Weißt du, welchen Satz ich gar nicht mag?
Ein Kind braucht seine Mutter!
Natürlich ist der Inhalt richtig, jedes Kind braucht seine Mutter, ganz dringend sogar. Aber der Unterton, mit dem er gesagt wird, soll der Mutter manchmal einfach nur ein schlechtes Gewissen machen und wird oft auf die Zeit angewendet, die eine Mutter mit ihrem Kind verbringt. Zum Beispiel dann, wenn sie wieder oder länger arbeiten geht. Ungewohnt scheint es für viele Menschen zu sein, wenn beispielsweise eine Mutter die Hauptverdienerin ist und sich der Vater vornehmlich um das Kind oder die Kinder kümmert. In Westdeutschland ist das eine Seltenheit und doch ist jede Familie, die die üblichen Rollen einmal vertauscht, so wichtig und hat Vorbildfunktion, wie ich finde. Denn meiner Meinung nach kann sich ein Vater ganz genauso liebevoll um seine Kinder kümmern. Daher sollte der Satz heißen: „Ein Kind braucht seine Eltern.“
Warum Papas genauso liebevoll umsorgen können
Bei uns ist es so: Anton war zwar bisher der Hauptverdiener und hat nicht mehr als die zwei üblichen Vätermonate genommen, aber eigentlich wäre er der bessere Kinderbetreuer gewesen. Ich sage das ganz ehrlich, denn Anton ist in vielen Dingen viel kompetenter als ich, wenn es um unsere Kinder geht. Er hat eine Engelsgeduld, er ist der weltbeste Tröster, er kann sich in die Kinder hineinversetzen und findet Knete auf dem Boden und umgekippte Milchbecher nicht der Rede wert. Kein Wunder, dass alle drei Kinder im Kleinkindalter am liebsten nur zu Papa wollten. Ging Anton aus dem Haus, weinten Jimmy, Luise und heute noch Oskar an der Tür. Wenn sich unser Dreijähriger weh tut, ruft er als erstes nach Papa, ich kann ihn dann kaum trösten.
Ich denke, Kinder brauchen vor allem eine zuverlässige und liebevolle Bezugsperson, auf die sie sich verlassen können. So können sie ihr Vertrauen in die Welt aufbauen, denn sie wissen, dass da Jemand ist, der für sie da ist und sich kümmert. Dass das ein Vater genauso gut und genauso liebevoll machen kann, daran habe ich keinen Zweifel.
Ein Kind braucht seine Mutter! wird Frauen entgegen geworfen, die arbeiten gehen. Wieso ist das so und warum stand noch nie ein Kollege mit erhobenem Finger vor dem Schreibtisch eines Papas, um ihm mit einem „ein Kind braucht seinen Vater“ ein schlechtes Gewissen zu machen?
Eine Geschichte vom Muttersein
Wir hier in Deutschland und ganz speziell im Westen des Landes haben immer dasselbe Bild einer Mutter im Kopf: sie ist für ihre Kinder da, umsorgt und betreut sie, opfert sich auf und ruht nicht, bis ihre Lieblinge abends schlafen gehen. Dieses Bild darf aber gerne mal in Frage gestellt werden, vor allem weil kaum ein anderes Land in Europa ein solchens Mutterbild teilt. Schauen wir mal zurück in die Geschichte: Helma Sick hat in ihrem Buch Aufgeben kam nie in Frage (Affiliate Link) ein Kapitel über die Geschichte der Benachteiligung von Frauen eingefügt, das Aufschluss gibt und Augen öffnet. In der Weimarer Republik (1919 bis 1933) sah es für die Mütter kurz gut aus, denn es entstand ein neues Bild einer Frau, die selbstbewusst ist, einen Beruf ausübt und sich ihre Freiheit nimmt. Der große Rückschlag kam mit der schrecklichen Nazizeit. Wie vor dem Ersten Weltkrieg war die Frau nun wieder die aufoperungsvolle Mutter und Hausfrau. Treue, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit wurden ihr zugeschrieben, dem Mann die Berufstätigkeit überlassen und je mehr Kinder die Frau bekam und umsorgte, desto besser.
