Familien-Backup Mama: warum sich alle auf die Eine verlassen

Mama, wo sind meine Pokémon-Karten? * Sag mal, Laura, hast du eine Ahnung, wo ich meinen Geldbeutel hingelegt habe? * Was wünschen sich die Kinder eigentlich zu Ostern? * Mama, wo ist mein Eselchen? * Wie hieß nochmal dieses Restaurant, in dem wir neulich essen waren? Wann Schulferien sind? Das weiß Laura am besten! Ich würde den Kindern gerne neue Sandalen kaufen, aber Anton weiß die Schuhgröße nicht. Kannst du sie mir bitte durchgeben? Mama, wann muss ich das Referat für das Leseprojekt fertig haben? Laura, du kannst dir das immer so gut merken: wie war nochmal gleich der Code für das Fahrradschloss? Und hast du eigentlich meine Wollmütze gesehen?

Mama ist das Familien-Backup, auf das sich alle verlassen. Mama weiß Bescheid, denn sie ist ein wandelnder Kalender, eine Wünschelrute mit siebtem Sinn für Kuscheltiere, weiß alles in Sachen Büro-, Schul- oder Kindergartentermine und kennt die Kleidergrößen aller Familienmitglieder. Sie weiß, wo die Unterlagen liegen, kennt das Geheimversteck für saisonale Outdoor-Klamotten, findet auf Anhieb Papas Schlüssel, Geldbeutel oder Impfausweis. Das Tolle ist: man kann sie jederzeit fragen, anrufen oder per Mail erreichen, WhatsApp geht auch. Mama selbst kommt ja zu nichts. Sie würde zwar gerne mal ihr System rebooten und ein Update machen, aber dann findet hier keiner mehr was. Brauchst du die Nummer? Sie hat übrigens auch phänomenale Ideen für Geschenke jeglicher Art, weiß, wie man eine Liebesbeziehung pflegt und wo man Fußballkarten kaufen kann. Mama ist wie Siri oder Alexa, aber es klappt auch, wenn du einfach nur sagst: „Hey, Mama, wie ist das Wetter heute?“

Mental Load: Wenn Mama die ganze Verantwortung trägt

Schade nur, dass Mama immer den Kopf voll Familienkram hat und selbst zu nichts kommt. Und das ist ganz schön problemtisch. Denn wer alleine verantwortlich ist für die Organisation und den Alltag, der kann niemals abschalten. Da ist immer das Gefühl, dass ohne das eigene Einwirken die Familie aufgeschmissen ist. Natürlich ist die Angst meist größer als die Konsequenzen in der Realität, aber viele Mütter kennen diese gefühlte Verantwortung. Selbst wenn sie mal abends in der Badewanne liegen, hören sie mit halbem Ohr nach draußen. Sind sie einen Tag weg, denken sie an die Lieben zuhause. Klappt wohl alles? Weiß mein Partner, wo die warmen Strumpfhosen sind? Denken alle daran, die Kartoffeln zu essen, die sonst schlecht werden? Besser, ich rufe mal an!
Und so führt es dazu, dass Pausen von zuhause unmöglich werden. Aber die brauch jeder einmal. Jeder Mensch möchte sich erholen von der täglichen Arbeit, von der Verantwortung und den To-Do-Listen. Jeder Mensch möchte seinen Träumen nachhängen, etwas für sich tun und einfach mal den Kopf frei kriegen. Viele Mütter kennen dieses Gefühl nicht mehr und das hat Auswirkungen auf ihre Psyche. Es hält davon ab, wieder in den Job zu starten oder eine Fortbildung zu machen. Und Mütter, die tagsüber Kinderbetreuung und Haushalt machen, also das, was man als Care-Arbeit bezeichnet UND AUCH ARBEIT IST, haben ein Recht darauf, abschalten zu können. Wenn aber keiner weiß, wo die Zahnpasta liegt, welche Tabletten das Kind braucht oder um wie viel Uhr das Turnen losgeht, bleibt es ihnen verwehrt.

