.. und wie Caroline Rosales Buch „Sexuell verfügbar“ die Augen öffnet (Buchrezension)
Neulich im Schuhgeschäft, Luise brauchte neue Sandalen. Mir gefielen die mit den bunten Kringeln, Luise fand die in Metallic-Rosa besser. Nach ein paar Überlegungen hin und her, nach Anprobieren und Probelaufen, schaute sie mich an und sagte: „Mama, ich nehme doch die bunten.“ „Welche findest DU denn schöner?“, fragte ich. Schüchtern zeigte sie auf die Sandalen in Rosa und genau die haben wir dann auch genommen.
Mir ging ihr Blick nicht mehr aus dem Kopf. Es hatte mich geschmerzt, dass sie mir zuliebe die bunten Sandalen nehmen wollte und mir ist dabei klar geworden, wie viel Einfluss ich auf ihre Meinung habe, zumindest noch. Meine Söhne nehmen die Schuhe, die ihnen gefallen. Es interessiert sie dabei kaum, was ich denke. Wie kommt es, dass Luise in dieser Beziehung so anders ist?
Bitte recht freundlich!
Luise wollte es mir recht machen und ich kenne das Gefühl nur zu gut. Es ist mir zum Beispiel furchtbar unangenehm, wenn irgendwo die Stimmung schlecht ist. Ich versuche dann, etwas auszugleichen, die Balance wiederherzustellen, möchte, dass alle zufrieden sind und an mir keinen Anstoß nehmen. Auf einer Party habe ich das Gefühl, als wäre ich verantwortlich und müsste die Kommunikation zum Laufen bringen, selbst wenn es nicht meine Party ist. Stockt ein Gespräch im Auto mit einer mir nicht vertrauten Person, suche ich krampfhaft nach einem guten Thema. Ich bin nett zu Vorgesetzten, Kollegen, Bekannten und sogar zum Mann, der abends bei uns anruft, um mir ein Zeitungs-Abo zu verkaufen. Ich habe das Gefühl, dass ich für die Harmonie um mich herum zuständig bin.
Aggressivität, Wut und Ärger sind mir unangenehm und ich weiß genau, dass Frauen, die dauernd meckern, unbeliebt sind. Aber wieso meckern Frauen und bei Männern heißt es, sie beschwerten sich? Wer hat diese Einteilung gemacht? Kann es sein, dass Frauen besonders ungern anecken, ihre Wut eher verbergen und wie ich lieber für gute Stimmung sorgen?
Jedenfalls habe ich mich in der letzten Zeit mit diesem Thema beschäftigt und darauf geachtet, wie ich Luise im Gegensatz zu den Jungs behandle, was auf sie Einfluss nimmt und woher sie ihre Ansichten auf die Welt hat. Ich habe außerdem das Buch „Sexuell verfügbar (Affiliate Link) von Caroline Rosales gelesen, in dem es um die Grauzonen zwischen Erziehung, Missbrauch und Feminismus geht.
Mädchen sind lieb und schön
Anfangen sollte man ja bei sich selbst und mir fiel auf, dass ich die Streitereien von Luise und ihren Freundinnen am liebsten schnell aus dem Weg räumen würde. „Vertragt euch doch wieder“, sage ich ihr, wenn sie sich mal mit ihrer besten Freundin in die Haare bekommt. Zofft sich Jimmy mit Schulkameraden, tue ich es öfter als Balgerei unter Jungen ab. Caroline Rosales schreibt in ihrem Buch:
So wie meine Wenigkeit hatten wir es fast alle mal als Mädchen gelernt. Schon im Kindergarten übernahmen die Jungs den Blödsinn, das Weglaufen und Raufen. Wir Mädchen wurden dagegen fürs Ponykämmen, Kaufladen-Spielen und Puppen-Umziehen gelobt. Später kamen die Disney-Filme, die Mädchen-Magazine, die romantische Komödie hinzu. Und mit ihnen die Erkenntnis, dass Brav und Schön zum Ziel kommt. (S. 10)
Zum Glück geht Luise in einen tollen Kindergarten, da raufen auch die Mädchen und die Klamotten sind sowieso immer dreckig und vermatscht. Aber die Disney-Filme, die kenne ich. Mein Vater war früher sehr feministisch eingestellt. Er kaufte meiner Schwester und mir Kinderlieder-Kassetten mit Texten wie „Mädchen, lasst euch nicht verbieten, was ein Junge machen darf.“ Aber Disney-Filme waren verboten, genauso wie Barbie-Puppen. Mit denen spielte ich dafür bei meiner Freundin leidenschaftlich gerne. Nun denke ich weder, dass Ballerspiele aus Kindern Psychopathen machen, noch eine Barbie-Puppe im Kinderzimmer automatisch zu Magersucht führt. Ich merke nur, wie Mädchen das Gift in kleinen Dosen verabreicht wird. Eine Barbie zum Geburtstag? Geschenkt! Aber sie zeigt den kleinen Mädchen zum ersten Mal, wie wichtig Aussehen, Anziehen und Dünn sein sind.
