Mythos Mama. Ein Buch räumt auf mit der Last, die uns Müttern das Leben schwer macht (Buchbesprechung)

Das schlechte Gewissen

Was wäre denn, wenn ich mir die letzen Jahre völlig umsonst ein schlechtes Gewissen gemacht hätte? Wenn ich nicht dauernd an mir hätte zweifeln müssen, weil ich dachte, keine gute Mutter zu sein? Wenn mir klar gewesen wäre, dass es ganz normal ist, dass ich mich nach Ruhe und Abstand sehne? Dass es völlig ok ist, dass ich dem allgemeinen Mutterbild nicht entspreche, weil das Bild einfach totaler Unfug ist?

Ja, was wäre dann? Beim Lesen von Susanne Mireaus neuem Buch „Mutter.Sein“ habe ich das Gefühl, dass mich Jemand in den Arm nimmt und mir erklärt, dass ich gut bin und richtig. Dass all die Ansprüche, die die Gesellschaft an mich stellt oder die ich von mir selbst erwarte, keinerlei guten Grund haben, sondern auf einem Mutter-Mythos beruhen, der uns von einer ganzen Menge konservativer und vor allem männlicher Menschen eingebrockt wurde. Dass wir einem Bild hinterher rennen, der uns das Leben schwer macht.

Mutter schießt quer

Neulich saß ich bei meiner Freundin im Haus ihrer Eltern. Ich wurde von der Mutter gefragt, ob ich mit meinen drei Kindern derzeit meinen Beruf ausblende, weil ich ja viel zu tun habe. Ich antwortete, dass ich gerade eher meine Kinder ausblende, weil ich ein Buch schreibe. Diese Aussage löste betretene Stille am Tisch aus. Das Gleiche geschah neulich, als ich einer Bekannten sagte, dass ich eben nicht so die Kümmer-Mama bin und mein Mann das viel besser kann – schockierte Blicke und Themenwechsel, nachdem, was ich da gesagt hatte. Wenn ich dagegen erzähle, wie es den Kindern geht, was wir nachmittags machen und was ich zum Mittagessen koche, ernte ich erleichterte und verständnisvolles Nicken. „Zum Glück, sie macht ganz normale Mama-Dinge. Sie tut das, was von ihr erwartet wird.“

Die Last, die wir tragen

Ständig sind wir mit Bildern und Erwartungen konfrontiert, schreibt Susanne im Vorwort. Sie kommen von Familienmitgliedern, Freund*innen, Ärzt*innen oder Fremden, die uns als Frau und Mutter wahrnehmen, dabei Wohlwollen oder Ablehung bekunden. Deshalb sind wir weniger frei als wir denken:

Ich hatte nicht gewusst, welch abschätzige Blicke so manches Mal auf mir lasten würden – sei es wegen meiner Figur, des Umgangs mit meinen Kindern oder des immerwährenden Vorwurfs, es nicht richtig zu machen. Mutterschaft, so erfuhr ich in den letzten zehn Jahren noch einmal am eigenen Leib und an der eigenen Psyche, ist wirklich nicht einfach. (S. 10)

Susanne erzählt aber nicht nur von ihren eigenen Eindrücken, sondern analysiert im ersten Teil des Buches und mit Hilfe wissenschaftlicher Quellen das gängige Mutterbild. Sie erläutert weiter, warum es die eine „Mutterliebe“ nicht gibt, sondern wir deshalb in der Lage sind, ein Kind zu lieben und zu versorgen, weil wir Menschen sind.

Wir sind als Menschen, egal ob weiblich, männlich oder divers, hormonell darauf eingestellt, Kinder zu umsorgen und auf ihre Bedürfnisse zu reagieren. Ist das nicht eine wunderbar verbindende und entlastende Vorstellung? (S. 59)

Männer, die auf Mütter schauen

Aber warum denken wir dann immer, ein Kind braucht vor allem seine Mutter? Das hat historische und kulturelle Gründe. Eingebrockt haben uns das verschiedene Männer in den letzten Jahrhunderten. Da war Martin Luther, der ganz klar erwartete, dass sich die Frau dem Mann unterordnete und ihren Lebenszweck darin sah, sich um Kinder und Küche zu kümmern. Jean-Jacques Rousseau fand ebenfalls, dass das Muttersein etwas Natürliches ist und schuf damit die Legende der natürlichen Mutter. Pestalozzi, ein Pädagoge, sprach der Frau besondere Feinfühligkeit zu. Sie sei aufoperungsbereit und umsorge gerne, im Gegensatz zu Männern. Später kam noch Freud, dann bauten die Nazis mit am Mutterbild und am Ende förderten Politiker der BRD in den 50ern die Hausfrauenehe. Susanne zeigt gut nachvollziehbar, wie viele Männer den Muttermythos erschufen, der uns noch heute glauben macht, wir Frauen seien zum Kümmern gemacht, das Kind gehöre in unsere Obhut und Berufstätigigkeit und Karriere seien Egotrips auf Kosten der Kinder. Dabei kommt nicht zu kurz, was Kinder wirklich brauchen: eine sichere Bindung und Menschen, die da sind und auf sie eingehen. Das kann deshalb auch ein Papa sein, der seine Fürsorgerrolle genauso gut ausfüllen kann wie die Mutter.

Attachment Parenting? Mit Vorsicht zu genießen!

Spannend wird das Kapitel, in dem Susanne über Attachment Parenting spricht. Ich kenne sie selber ursprünglich von ihrem Blog Geborgen wachsen, der sich mit bedürfnisorientierter Erziehung beschäftigt. Außerdem habe ich ihr Buch „Geborgen wachsen“ gelesen, das aber schon damals neben den Bedürfnissen der Kinder stark auf die Befürfnisse der Eltern einging. Anders verhält es sich in so manchen AP-Kreisen. Dort stehen alleine die Kinder im Mittelpunkt und auch hier hatte einst ein Mann die Finger im Spiel: der Arzt William Sears hat zwar einen Erziehungstrend begründet, der gut für Kinder ist, aber darauf abzielt, Frauen wieder ihren „wahren Aufgaben“ zuzuführen. (Mireau, S. 47) Was mich schockierte: Gordon Neufeld, ein AP-Befürworter und Guru der AP-Bewegung, schreibt laut einer Studie der Heinrich Böll-Stiftung, auf die mich Susanne hinwies, für Webseiten von AfD-Politikern:

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Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura

Ps.: Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt und weil ich so begeistert bin, habe ich hier so viel dazu geschrieben

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