Warum Frauen heute unter Druck stehen
Freudinnen-Besuch
Mädels, ich mache mir Sorgen. In den letzten Wochen saßen hier in meiner Küche drei von euch und haben erzählt. Es war immer das gleiche: ihr habt das Gefühl, nicht mehr zu können. Eine von euch spürt eine wahnsinnige Traurigkeit, die andere hat starke Rückenschmerzen, die dritte sieht im Alltagswahnsinn kein Land mehr. Was ist los mit uns Müttern? Wir bekommen Elterngeld, haben Kitaplätze für Kleinkinder und moderne Haushaltsmaschinen. Wieso geht es uns so schlecht? Ich wollte der Frage auf den Grund gehen und habe Antworten gefunden!
Kathi im Stress
Da ist Kathi, Mama von zwei Mädels und Psychologin in einer Personalabteilung. Ich mache ihr einen Cappuccino, lege ein paar Plätzchen auf den Tisch und wir quatschen eine Runde, während die Kinder spielen. Jeden Morgen macht Kathi ihre Kinder fertig, schmiert Brote und füllt Thermosflaschen. Die Nächte sind turbulent, weil Nicki nachts so schlecht schläft und zu Kathi ins Bett kriecht und weint. Morgens bringt sie um halb acht die Mädels in den Kindergarten und eilt im Stechschritt ins Büro. Nachmittags unternimmt sie was mit den Mädchen, macht den Haushalt, fährt die Kinder zum Turnen oder erledigt mit ihnen den Einkauf. Markus, ihr Mann, kommt spät. Er ist mittlerweile Abteilungsleiter und braucht zum Ausgleich sein Hanteltraining im Fitness-Studio. Deshalb bringt Kathi die Mädchen meist alleine ins Bett. Zum Sport kommt sie selten und weil Nelli mit ihren drei Jahren noch gerne getragen wird, hat sie unsägliche Rückenschmerzen. Sie bittet ihren Mann, weniger zu arbeiten, aber der verweist auf den Hauskredit und auf seinen strengen Chef.
Lea und ihr Baby
Eine Woche später kommt mich Lea besuchen. Sie sieht klasse aus und das ist auch kein Wunder, denn sie ist Yogalehrerin. Jetzt gibt sie keine Kurse mehr, auch wenn viele Kunden nachfragen. Jede Absage, die sie geben muss, schmerzt sie, denn ihren guten Ruf hat sie in den letzten Jahren stetig aufgebaut. Aber Lea hat ein Baby: Thilda, die vier Monate alte Tochter, macht ihren Eltern die Nacht zum Tag und brüllt, was das Zeug hält. Lea stillt und trägt und beruhigt und tut nichts anderes, als sich um Thilda zu kümmern. Es gibt Tage, da weinen alle beide: Thilda und Lea. Papa Daniel tut zwar was er kann, nimmt ihr abends das Baby ab und schickt sie raus zum Spaziergang, aber im Gegensatz zu Lea hat Daniel keine Nerven wie Drahtseile und hält das Babygeschrei nachts kaum aus. Lea merkt, dass er manchmal ganz froh ist, morgens ins Büro fahren zu können. Elternzeit wollte er nicht länger als zwei Monate nehmen, weil er dann raus ist aus allen Projekten, das hat ihm seine Vorgesetzte gleich klar gemacht. Lea kümmert sich neben dem Baby auch noch um alle Angelegenheiten rund um Steuern und Versicherungen und besorgt Geschenke für Familienangehörige. „Du kannst das einfach besser“, sagt Daniel dazu. Und weil Lea weiß, dass gar nichts passiert und die Schwiegermutter beleidigt ist, wenn sie sich nicht drum kümmert, hat sie sich damit arrangiert.