Nach dem Krieg galt es hier im Westen, sich gegen die DDR zu positionieren, in der die Frauen immer schon arbeiten gingen. Deshalb wurde in Westdeutschland die traditionelle Familie gestärkt, unter anderem „mit staatlichen Subventionen wie dem Ehegattensplittung, das allein- und gut verdienende Väter bevorzugt“ (S. 226). Dieser Steuervorteil und auch die betragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung des Mannes führt dazu, das es sich heute noch für viele Frauen finanziell nicht lohnt, mit einem Teilzeit-Job wieder ins Berufsleben einzusteigen, weil die Familie dann mehr Steuern bezahlen muss und auch die Krankenversicherung wieder Geld kostet.
Unser Staat hat sich deshalb auch viel weniger um flächendeckende Kinderbetreuung gekümmert. Schließzeiten um 12 Uhr wie damals in dem Kindergarten, in den ich selbst ging, haben es meiner Mutter unmöglich gemacht, auch nur an einen Job zu denken. So ist es kein Wunder, dass „Deutschland heute familienpolitisch mindestens vierzig Jahre hinter anderen Ländern zurück ist“, schreibt Helma Sick in ihrem Buch. (S. 226)
Katrin Wilkens geht in ihrem Buch Mutter schafft (Affiliate Link) noch einen Schritt weiter zurück in der deutschen Geschichte. Sie fasst den Klassiker „Die deusche Mutter“ von Barbara Vinken zusammen:
Verkürzt steht in dem Buch, dass gerade und besonders in Deutschland die Mütter als Mütter gezüchtet wurden, und zwar seit Luther. Indem er die Erziehung der Kinder als „Gottesdienst“ deklarierte und die Mütter aufforderte, möglichst viele Kinder zu gebären, um ihre Seelen Gott zu bringen, lege er den Grundstein für ein fest zementiertes Frauenbild, das noch heute zu Sätzen führt wie „Ich finde, ien Kind gehört zu seiner Mutter.“ (S. 89)
Gegen das schlechte Gewissen
Was möchte ich dir nun mit meinem Text sagen? Vielleicht geht es dir manchmal wie mir. Da ist so ein diffuses Gefühl, dass wir als Frauen immerzu für unsere Kinder da sein sollten. Wir haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir arbeiten gehen, wir glauben, uns aufopfern zu müssen, um eine gute Mutter zu sein und wir lassen uns beeindrucken von anderen Menschen, die uns darauf hinweisen, wie sehr das Kind seine Mama braucht. Das dürfen wir aber durchaus hinterfragen. Ich jedenfalls lasse mir kein schlechtes Gewissen mehr machen, denn ich sehe bei meinen Kindern, wie behütet sie sich bei Anton fühlen. Sie brauchen einen wichtigen Menschen, der immer für sie da ist. Wenn es nicht gerade ums Stillen geht, kann all das auch ein liebevoller Vater übernehmen. Letztendlich entscheiden Eltern immer individuell, wie sie das Geld verdienen und die Kinderbetreuung untereinander aufteilen. Dabei sollten sie sich aber nicht von einem Mutterbild leiten lassen, dass uns einige Männer aus der Vergangenheit eingebrockt haben.
Es gibt auch viele alleinerziehende Eltern, von denen immerhin 85% Frauen sind, die ganz viel arbeiten müssen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Auch sie leiden unter diesem Spruch und dem daraus resultierenden schlechten Gewissen. Eine liebevolle Großmutter, tolle Erzieher oder die Nachbarin können für ein Kind da sein, wenn die Mutter arbeiten muss (oder will!).
Einigen wir uns doch darauf, dass eine gute Mutter zuhause bei den Kinder sein kann. Eine gute Mutter kann aber auch arbeiten gehen. Eine gute Mutter ist viel zuhause oder wenig, eine gute Mutter spielt viel mit den Kinder oder sie liest ihnen lieber Geschichten vor. Eine gute Mutter ist gerne Hausfrau, eine gute Mutter hasst jede Art von Hausarbeit. Eine gute Mutter ist am allerliebsten nur mit ihren Kindern zusammen, eine gute Mutter ist dann glücklich, wenn sie ihrem Beruf nachgehen kann.
Lassen wir uns kein schlechtes Gewissen machen und trauen wir uns, neue Wege zu gehen. Übrigens gilt das auch für Mamas, die viel Zeit zuhause verbringen und sich mehrheitlich um die Kinder kümmern. Gehen die mal aus oder sind für ein Wochenende weg, werden sie gefragt: „Und was ist mit den Kindern?“ Die sind beim Papa / bei der Oma / bei der Babysitterin mindestens genauso gut aufgehoben, kannst du dann sagen. Wieso auch nicht?
Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura