Neulich habe ich mich ernsthaft gefragt, warum ich so zwanghaft bin bei Dingen, die eigentlich nicht wichtig sind. Woher kommt dieser Perfektionismus, der mich umtreibt? Zum Beispiel bei gefalteter Wäsche im Schrank. Ich sortiere alles ordentlich ein, habe für jede Art von Wäschestück eine bestimmte Technik. Ich lege Handtücher identisch gefaltet aufeinander und finde den Anblick im Schrank befriedigend. Wenn dann eines meiner Kinder sein Lieblingshandtuch von unten hervorzieht, dabei der Stapel umkippt, es heimlich alle Handtücher wieder zurückstopft, wie es jedes normale Kind machen würde, und ich das dann entdecke, könnte ich ausflippen. Ist doch völlig verrückt, oder?
Ähnlich verhält es sich mit der Küchenspüle. Ich hasse es, wenn sie schmutzig oder vollgestellt ist. Dafür liebe ich ein aufgeräumtes Wohnzimmer oder ein Bad, in dem keine Kleider auf dem Boden rumliegen. Ich bin süchtig nach Ordnung, Sauberkeit und leeren Regalen. Schaue ich mich zuhause um, sehe ich ein buntes Chaos, krümelige Arbeitsflächen in der Küche und einen Wäschekorb mit völlig unregelmäßig zusammengefalteten Kleidungsstücken.
Das Ziel: Endlich ausruhen!
Nach langem Überlegen kam ich darauf, dass mein eigentliches Ziel Ruhe im Kopf ist. Ist irgendwann bei uns zuhause die langersehnte Ordnung eingekehrt, sind alle Flecken an der Wand weiß getüncht und alles Spielzeug nach Anfangsbuchstaben sortiert in die Kisten geräumt, finde ich Frieden. Dann kann ich mich endlich aufs Sofa legen und ausruhen. So lange das nicht passiert, ist Lärm, Unordnung und Durcheinander angesagt und ich finde keine Ruhe. Das Bild, das sich mir zuhause bietet, ist nur eine Metapher für mein Hirn, in dem es Drunter und Drüber geht wie in Jimmys Kinderzimmer. Die Aufgeräumtheit in meinem Hirn werde ich aber nie erreichen, indem ich zuhause Ordnung schaffe. Irgendwas läuft da gewaltig schief. Klar ist mir dabei Eines: ich bin nicht die einzige, die den ewigen Kampf gegen die Unordnung kämpft und damit auch einen Kampf gegen die inneren Ansprüche. Woher kommt der Hang zum Perfektionismus, der uns zuhause noch in den Wahnsinn treibt?
Eine Antwort fand ich mal wieder in Gemma Hartleys Buch „Es reicht! (Affiliate Link). Sie schreibt über die problematischen Verhaltens- und Denkweisen, die uns prägen. Ihre eigene soziale Konditionierung hat dafür gesorgt, dass sie die Gefühlsarbeit zuhause, also auch den Haushalt und das Sorgen für eine angenehme Atmosphäre, die einen gewissen Grad an Aufgeräumtheit mit einschließt, auf die beste Art tun will, die es gibt. Sie sorgt permanent für alle, sie strebt in allem, was sie im Haus tut, nach unerreichbarer Perfektion:
Ihr (der Perfektion) liegt die Vision zugrunde, dass es mir mit Hilfe von Gefühlsarbeit gelingen sollte, eine derart reibungsvolle Existenz aufzubauen, dass ich irgendwann die Grenzen durchbreche und mich FREI fühle. Wäre mein Kalendersystem perfekt, wäre unsere vollgepackte Terminplanung keine Quelle von Stress mehr. Fände ich die beste Methode, die Mahlzeiten zu planen und vorzubereiten, würde mich niemals mehr die Frage umtreiben, was es heute zum Abendessen geben soll. (…) Wäre mein Zuhause perfekt organisiert, gäbe es kein Leiden mehr. Das Problem besteht darin, dass Perfektionismus ein hohles Versprechen ist, das sich niemals erfüllt. Im Gegenteil. Er lädt uns nur noch mehr Gefühlarbeit auf. (S. 320)
Die Arbeit endet nie
Ich habe schon bei Pinterest nach dem perfekten Ordnungssystem für Familien gesucht, mir über meinen ewigen Speiseplan den Kopf zerbrochen, die Kinderkleider tausendmal durchsortiert und den Flur von unnötigem Kram befreit, damit es endlich perfekt ist und ich mich mit einem Buch aufs Sofa legen kann. Dann endlich sucht kein Kind mehr sein Zeug, dann vergessen wir keine Termine mehr, dann hat alles im Haus seinen festen Platz. Ich trete nicht mehr auf Krümel, muss meine Kaffeetasse nicht mehr auf einen schmierigen Tisch stellen und kann mich endlich ausruhen.
Mir ist aber noch etwas anderes eingefallen, warum ich so emsig nach Ordnung strebe: keiner sieht, dass ich Wäsche wasche, die Erinnerungs-Alben der Kinder fülle, einen Kindergeburtstag plane. Nicht einmal ich sehe, was ich nachmittags alles für die Familie tue. Hausarbeit und Kinderbetreuung ist bei uns in der Gesellschaft keine vollwertige Arbeit. Das sieht man daran, dass Frauen sich entschuldigen, sie seien „nur“ zuhause. Das liegt auch daran, dass keiner interessiert daran ist, die Menschen finanziell abzusichern, die sich um andere kümmern. Nicht zuletzt spüren es Väter, die sich für die Hausarbeit entscheiden und dafür erst großes Lob ernten, dann aber doch irgendwie verloren auf dem Spielplatz rumstehen und das Gefühl haben, sie erfüllten nicht die Erwartungen, die unsere Gesellschaft an Männer richtet.