Uli muss zur Kur
Gestern Abend saß Uli hier am Tisch. Sie kam auf einen Sekt vorbei, denn sie musste raus. Ihre vier Wunschkinder, zwei davon drei-jährige Zwillinge, kleben an ihr wie Honig. Nicht einmal auf die Toilette kann sie gehen. Sie arbeitet halbtags in einer Bücherei, um ein wenig zum Haushalt dazu zu verdienen, denn eine Wohnung für sechs Personen im Kreis Stuttgart ist sehr, sehr teuer. Uli hat einen Schnupfen, aber keinen, der in der Nase steckt. Ihr Schnupfen sitzt in der Seele, das hat ihr der Hausarzt bestätigt. Deshalb muss sie unbedingt raus aus dem Alltag und am besten drei Wochen in eine Mutter-Kind-Kur, und zwar ohne Kinder. Aber wie soll sie jetzt drei Wochen wegfahren, wo es Probleme mit der ältesten Tochter gibt, die wahrscheinlich die vierte Klasse wiederholen muss? Sie ist nun krank geschrieben und würde sich gerne hinlegen, hat aber vor Weihnachten eine To-Do-Liste wie eine Großkonzern-Managerin. Ihr Mann Micha arbeitet als Ingenieur und kommt nach Hause, so früh es geht. Aber er fährt eine Stunde mit der S-Bahn ins Büro und ist mit seiner Pflicharbeitszeit zehn Stunden des Tages von zuhause weg.
Mamas am Limit
Alle drei, die hier am Tisch saßen, haben etwas gemeinsam: sie reiben sich auf. Ob mit Job oder ohne, mit einem Kind oder mit vieren, mit finanziellen Sorgen oder einem guten Polster auf dem Konto: alle tragen eine schwere Last auf den Schultern.
Warum sind wir Frauen heute alle so ausgebrannt? Haben wir es nicht viel leichter als die Mütter früher? Wir haben Erziehungsgeld und tolle Waschmaschinen, nehmen Elternzeit und haben Kitaplätze für Einjährige. Davon konnten die Damen Generationen vor uns nur träumen. Allerdings war früher klar: die Frau heiratet, steigt aus dem Job aus und wird Mutter. Sie kocht, putzt und wäscht und beschwert sich nicht, denn das ist nun einmal ihr Los. Sie waren deshalb nicht glücklicher, aber in ihrem Leben war vermutlich mehr Ruhe.
Stehen wir uns selbst im Weg?
Wir wollen alles perfekt machen und geben uns nicht nur Mühe mit den Kindern, sondern auch mit dem Haushalt und dem Job. Wir engagieren uns im Kindergarten und übernehmen Fahrdienste und die Öffentlichkeitsarbeit. Wir möchten uns nicht vor der Verantwortug drücken, überlegen auch noch, uns politisch zu engagieren und backen das Dinkelbrot selbst.
Ein toller Film aus FrauTV ging neulich genau dieser Frage nach: Haben Mütter heute mehr Druck? Die Soziologin Christina Mundlos hat mit mehr als 100 Frauen über ihre Mutterrolle gesprochen und über die Gründe, die ihnen Druck machten. Sie sagt:
„Frauen werden auch heute noch fast ausschließlich über ihre Mutterschaft und über ihre Kinder definiert. Das heißt, die Identitärt von Frauen steht und fällt damit, ob sie von außen als gute Mutter angesehen werden.“
Mädels, ich denke, hier liegt der Hund begraben. Wir beobachten uns den ganzen Tag selbst und in uns drinnen spricht eine innere Stimme, die das sagt, was andere Menschen VERMEINTLICH denken: Na, mal wieder die Kinder angepampt, obwohl Mütter liebevoll und geduldig sein müssen? Und dann noch Hefezopf beim Bäcker gekauft, wo doch die anderen Mamas alles selbermachen! Kann es sein, dass du das Kind trotz Schnupfen in der Kita abgibst, weil dir der Job heute einfach wichtig war? Und dein Ausraster neulich im Supermarkt war ja wohl voll daneben.
„Die gute Mutter hat Zeit, koch, bastelt und backt selber. Sie fördert ihre Kinder, ist beruflich erfolgreich und sieht natürlich gut aus“, heißt es in der Sendung. Viele Frauen nehmen diesen Druck an und fühlen sich davon eben auch belastet, weil sie versuchen, einem menschenunmöglichen Ideal hinterherzurennen, sagt Christina Mundlos dazu.
Die Sprecherin der Sendung benennt eine Annahme, die auch alle meine Freundinnen äußerten: Andere bekommen es doch auch hin. Und hier liegt der nächste tote Hund! Das ist nämlich eine irrige Annahme. Klar, es gibt eine Bekannte, die bleibt immer ruhig und schreit ihre Kinder nie an. Sie backt außerdem irre leckere Schokokekse. Dafür arbeitet sie nicht und staubfreie Regale sind ihr Bumms. Dann ist da noch die Nachbarin, deren Garten aussieht wie aus dem Ei gepellt. Ebenso ihre Kinder. Sie arbeitet Vollzeit und leistet sich von dem verdienten Geld ein Aupair und eine Haushaltshilfe. Mit den Kindern zu basteln oder Kekse zu backen fiele ihr nicht im Traum ein. Keine Frau kann einfach alles! Nur gibts da noch die hunderttausend anderen, die denken, sie müssten das als gute Frauen und Mütter hinkriegen und am Ende können sie nicht mehr: so wie meine Mädels!
Die Zerreißprobe
Die Belastungen seien immer schon da gewesen, auch bei den Frauen früher, erzählt Anne Schilling im FrauTV-Film, Geschäftsführerin eines Frauen-Genesungswerk. Aber früher waren die Rollen irgendwie einfacher. Frauen und Mütter wussten, was zu tun war. Heute trifft ein modernes Frauenbild auf ein traditionelles Mutterbild. „Die Familie hat immer Vorrang, die eigenen Bedürfnisse zurückstellen, also was ganz Traditionelles rollt (…) auf die Mütter zu und kollidiert mit dem eigenen Anspruch und mit allen Bildern von Gleichberechtigung, von Frauenleben, das bisher verfolgt wurde“, sagt Schilling. „Diese unterschiedlichen Bilder zusammen zu bekommen, ist eine Zerreißprobe.“ Was Frauen krank mache, ist, dass sie in dieser Zerreißprobe ihre Bedürfnisse zurückstellen. Obwohl sie das nicht einmal wollten, denn sie sind ja modern, schließt Anne Schilling ihre Überlegungen ab.
Also trifft das traditionelle Bild der Frau, eine sich selbst aufopfernde, liebevolle Mutter, auf ein neues Bild, das die modernen Frauen von sich haben: Eine Frau ist eben nicht nur Mutter. Sie kann auch eigene Wege gehen, sich für den Beruf entscheiden oder ihn zumindest nicht aufgeben. Sie ist modern und unabhängig, dabei schlank, sportlich und attraktiv wie vor der Schwangerschaft.
Wir Frauen heute können den Traum von beruflicher Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung wagen, der für die Frauen früher unerreichbar war. Aber wir wachen nicht selten in einem Alptraum auf, weil die Vereinbarkeit von Job und Kind, von Vollzeitmama und unabhängiger Superfrau einfach nicht gelingen mag. Wir sind hin und hergerissen zwischen dem alten Frauenbild, das wir alle doch irgendwie nicht ablegen können, dafür steckt es uns noch zu tief in den vererbten Knochen. Eine meiner Freundinnen möchte ihrem Mann den Rücken freihalten, damit er in Ruhe seine Projekte zu Ende bringen kann. Andererseits liebt sie ihren erlernten Beruf und findet es schade, dass sie selbst nicht arbeiten kann. Eine andere Freundin möchte einen pickobello Haushalt führen und freut sich, wenn die Küche blinkt. Andererseits denkt sie jedes Mal: wäre ich doch lieber ne Runde laufen gegangen, dann hätte ich nicht solche Rückenschmerzen vom Putzen. Ich selbst hadere mit mir, weil ich es nicht schaffe, eine stets liebe, gütige Mami zu sein, die ihre Bande mit offenen Armen empfängt und an ihre Kittelschürze drückt. Ich bin statt dessen oft genervt und möchte lieber lesen oder schreiben, anstatt mit meinem Kleinkind auf dem Teppich Klötze zu bauen.