Vom Geben und Nehmen

Frauen kümmern sich um andere, oft über ihre eigenen Grenzen hinaus. Selber Schuld, Katapult, heißt es dann manchmal, oder typisch „Maternal Gatekeeping“ eben. Aber es ist wahnsinnig unfair, wenn die Gesellschaft Mütter erst für Gesundheit, Wohlbefinden und Psyche ihrer Kinder verantwortlich macht und ihr dann vorhält, sie könne nicht abschalten. Eine systemische Erklärung für das Nicht-Abschalten können fand ich hier:
Die Zwillinge Emily und Amelia Nagasoki, Psychologin und Dirigentin von Beruf, beschreiben in ihrem Buch „Stress“ (Affiliate Link) das „Gebersyndrom“. Es ist Teil eines philosophischen Systems von Kate Manne, in dem Menschen in „humen giver“ und „human beings“ eingeteilt werden. Von den „human givers“ wird erwartet, dass sie ihre Zeit, Aufmerksamkeit, Zuneigung und sogar ihren Körper hergeben, um die dominierenden „human beings“ zufrieden zu machen. Von ihnen wird gleichzeitig erwartet, „jederzeit hübsch, glücklich, ausgeglichen, großzügig und aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen anderer zu sein.“ Also heißt das auch, dass von ihnen eine Menge Gefühlsarbeit verlangt wird. Vielleicht kommt dir dieses System bekannt vor, denn im Prinzip steckt dahinter unser patriarchischer Kapitalismus, in dem Männer die bezahlte und angesehene Arbeit machen, Frauen die unbezahlte und kaum wertgeschätzte Care-Arbeit.
In der aktuellen Oxfam-Studie zeigt sich, dass Frauen weltweit die Care- und Sorgearbeit übernehmen und damit oft auch den Mental Load tragen. Würden man ihnen dafür den Mindestlohn zahlen, kämen wir auf 11 Billionen Dollar im Jahr. So funktioniert unser kapitalistisches System, denn Geld verdienen kann der eine nur, wenn sich der andere kümmert.

Revolution zuhause, dann raus auf die Straße!

Wie kommen wir da raus? Wir brauchen natürlich strukturelle Verbesserungen. Deutschland hat einen der größten GenderPayGaps (Lohnungleichheiten zwischen den Geschlechtern) und GenderCareGaps (Care-Arbeit ist nicht gerecht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt) Europas. Wir müssen nur rüber nach Skandinavien schauen. Dort wird erheblich mehr in ein funktionierendes Sozialsystem investiert. Gerechtere Aufteilung von Elternzeit, mehr Unterstütung für Alleinerziehende, flächendeckender Kita-Ausbau und andere Strukturen, um Familien besser zu unterstützen. Auch das müssen wir dringend fordern. Aber welche Mutter kann schon auf die Straße gehen, wenn sie den Kopf mit ihrem Mental Load voll hat? Starten wir die Revolution zuhause und tragen wir sie von dort hinaus in unser Land.
Fangen wir mit Kleinigkeiten an. Liebe Familie, die Mama ist nicht das Backup für alle. Hier im Flur ist Platz für eure Schlüssel. Verlasst euch nicht auf sie, sondern kümmert euch selbst um eure Angelegenheiten. Fragt euer Handy oder schaut selber nach, wenn ihr wissen wollt, wie das Wetter wird. Auch Papas können sich Schuhgrößen merken oder einfach mal nachmessen. Liebe Omas, Opas, Erzieher*innen und Lehrer*innen, Papa ist ein rechtmäßiger Ansprechpartner für alle möglichen familiären Belange. Er kann das und er schafft das auch. In fathers we trust!
Und du, liebe mental belastete Mutter, sag es mit den Worten von Oskars Hörspielbox: „Ohoh, ich habe keine Verbindung zum Internet. Außerdem ist mein Akku alle. Steck mich auf die Ladestation und lass mich für 24 Stunden in Ruhe. Danke!“
Deine Laura

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