Die Wahrheit über das Mutterwerden (Buchrezension )

Lebenswerk von Rachel Cusk

Wenn Mütter über ihr Leben mit Kindern erzählen, muss es ein Happy End geben. Denn wo kommen wir da hin, wenn Frauen anfangen, ein paar bittere Wahrheiten zu Papier zu bringen? Immerhin lebt unsere Gesellschaft davon, dass Frauen Kinder bekommen und dann oft ohne Wenn und Aber zuhause sind, Babybrei kochen, Krabbelgruppen besuchen und sich intuitiv und liebevoll ihrer Passion hingeben: sich anderen Menschen zu widmen und selbst im Hintergrund ihres Lebens Platz zu nehmen.

Frauen, die Mutterschaft nicht immer nur in rosigen Bildern malen, ernten Kritik, das ist nicht erst seit Orna Donaths Studie mit dem Titel „Regretting Motherhood“ so. Aber auch Rachel Cusks Roman „Lebenswerk. Über das Mutterwerden“ wurde unterschiedlich aufgefasst und vor allem Frauen reagierten wütend auf die sehr ehrliche Schilderung des Mutterwerdens. Es darf nicht geschrieben werden, was nicht sein darf, denn würden wir zugeben, dass es nicht nur traumhaft ist, was während der Schwangerschaft und nach der Geburt mit der Mutter in psychologischer und körperlicher Hinsicht passiert, wäre das wie eine Seifenblase, die zum Platzen gebracht wird.

Mich hat dieses Buch getröstet, denn es tut gut, mit diesen ambivalenten Gefühlen nicht alleine zu sein. Wer sich in anderen wiederfindet, weiß, dass er kein Alien ist. „Mutterschaft ist eine paradoxe Erfahrung, zugleich prosaisch und rätselhaft, monoton und bizarr, komisch und katastrophisch. Mutterschaft bedeutet, die Hauptrolle in einem dramatischen Schauspiel menschlicher Existenz zu spielen, zu dem allerdings kaum Zuschauer erscheinen. Es ist ein Prozess, in dem sich ein gewöhnliches Leben in ein Chaos aus mächtigen Leidenschaften verwandelt“, heißt es in der Romanbeschreibung des Verlags.

Freiheit, Schlaf und Zeit ist etwas, das wir nach der Geburt eines Kindes vermissen. Das gehört unweigerlich dazu und ist keine große Überraschung. Was es aber dann tatsächlich heißt, mit brennenden Augen Alles geben zu müssen, um das kleine Wesen zu beruhigen, das muss man erlebt haben. Der Schlafmangel tut irgendwann weh und die Fremdbestimmung im Alltag kann mitunder schockierend sein.

Rachel Cusk schreibt in wunderschöner Sprache über das, was wir alle kennen, und indem wir lesen, dass wir ähnlich empfinden, ein mütterliches Gemisch aus Glück, Wut, Trauer, Liebe und manchmal auch Verzweifelung, scheint alles nicht mehr so schlimm. Erleichtert fühle ich mich, weil sie folgendes Dilemma so passend in Worte fasst. Sobald wir Kinder haben, begleiten sie uns. Wenn nicht physisch, so doch mental. Meine Kinder sind hier bei mir, selbst wenn ich mich einmal frei und losgelöst von der Familie bin. Die Sorge um sie, die Frage danach, wie es ihnen geht, das alles wird bleiben – für immer.

Die Entbindung scheidet auch die Frauen von sich selbst, indem sie ihr Lebensverständnis umstülpt. In der Mutter hat ein anderer Mensch gelebt, und nach dessen Geburt lebt er im Einflussbereich ihres Gewissens weiter. In seiner Gegenwart kann sie nicht sie selbst sein, ebenso wenig in seiner Abwesenheit, und die eigenen Kinder zu verlassen ist genauso schwierig, wie bei ihnen zu bleiben. Diese Erkenntnis erzeugt das Gefühl, sich heillos in einen Konflikt verstrickt zu haben oder in eine mythische Falle geraten zu sein, in der man sich für immer und vergeblich plagt.“ (Cusk, S. 15)

Ich habe mich manchmal mit dem Alltag schwer getan. Mit den Kindern um fünf Uhr Klötze stapeln, endlose und absolut unlustige Witze anhören müssen, immer wieder kniend auf dem Badezimmerboden Pippi aufwischen, weil eines von ihnen gerade übt, trocken zu werden – ich stand manchmal neben mir und schaute staunend zu mir selbst herab. So wertvoll die Zeit mit den Kindern ist, so schön es ist, sie aufwachsen zu sehen und innige Momente mit ihnen zu teilen, so heillos nervenzerreibend kann es sein. Und so wenig Wert messen wir dieser Art von Arbeit bei.

„Kinderbetreuung ist eine Beschäftigung mit niedrigem Sozialstatus. Sie ist eine vereinsamende, oftmals langweilige, pausenlos fordernde und anstrengende Arbeit. Sie zersetzt das Selbstwertgefühl und die Teilhabe am Erwachsenenleben. Je weiter entfernt vom Rest der Welt sie stattfindet, desto härter ist sie.“ (Cusk, S. 16)

Wenn Cusk über den „hausfrauliche Schlamm aller Dinge“ ( S. 71) schreibt oder Mutterschaft als großen Bruch im Leben einer Frau bezeichnet, dann liege ich gerührt im Bett und fühle mich getröstet. All die unsagbaren Gefühle, die angesichts des Muttermythos so schwer auszusprechen sind, Cusk schreibt sie auf und erteilt damit auch mir die Erlaubnis, einmal ein paar Wahrheiten ins Auge zu sehen.

Manchmal, wenn mein Tag gefüllt war mit Streiterein der Kinder, mit elender Warterei in Arztpraxen und Bergen von Wäsche, dann war da dieses „Gefühl, in einer Kiste zu sitzen und keine Luft zu bekommen (Cusk, S. 208).“ Abends dann im Bett Texte zu lesen von Frauen wie Rachel Cusk, die ebenso empfinden, die Mutterschaft kritisch betrachten, weil es uns die Gesellschaft, weniger die Kinder, schwer macht, dann wird es gleichzeitig wieder leichter. Dann fühle ich mich mit Rachel verbündet wie mit Sheila Heti, Ariel Levy oder Antonia Baum.

Ich kann dir das Buch Lebenswerk (Affiliate Link) von Rachel Cusk sehr empfehlen. Die Wahrheit ist manchmal schmerzhafter, als es uns all der Mutter-Kitsch glauben machen will. Muttersein hat viele Seiten und die meisten sind schön. Wir sollten die weniger schönen nicht auslassen, denn sie gehören dazu.

Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...