Die Quintessenz
Der kleine Film hat eine starke Quintessenz: „Es geht nicht darum, so stark zu sein wie die Frauen früher. Denn sie waren stark im Machen und Tun, aber sie waren schwach, wenn es darum ging, die eigenen Grenzen der Kraft zu verteidigen und zu sagen: ich kann nicht mehr und ich habe auch keinen Bock mehr. Und dass es kein Jammern ist, wenn Mütter heute ehrlich sind.“
So leicht kommen wir nur leider nicht raus aus der eingefahrenen Situation, vor allem nicht alleine. Auch wir sind Teilnehmer einer Gesellschaft, die die Rahmenbedingungen schafft. Ich habe schon oft über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschrieben, und dass es da in unserem Land ne Menge zu tun gibt.
Ich könnte noch mehr schreiben, aber hier soll einmal Schluss sein. Dieses Thema lässt sich auch nicht mit einem einfachen „in zehn Schritten raus aus dem Mama-Tief“ abschließen, sondern es ist vermutlich ein Generationsproblem. Es lohnt sich aber, es anzupacken. Denn ich wünsche mir so sehr, dass es meiner Luise später anders geht.
Aber ich habe trotzdem ein paar Denkanstöße für mich, für Kathi, für Lea, Uli und für dich:
- Es ist nicht schlimm, die eigene Überforderung anzusprechen und sich dazu zu bekennen, dass wir als Mütter oft nicht mehr können. Es ist sogar sehr, sehr wichtig. Die, die sich trauen, das zu sagen, ebnen den Weg für viele andere. Es ist ein Märchen, „dass alle anderen es doch auch hinkriegen“ und es ist kein Gejammer auf hohem Niveau. Die Burnout-Erkrankungen von Müttern steigen von Jahr zu Jahr und das Leid von betroffenen Familien, ganz besonders das der Kinder, ist groß. Also sprecht aus, dass der Druck hoch und die Arbeitsbelastung viel ist!
- Wir selber stehen unter Druck und das liegt nicht nur an uns. In Müttermagazinen wird von „Fails“ geschrieben, wenn Mamas die Vesperdose vergessen. In Blogs und Foren werden Mütter, die nicht stillen oder früh wieder arbeiten gehen als „Rabenmütter “ beschimpft. Der Ratschlag, all das einfach nicht mehr zu kosumieren, ist Quatsch. Genau so könnte man einer Frau, die sich für ihren fülligen Körper schämt, sagen, sie solle die Models in der Werbung einfach ignorieren.
- Wir können bei uns selbst anfangen und uns fragen, was wir eigentlich sein wollen. Alle Rollen auszufüllen ist unmöglich. Aber wir können überlegen, ob wir nicht einfach den Teil unserer Persönlichkeit akzeptieren, den wir immer bekämpfen. Wenn wir keine Übermutter sind, sind wir für unsere Kinder trotzdem toll. Wenn wir gerne arbeiten, sind wir keine Rabenmütter. Wenn wir lieber zuhause bleiben und nicht zurück ins Büro möchten, sind wir keine Glucken.
Bis dahin wünsche ich meinen Mädels, mir und dir, dass wir wieder lernen, auf unser Inneres zu hören. Und auch mal aufzustehen und zu rufen: „Ich habe kein Bock mehr, mich um alles zu kümmern!“ Wenn du Lust hast, mehr über das Thema zu lesen, schau mal unter unserer Rubrik Mütter und „Mutmach-Texte“ nach.
Bleib fröhlich und vor allem eines: unperfekt!
Deine Laura
Ps.: Eine kleine Anmerkung zur Diskussionskultur im Netz: alle LeserInnen sind herzlich eingeladen, ihre Meinung zu äußern. Auf Vorwürfe, dies alles sei Jammern auf hohem Niveau, werde ich nicht eingehen. Es gibt eine Form der Kommunikation, die „whataboutism“ genannt wird. Jeder, der einen Missstand beklagt, kann mit einem „und was ist mit denen, denen es viel schlechter geht“ zum Schweigen gebracht werden, denn dieser Vorwurf zerstört jede Form von Diskussion. Vielen Frauen geht es nicht gut, das ist eine Tatsache. Etwas daran zu verändern beginnt mit dem Aufzeigen von Missständen. Ich danke deshalb allen, die sich respekt- und verständnisvoll äußern, natürlich gerne auch mit höflichen Gegenargumenten.
Pps.: Ich spreche hier von Frauen, die einen Partner haben. Der Druck auf Alleinerziehende muss noch viel größer sein.
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