Die Sache mit den Hausaufgaben
Ich strecke meine Hand nach oben. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, mich zurück zu halten. Seit langem weiß ich genau, welche Mutter ich hier an diesem Ort sein will. Oder welche ich nicht sein will. Aber dann fällt mir ein Punkt ein, der mich doch interessiert:
„Wie sieht es aus mit den Hausaufgaben in der Grundschule? Muss ich meinen Sohn da täglich unterstützen? Nicht, dass ich das nicht wollte, aber um des Familienfriedens willen würde ich mich da gerne so gut es geht raus halten.“
Die Lehrerin antwortet, wie ich es mir erhofft habe. Sie erklärt, dass wir Eltern uns tatsächlich raus halten sollen, dass die Kinder jeden Tag eine halbe Stunde Hausaufgaben machen müssen, egal, wie viele Aufgaben am Ende gelöst sind. Dass wir nicht Hilfslehrer spielen dürfen, und dass wir einfach ein Auge darauf haben, dass die Kinder diese eine halbe Stunde am Tag erledigen, und nicht etwa 30 Minuten Stifte anspitzen.
Ich bin so erleichtert. Wie oft höre ich Eltern, die vom Streit mit ihren Grundschulkindern erzählen. Jeden Tag sitzen sie mit Tochter und Sohn am Tisch, es fließen Tränen der Wut, manchmal auf beiden Seiten. Und ich wundere mich. Meine Eltern haben nie mit mir Hausaufgaben gemacht, die gesamte Grundschulzeit über. Und so möchte ich es auch mit Jimmy handhaben. Ich möchte nicht die Mutter sein, die ihrem Drittklässler die Power Point-Präsentation in die Tasten kloppt, damit das Bürschlein eine eins abstaubt. Ich möchte keine Mutter sein, die ab Klasse zwei bereits die Gymnasialempfehlung im Kopf hat, wenn sie mit ihrem Rotstift die Schreibhefte ihres Kindes markiert. Ich möchte eine Mutter sein, die sich raus hält. Die ihren Kindern zutraut, dass sie es schon schaffen werden, zur Not auch mit einer Ehrenrunde oder einer vier in Musik. Deren Welt nicht aus den Fugen gerät, wenn das Söhnchen später, viel später mal kein Abitur macht. Ob ich es schaffe, weiß ich nicht, aber ich drücke mir und Jimmy feste die Daumen.
Besorgte Eltern in der Turnhalle
Schon lustig, jetzt hier in der Turnhalle zu sitzen. Es ist ein Infoabend der hiesigen Grundschule und es geht um den Ernst des Lebens. Zum Glück ermuntert uns die Rektorin schon am Anfang dazu, dass es nicht bloß ernst, sondern auch ganz viel Spaß ist, in die Schule zu gehen. Um mich herum sehe ich aber sehr viele besorgte Gesichter. Ein Vater fällt mir gleich am Anfang auf. In der Hand hält er eine riesen Schreibmappe, der Stift ist gezückt, die Augen konzentriert, die Stirn in Falten. Auch er hebt nun die Hand, und erkundigt sich in kritischem Ton, ob denn 250 Schüler überhaupt auf den kleinen Schulhof passen. Aber damit nicht genug: er möchte weiterhin wissen, ob der Mittagstisch bio, die Lehrer genügend, die Pausenaufsicht aufmerksam ist. Als die Rektorin berichtet, dass in der großen Pause jeden Tag eine andere Klasse auf den kleinen Fußballplatz auf der anderen Straßenseite darf, bekommen einige Erwachsene hinter mir Schnappatmung angesichts dieses verkehrstechnischen Risikos. Die Rektorin erzählt, dass es Grundschülern ab Klasse zwei durchaus zuzutrauen ist, ohne Begleitung eine kleine Straße zu überqueren. Da sind sie, die Helikopter-Eltern, die ich mir in meinen schönsten Träumen bereits zusammen gebastelt habe. Und witzigerweise handelt es sich bei den allerbesorgtesten meist um Männer, das ist in meinem Beitrag über den Skikurs vom letzten Jahr schön dokumentiert.
Im weiteren Verlauf möchte besagter Vater in forschem Ton wissen, ob denn alle Schüler in ihrer Individualität ausreichend gefördert würden und was mit den guten Schülern sei, denen Regelaufgaben zu einfach sind. Insgeheim wette ich gegen mich selbst, dass es hier sicher um den Papa eines selbsternannten Hochbegabten geht, der sich um die ausreichende Förderung seines kleinen Genies sorgt, noch bevor der überhaupt sein erstes „Oma“ geschrieben hat.
Keine große Sache machen
Am Ende sind wir dann doch ganz schnell fertig geworden und ich mache mich schnell aus dem Staub, während sich eine Horde Eltern in aller Dunkelheit aufmacht, um sich noch die Klassenzimmer anzuschauen. Als ich Jimmy am nächsten Tag von der Schule erzähle, zuckt er mit der Schulter. Ihm ist dieses ganze Thema ziemlich wumpe, und das finde ich, ehrlich gesagt, ganz gut. Irgendwie werden die Kinder das alles hinkriegen, da bin ich mir sicher. Klar, es wird in den nächsten 15 Jahren für meine drei Mäuse sicher eine gute Portion Streit mit Mitschülern geben, Elterngespräche mit besorgten Lehren müssen geführt und unterdurchschnittliche Mathe-Klassenarbeiten unterzeichnet werden. Die Kinder werden zu wenig Vokabeln pauken und aus dem Klassenzimmer fliegen. Aber letzten Endes wird davon die Welt nicht untergehen. Und ganz ehrlich: wir haben die Kinder bisher zu normalen, freundlichen kleinen Menschen erzogen, sind mit ihnen auf dem Spielplatz gewesen, haben sie mit anderen zusammen gebracht, Bücher angeschaut, Schleife binden geübt, sie können einigermaßen gesittet essen und wissen, wie man aufs Klo geht. Ist doch eine Top-Vorbereitung. Viele Sorgen sind meiner Meinung nach unnötig. Als ich mit Jimmy einmal am Tisch saß, um Bögen malen zu lernen, hat er sich sofort beschwert und ich habe mir hinterher an den Kopf gefasst. Seither lasse ich jegliche pädagogische Vorbereitung bleiben und nehme auch das Wort „Schule“ so gut es geht nicht in den Mund.
Zum Schluss ein Zitat von Jesper, dem Julchen: „Wenn Eltern den Pädagogen herauskehren, behandeln sie ihre Kinder meist äußerst herablassend und kränkend.“ Noch ein Grund für mich, weshalb ich mit diesen Hausaufgaben in den nächsten vier Jahren nichts zu tun haben will. Also, go Jimmy, du schaffst das alleine, da bin ich mir sicher! Und wenn du auf der höheren Schule mal Hilfe brauchst, bin ich natürlich da. Und dann machen wir uns zum öden Vokabeln pauken zumindest eine ordentliche Tasse heißen Kakao mit Sahne.