Vertauschte Rollen

Stell dir mal einen Tag in meinem Büro vor:

Ich komme herein und hier herrscht schon reges Treiben. Kollege Maier sitzt in der Ecke und schmollt. Er ist mal wieder ziemlich müde, weil er gestern so lange gelesen hat. „Sie kommen aber spät!“, raunzt er mich an. „Können Sie mir wenigstens einen Kaffee aus der Teeküche mitbringen?“ Ich lege eben meinen Mantel ab, begrüße alle und hole Kaffee. „Nee, der ist ja viel zu heiß!“ meckert Maier rum und schmollt weiter. Ich drehe noch einmal um, um mir meinen eigenen Kaffee zu holen, den habe ich nämlich vergessen, da bittet mich Kollegin Müller um Hilfe. „Können Sie mir bitte sagen, wie ich mich in diesem Menü anmelde?“, ruft sie. Ich schalte kurz meinen Computer an und eile zu ihr. Wenn ich ihr nicht helfe, ist sie immer so schnell frustriert. Während ich versuche, mich mit ihrem Namen im Programm anzumelden, klingelt mein Telefon. Der Chef ist dran, ich soll sofort in den Besprechungsraum kommen. Es ist dringend. Ich entschuldige mich bei Frau Müller, die traurig schaut, weil sie jetzt immer noch nicht in ihr Programm kommt. Dann renne ich an der Teeküche vorbei, bleibt der Kaffee eben kalt, und ab zum Boss.

Der jedenfalls will von mir wissen, wo die Unterlagen sind, die er dringend braucht. Ich weiß nicht, wo er sie hingelegt hat, helfe ihm aber beim Suchen. „Sonst räumen Sie die Notizen doch immer in den Ablagekorb oder packen Sie in Ihre Aktentasche“, helfe ich ihm auf die Sprünge. Nachdem wir eine viertel Stunde gesucht haben, finden wir seine Unterlagen in der Schublade unter dem Schreibtisch. Grußlos entlässt mich der Boss und ich gehe zurück in mein Büro.

Dort sitzt Frau Müller und weint in ihren Tee. „Ich bin so froh, dass Sie da sind“, schluchzt sie, und ich setze mich neben sie an den Computer und kümmere mich um ihr Problem. Ich habe so Lust auf Kaffee, aber jetzt mache ich das hier endlich fertig. Geschafft, sie bittet mich zwar, auch noch nach dem Exceltabellen-Problem von gestern zu schauen, aber ich vertröste sie, denn ich muss nun endlich meine eigenen To-Dos anpacken. Ich melde mich an meinem Computer an, da schreit Herr Maier: „So ein Mist aber auch, bitte, Frau Fröhlich, das darf doch nicht wahr sein, schauen Sie sich das mal an!“ „Herr Maier, ich muss jetzt wirklich dringend…“ Aber Herr Maier schaut so entsetzt, dass ich kurz bei ihm vorbei schaue.

Der Boss hat ihm eine gemeine Mail geschrieben und ich kann ihn gerade davon abhalten, etwas Gemeines zurückzuschreiben. „Nun gehen Sie eine Runde an die frische Luft, ich übernehme ihr Telefon. Dann antworten Sie in Ruhe und bitten um einen Termin, rate ich ihm.“ Gesagt, getan, und während ich versuche, meine Mails zu checken, bimmelt es bei mir laufend und ich nehme Telefonate für mich und Herrn Maier entgegen. Ich muss ganz dringend und flitze schnell auf die Toilette, als das Telefon kurz Ruhe gibt.

Als ich dort so sitze, höre ich Frau Müller reinkommen. Schluchzend ruft sie leise: „Frau Fröhlich, ich suche sie schon überall. Können Sie nun doch noch einmal kommen wegen der Excel-Tabelle?“. „Frau Müller, ich bitte Sie! Ich bin auf der Toilette“, antworte ich erbost, aber sie weint schon wieder. Ich wasche mir schleunigst die Hände und gehe zurück in unser Großraumbüro. Erst schaue ich nach Frau Müllers Pivot, dann berate ich Herrn Maier, der zurückgekehrt ist, bei der Wortwahl für die Mail an den Chef. Maier und Müller suchen sich im Intranet das Mittagessen raus und verabreden sich für 12 Uhr in der Kantine.

Als die beiden gehen, sitze ich noch an meinen Mails und lasse deshalb das Essen ausfallen. Im Laufe des folgenden Nachmittags versuche ich, meinen Bericht zu schreiben, der längst beim Boss sein müsste. Aber ich werde immer beim Schreiben gestört, weil einmal der Strom ausfällt, ein Probe-Feueralarm ausgelöst wird, der Boss mich ruft, weil er wieder was verloren und Frau Müller aus Versehen ihre Tabelle gelöscht hat. Mein Magen knurrt, die Kaffeetasse wartet mit kalter Plörre in der Kaffeeküche auf mich und auch der dringende Anruf läuft nicht rund, in dem ich mit dem Vertriebler die neuen Zahlen klären wollte: der Betriebsrat ruft mich um drei Uhr an und erbittet dringende Hilfe im Fall Regine S.

Um 17 Uhr bin ich die letzte im Büro. Mein Kopf surrt, ich habe den Versuch aufgegeben, mir einen heißen Kaffee zu machen und trinke die kalte Plörre. Ich konnte weder meinen Bericht verfassen noch den Vertriebler anrufen, auch die Mails habe ich nicht alle beantwortet und Frau Maier hat mir ihre Excel-Tabelle zur Überprüfung dagelassen. Ich bin fix und alle und möchte meine Kollegen allsamt auf den Mond schießen. Morgen ist auch noch ein Tag, sage ich mir, und verlasse das Büro.

Kommen dir Tage wie diese bekannt vor? Ich jedenfalls diskutiere öfter mal mit Anton darüber, wer es stressiger hat: er in seinem Job oder ich mit den Kindern. Klaro, auch ein Tag bei ihm ist kein Ponyhof. Aber wenn du wie ich nachmittags für die Kinder zuständig bist, kennst du sicher das Gefühl, wenn du nichts zu Ende machen kannst, du das Mittagessen verpasst, der Kaffeee regelmäßig kalt wird und dir die kleinen Kollegen sogar bis aufs Klo folgen. Dann denke ich immer: ach, wie gut du es nur hast! Dann gebe ich Boss Jimmy, Luise Müller und Oskar Maier einen dicken Kuss und freue mich auf den nächsten Morgen.

Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

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