Streben nach Anerkennung
Es geht also um so viel mehr: es geht um die Wertschätzung der Arbeit, die zuhause gemacht wird. Ich bin modern und feministisch, aber tief in mir schlummert der Wunsch danach, dass andere Leute sagen: die hat ihren Haushalt im Griff. Die macht das toll mit den Kindern, die schreit nie rum. Sie kocht für die Kinder, sie macht dies und jenes. Applaus, Applaus für diese Frau! Sie zeigt, dass alles möglich ist. Kinder, Job und ein aufgeräumtes Heim. Man muss sich einfach nur ein wenig anstrengen. Und das tue ich. Ich strenge mich an und hächle wie ein Hund der Wurst an der Leine hinterher und freue mich wie ein Schnitzel, wenn mich einer für das aufgeräumte Wohnzimmer lobt. Armes Hündchen, du. Dieses Streben nach Anerkennung ist grauenvoll und Teil des Problems.
Bin ich also bekloppt und perfektionistisch, können mich andere beschimpfen und sagen, die ist ja selber schuld an ihrem Stress? Nein, so einfach ist es nicht. Gemma Hartley schreibt:
Meine Strebsamkeit und die Art und Weise, wie sie sich in der von mir geleisteten Gefühlsarbeit manifestiert, sind nicht das Ergebnis eines inneren Antriebs. Ihre Motivation ist eine vollkommen andere: Sie speist sich aus der gesellschaftlich vorgegebenen Erwartungshaltung, dass Frauen in jeder Hinsicht perfekt sein müssen, und aus der Vorstellung, dass ich kein wertvolles Mitglied der Gesellschaft bin, wenn es mir nicht gelingt, dieses hohe Ziel zu erreichen. (S. 322)
Wir alle brauchen Anerkennung, das ist menschlich. Es ist es an der Zeit, endlich anzuerkennen, dass es eine harte, ehrenwerte und mühevolle Arbeit ist, zuhause den Haushalt zu machen und sich um die Kinder zu kümmern. Dass es ebenso anstrengend ist, vielleicht auch anstrengender als ein Tag im Büro.
Warum erzähle ich dir das hier? Ich habe schon oft geschrieben, wie wichtig es ist, Pausen zu machen, Kaffee zu trinken, sich auszuruhen von dem Alltag mit Kindern. Ich kann es oft nicht, weil mir mein Perfektionismus im Wege steht. Damit wir selbst die Arbeit zuhause zu schätzen wissen und uns von dem krank machenden Perfektionismus verabschieden können, müssen wir schauen, woher er kommt. Er ist kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches, und es hat viel damit zu tun, was von uns Frauen jahrelang erwartet wurde: kümmere dich um andere, sorge für sie, stell dich hinten an und mache deine Sache gut. Wir machen sie inzwischen bis zur Perfektion und erreichen nie die Anerkennung, die wir brauchen.
Gefühlsarbeit für alle!
Genug gekümmert! Kinderbetreuung, Haushalt und all die Gefühlsarbeit muss gewertschätzt und von Frauen UND Männern gemacht werden, das ist für mich die Lösung des Problems. Wir sind nicht schuld an diesem Streben nach Perfektionsmus, aber wir können etwas dagegen tun: für wahrhaftige Wahlfreiheit kämpfen, für Gleichberechtigung und für geteilte Verantwortung zuhause. Gefühlsarbeit war viel zu lange Sache der Frauen.
Für mich ist das ein Weg heraus aus diesem stumpfsinnigen Streben nach Perfektionismus. Ruhe im Kopf herrscht dann, wenn ich mich mit der Hausarbeit nicht allein gelassen fühle. Alleine war ich damit nie, Anton übernimmt seit jeher Verantwortung und kümmert sich um Kinder und Küche. Weil ich bisher aber öfter zuhause war, habe ich mehr gemacht und vor allem die Verantwortung übernommen. Weil mir das zu viel wurde, haben wir gesprochen, vor allem über die Sache mit dem Perfektionismus und der Wertschätzung. Meine Botschaft war: Schau mal, was alles zu tun ist. Ich schaffe es nicht, auch weil ich zu hohe Ansprüche an mich habe. Ich möchte alles perfekt machen und scheitere immer wieder daran. Das ist mein Problem. Du kannst dich abends aufs Sofa setzen, auch wenn noch Schmutzwäsche in der Kammer liegt. Ich kann es nicht, aber ich WILL es können. Hilf mir dabei, indem wir die Verantwortung gerechter verteilen.
Im nächsten Schritt haben wir alle Haushaltsbereiche aufgeschrieben, jede Kleinigkeit, die es zu tun gibt, dazu notiert und die Verantwortung neu verteilt. Gemeinsam wollen wir nun einmal pro Woche die Aufgaben, die anliegen, sammeln und besprechen. Hier habe ich vom Trello-Board erzählt, das wir benutzen. Mir hilft es, mich von diesem elendigen Perfektionismus zu lösen, der mich kaputt macht. Vielleicht bringt es dich auch zum Nachdenken?
Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura