Warum Mütter oft ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nicht zuhause sind

Was Frauen wirklich stresst

Vielleicht hast du auch schon einmal Fragen wie diese gestellt bekommen: „Wo sind eigentlich die Kinder, wenn du am Wochenende bei deinen Freundinnen bist?“ Oder du wurdest im Büro gefragt, wer auf das Baby aufpasst, als du einige Zeit nach der Geburt wieder in deinen Job einstiegst. Im ganz unangenehmen Fall war die Frage kombiniert mit einer Aussage der Kollegin wie „ich könnte das ja nicht – so früh von meinem Kind getrennt zu sein“.

Der Muttermythos – ein künstliches Produkt

Mütter müssen bei ihren Kindern und bei ihrer Familie sein, das ist eine weitläufige Auffassung, die aus gutem Grund in Deutschland weit verbreitet ist. Die westdeutsche Nachkriegspolitik der 1950er Jahre förderte die Einverdiener-Ehe, bis heute kommt ein Paar steuerlich dann am besten weg, wenn es verheiratet ist und eine(r) von beiden weitaus mehr verdient als die/der andere. Weil Männer durch Berufswahl, Gender-Paygap und bessere berufliche Chancen im Durchschnitt mehr verdienen als Frauen, bleibt es auch heute noch oft dabei, dass er der Hauptverdiener ist, sich für die Finanzen zuständig fühlt und sie sich eher in der Rolle der Zuverdienerin und Familien-Managerin sieht. Aber nicht nur die Politik trägt dazu bei, dass sich an dem künstlich erschaffenen Mutterbild nichts ändert. Wir sehen auf Bildern, die Familie darstellen, meist die Mutter mit ihrem Kind. Man denke nur an eine Apothekenzeitschrift mit dem Titel: „20 Tipps für die Erkältungszeit“. Abgebildt ist natürliche eine Taschentuch reichende, tröstende Mama. Auch im Internet begegnen uns via Blog, Instagram, Pinterest und Co Bilder von reinster Mutterliebe. Mutterhände auf Kugelbäuchen, eine Kinderschar, die sich um die Mama windet, Mütter mit Kindern in Kombination mit Hashtags wie #letthembelittle #momlife oder #familienglück – der Muttermythos wird aktiv am Leben gehalten. Wieso dieser ein künstliches Produkt des Patriarchats ist und welche Menschen ein Interesse daran haben, dass wir weiter daran glauben, habe ich in meinem Buch Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles (Affiliate Link) beschrieben. Beispielsweise gibt es reißerische Titel und Blogs, die an die Präsenz der Mutter appelieren, hinter denen sich nach ein wenig Recherche rechte Familien-Netzwerke, die AfD oder rechtsradikale Verlage wie der Antaios Verlag verstecken. Erst durch die Beschäftigung mit Kultur und Geschichte verstehen wir die Hintergründe und erkennen, dass unser überbordendes Verantwortungsgefühl nicht genetisch ist.

Mama muss zuhause bleiben

Also glauben wir weiter daran, dass es etwas Natürliches ist, dass sich in erster Linie die Mama um die Kinder kümmert, und das nicht nur, wenn sie klein sind. Denn die Arbeit geht mit der Grundschule weiter und nicht selten flattert ein Elternbrief nach Hause, in dem zu lesen ist, dass „MÜTTER zur Begleitung für den Wandertag gebraucht werden.“

Ob aus freiem Willen oder aus finanziellen Gründen heraus:  wenn die Frau den Schwerpunkt auf die Erwerbstätigkeit legt und der Mann stärker zuhause eingebunden ist, dann stößt das oft auf Stirnrunzeln. Kommentare wie die anfangs genannten verunsichern Frauen dann logischerweise, denn auch wenn wir lieber tagsüber im Meeting sitzen als mit dem Kleinkind Türme zu stapeln oder wir die Extra-Schicht an der Supermarktkasse übernehmen müssen, weil wir das Geld dringend für den teuren neuen Schulranzen brauchen, so wollen wir doch eine gute Mutter sein, weil wir unsere Kinder lieben. Aber eine „gute Mutter“, so wird uns oft signalisiert, ist zuhause präsent. Egal wie gleichberechtigt wir leben möchten, zweifeln wir an unserem Weg und überlegen, ob unser Kind uns nicht doch häufiger braucht, ob der Papa das zuhause so gut kann wie wir, die Tagesmutter oder der Krippenplatz wirklich eine gute Idee war. Dann fühlen wir uns durch Ängste und Zweifel gestresst und jedes weitere Bild von glücklichen Kindern auf den Armen ihrer Mütter versetzt uns einen Stich.

