Ein Morgen des Grauens: Drama in drei Akten

Es gibt so Tage im Leben einer Familie, die beginnen ziemlich unschön. Bei uns lief heute Morgen ein Drama in drei Akten ab, das absolut filmreif war. In den Hauptrollen sahen die Zuschauer einen Vater unter Zeitdruck, eine Mutter am Rande eines Nervenzusammenbruchs und ein wütendes Kleinkind. Gespielt haben die drei fantastisch, ihre Emotionen waren auf der Bühne wie auch in der Nachbarschaft spürbar. Das Publikum, eine Schwester des Kleinkinds und alle Nachbarn in der näheren Umgebung waren gebannt und nach der Aufführung mehr als beeindruckt von der schauspielerischen Leistung der drei Protagonisten.

Auf jeden Fall erwachte im ersten Akt ein etwa zweijähriger Bub mit knatschigem Temperament, der schon mal das Haus zusammenbrüllte. Auf die Bühne kamen außerdem Papa Anton mit zermatschter Visage, auch bei Mutter Laura hatte die Visagistin ganze Arbeit geleistet: die Augenringe hingen tief, die Frisur saß schief. Gemeinsam mit einer zauberfrischen Luise setzten sich drei miesepetrige Menschen an einen Tisch. Beim Frühstück wollte der kleine Oskar dann erst eine Milch, dann einen Löffel, dann lieber Wasser und Brot ohne Rinde. Die Milch fiel um, die Mutter schrie nach einem Lappen. Papa Anton verwies darauf, dass er jetzt ins Bad ginge, er habe einen frühen Termin. Geheule von Oskar, der nicht ohne Papa sein will, jetzt nicht und später nicht und überhaupt niemals.

Anton schaut mit gestresster Mine, „ich kann mich mit Oskar nicht schnell fertig machen“, fleht er. Aus dem Zuschauerraum klingt mitfühlendes „oh je“ und „ach, der Arme“. Da hat Mutter Laura ihren großen Auftritt: „Aber Oskar lässt sich von mir nicht wickeln“ zetert sie los und wischt dabei Milch vom Boden. „Immer ich und alles bleibt an mir hängen, du gehst und ich bin hier alleine mit den Kindern“ ruft sie ausdrucksstark und Nachbar Peter schaut neugierig zu den Fenstern hinein. Die Nachbarin macht wieder Theater, scheint er zu denken, und bleibt unauffällig hinter der Hecke stehen.

Auf der Bühne wendet sich nun das Blatt, Anton nimmt wutschnaubend das Kleinkind mit, das bis über beide Ohren mit Marmelade verschmiert ist. Von oben hört man aus dem Badezimmer Gebrüll und Gefluche. Währenddessen räumt die Protagonstin die Küche auf und wirkt gestresst, sie zieht sich den zweiten Kaffee hinein und scheint mit den Gedanken weit weg zu sein.

Der Vorhang schließt und öffnet sich kurz darauf zum zweiten Akt. Ein geduschter Anton und ein sauberer Oskar stehen bereit zum Abmarsch, Anton drängelt. Oskar packt ein Auto und einen Wecker in seine Tasche und sucht sein überdimensionales Müllauto. „Ich muss nun aber los, kannst du Oskar nicht bringen?“ ruft der Held in seiner Not, erbost von dieser Zumutung blitzen die Augen der Gegenspielerin, die nun in einer scheinbar spontanen Geste den Zeigefinger an die Stirn legt. Das Kleinkind flippt jetzt völlig aus, weil die Mutter darauf verweist, dass es heute auch mal ohne sämtliches Spielzeug los gehen möge, „schnapp ihn dir und bring ihn rüber“ ruft sie verzweifelt und zeigt ihr ganzes schauspielerisches Können, läuft rot an und rauft sich die wirren Haare. „Ist doch sch… sowas“ fasst der Vater die infame Forderung zusammen, denn er ist der Mann der Worte und der Zeit, kniet sich sonst nieder und bringt jedes Kind dazu, durch freundliches Zureden und kreative Ideen selbst rohen Brokkoli zu essen oder um halb sieben ins Bett zu gehen. Anton aber hat heute wirklich einen dringlichen Termin und geht nun aus dem Haus. Das Kind scheint alsbald zu platzen vor Entsetzen und erleidet einen Nervenzusammenbruch, weil der geliebte Herr Vater geht. Frau Mutter wirft mit dem Geschirrtuch nach dem Gatten und ruft Dinge, die sich hier aus Gründen der Pietät nicht niederschreiben lassen. Nachbar Peter schaut gebannt hinter der Hecke hervor, nachher im Büro hat er Einiges zu erzählen.

Im dritten Akt sieht man eine Mutter, die fix und alle und im Schlafanzug ein Kind wortlos bei der Tagesmutter abgibt und sich umdreht. Auf dem Weg nach Hause murmelt sie wirre Worte und heult herum. Leiser Applaus aus dem Publikum, sowas kann doch keiner spielen. „Oskar-reif“ ruft einer passenderweise, ein anderer wirft gelbe Nelken auf die Bühne. Zuhause haut sich die Heldin noch den nackten Zeh an der Haustür an und bricht auf dem Boden zusammen, nicht ohne „Bummsblöderbockmistmachteurenkramdochalleineichhabkeinelustmehrichgehejetztfürimmer“ herauszubrüllen. Dann fällt der Vorhang. Das Publikum ist außer sich und ruft laut „Zugabe“. Für morgen früh gibts noch Karten, Interesse?

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