte ich mich ein wenig sorgenfreier. Manchmal, wenn mich die Gedanken quälen, gehe ich in die Kirche und zünde eine Kerze an. Eltern, die nicht gläubig sind, haben vielleicht auch einen schönen, ruhigen Ort, der ihnen Trost verspricht. Ein Teelicht anzünden, die Ängste in den Wind sprechen und sich von Natur und Stille ein wenig trösten lassen – das tut gut!

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Letztendlich mache ich mir immer wieder klar, dass diese Sorgen um die Kinder von der Natur so gewollt sind, um unseren Nachwuchs zu beschützen. Dass etwas passieren könnte, ist nicht unmöglich. Die meisten Kinder werden ja zum Glück auch ohne größere Unfälle groß. Es ist wie beim Fliegen: ins Flugzeug zu steigen ist nicht ganz risikolos, dass die Maschine aber abstürzt, ist sehr unwahrscheinlich.

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Also, liebe Mütter! Mit den Sorgen um unsere Kinder müssen wir wohl leben, aber wir sollten unser Leben nicht von ihnen beherrschen lassen. Das Leben ist eben nicht ganz risikofrei, aber es ist schön. Das müssen wir unseren Kindern unbedingt vorleben! Immer schön gelassen bleiben, eure Laura

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