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Auszeit von der Familie? Fehlanzeige!

Selbst wenn wir übers Wochenende eine Auszeit bei einer Freundin nehmen und ein wenig Zeit für uns haben, kommen diese negativen Gedanken gepaart mit dem schlechten Gewissen auf und verderben uns den Spaß. So erklärt es sich auch, dass der Partner von Freitag bis Sonntag entspannen kann, wenn er seine Freunde besucht, sich kein einziges Mal meldet und ausnahmslos die Ruhe genießt, wir Frauen dagegen bei unserem Auszeit-Trip freitags abends zuhause anrufen, ob alles ok ist, am Samstag per Whatsapp nachfragen, ob die Tochter immer noch Heimweh nach uns hat und am Sonntagabend mit Erleichterung die Wohnungstür aufsperren, weil wir endlich wieder da sind, wo wir hingehören.

Studienergebnisse bestätigen hohes Stress-Level

Eine aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts zeigt, wie sehr Mütter gestresst sind. Das liegt vor allem daran, dass sie gewöhnlich einen Großteil der familiären Arbeit übernehmen. Dieses Ergebnis ist nicht neu und verwunderlich, aber die Studie zeigt auch, dass Frauen gestresst sind, wenn ihre Partner mehr Care-Arbeit übernehmen als sie selbst.

Die Studienergebnisse zeigen übrigens auch, dass zwar die Berufstätigkeit von Müttern zugenommen hat, sie aber noch deutlicher als früher eher in Teilzeit beschäftigt sind. Kritisch ist daran, dass sich dadurch die Rolle des männlichen Hauptverdieners und der weiblichen „Zuverdienerin“ stärken, wie eingangs erwähnt. Neben finanziellen Nachteilen geraten Frauen so noch eher in die Doppelschicht-Falle: nach der Erwerbstätigkeit ist die zweite Schicht dran. Es geht nachmittags weiter mit Kinderbetreuung, Haushalt und Familienorganisation und diese Arbeit ist unsichtbar und mental stark belastend, weil sie nie aufhört, die Mutter aber oftmals für das Familienmanagament und das „An-alles-denken-müssen“ alleine verantwortlich ist. Ich persönlich finde ja nach wie vor die 30-Stundenwoche die einvernehmlichste Lösung für Eltern, und ehrlich gesagt sogar für alle Menschen…

Spannend ist die Tatsache, dass zwar der Stress weniger wird, je gleichberechtigter das Paar lebt. Sobald der Mann aber mehr Care-Arbeit und damit auch Familien-Organisation übernimmt als die Frau selbst, steigt ihr Stresspegel wieder an. Die Studienführer:innen erklären sich das damit, dass sich Frauen von den traditionellen Rollenbildern nur schwer lösen können und sogar dann versuchen, der sorgenden Mutter zu entsprechen, wenn sie in stärkerem Maß berufstätig sind als ihre Partner. Neben qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung und vereinbarkeitsfördernden Maßnahmen brauchen Eltern also vor allem eines: die Akzeptanz gegenüber einer unkonventionellen Arbeitsteilung und Aufklärung über Bindung, Mutterliebe und den Muttermythos.

Weg mit den Stereotypen!

Um wirklich herauszukommen aus dieser Mental Load-Problematik müssen wir also in erster Linie die Geschlechter-Stereotypen bekämpfen, und zwar auch politisch und wirtschaftlich. Männer können sich genauso kümmern, ein Kind kann auch einen Vater (oder die Großmutter) als erste Bezugsperson haben. Frauen sind auch dann gute Mütter, wenn sie berufstätig und deshalb seltener zuhause sind als ihr Partner. Alleinerziehende Eltern, die weniger Zeit für ihre Kinder haben, sind ebenso liebevolle Eltern wie die Insta-Mom, die sich jeder Minute ihren Kindern widmen kann und will. Nicht alle Frauen finden Erfüllung zuhause bei den Kindern, dagegen gibt es genauso Väter, die lieber zuhause die Care-Arbeit als eine große Karriere machen. Diese Studienergebnisse sollten uns alarmieren und wir müssen mehr dafür tun, dass wir gleichberechtigt leben können. Und vielleicht hilft dir dieser Text, bei deinem nächsten Wochenendtrip mal wirklich und wahrhaftig abzuschalten. Das hast du dir nämlich mehr als verdient.

Deine Laura

Übrigens findest du auf dem Blog Stadtlandmama einen Fahrplan für die Care-Arbeit von mir, falls die Kinder wegen Corona mal wieder zuhause bleiben müssen.

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