Hübsch sein und warten auf den Prinzen
Kein Problem, unsere Mädels können das ab. Aber neulich kam Luise dann mit einer rosa glitzernden Mädchen-Zeitschrift um die Ecke, die sie sich von ihrem Taschengeld gekauft hat. Darin war ein Comic mit Meerjungfrauen im Bikini, die das Rätsel ihrer Abenteuerreise nur mit Hilfe eines Prinzen lösten. Ein paar Tage später saß ich abends mit Luise vor dem Fernseher, wir schauten eine Kindersendung im öffentich-rechtlichen Fernsehen an. Teenies stylten sich um und am Ende bewerteten die Jungs die Mädchen und anders herum. Um die Mädchen wurde ein riesen Trara gemacht: mit Highlighter diese Stellen betonen, mit Rouge jene Wangenknochen modellieren. Ziemlich viel zu tun gab es da, die Jungs dagegen schmissen sich lediglich in neue Klamotten und stylten die Haare mit einem Klacks Gel. Auch ich treibe Aufwand um mein Aussehen, Luise sieht dabei zu. Das finde ich eigentlich nicht tragisch, aber die Kombination aus allem macht die Musik. Und so tröpfeln viele kleine Eindrücke auf Luise ein, die in ihr das Gefühl auslösen: Mädchen sollen schön aussehen und gefallen, nicht streiten und für Harmonie sorgen.
Ein kompliziertes Baukastensystem aus Erziehung, Handlungsempfehlungen und nett verpackten Tipps reguliert unser inneres und äußeres Erscheinungsbild,
findet auch Caroline Rosales (S. 15). Später werden Mädchen im Teenie-Alter konfrontiert mit Sendungen wie Germanys Next Topmodel und Zeitschriften wie der INSIDE, deren Redaktion Nina Straßner zurecht die sieben Plagen an den Hals wünscht:
Aber wir lassen völlig ungerührt unsere Kinder, unsere Töchter und Söhne, an Zeitschriftenregalen vorbeigehen und sie im Zweifel für 1,90€ eine frauenverachtende Scheisse im Magazinformat kaufen, dass ich mich frage: Haben wir eigentlich noch alle Latten am Zaun? „Horrorbauch“, „Schenkelschande“ „Speckshow“, „Bauchblamage“, „Zellulitedrama“ und „Reiterhosen“. Das ist seelischer Missbrauch. Big time.
Es allen recht machen
„Erziehung zur sanften Unterordnung“ nennt Caroline Rosales das, was sie in ihrer Kindheit erfahren hat. Und ich erfahre heute selbst, dass Frauen, die sich beschweren, die Missstände aufzeigen, als nervig gelten. Ob am Grillabend oder mit Freunden im Urlaub: stelle ich die Frage, ob das denn gerecht sei, dass der Mann auf Geschäftsreise weilt, Karriere macht und fleißig Rentenpunkte sammelt, während seine Frau sich zuhause zwischen Job und Kinderbetreuung den Allerwertesten aufreibt und im Trennungsfall im selbigen ist, schütteln die Männer empört die Köpfe und bemitleiden im Stillen meinen Mann, der sich mit so einer Emanze eingelassen hat.
Weil ich aber keine Party sprengen möchte, sondern wie zu Anfang erwähnt unter dem Syndrom leide, für gute Stimmung sorgen zu wollen, beschwichtige ich dann den Gesprächspartner, wechsle das Thema und lächle wieder. Da ist er wieder, dieser „Mädchenreflex, es jedem recht zu machen (…)“. (Rosales, S. 26)
Rosales erwähnt in ihrem Buch auch die Abhandlung von Doris Wolf, Wenn Schuldgefühle zur Qual werden (Affiliate Link). Sich selbst die Schuld zu geben (Hallo, hier: ich bin schuld, wenn auf der Party oder im Auto die Stimmung kippt), habe mit Eziehungsprinzipien zu tun. Mädchen bekämen schon im frühen Kindersalter die gesellschaftliche Abwertung von Frauen mit. „Ihre Mütter verdienen weniger, seien oft mehr an den Haushalt und die Organisation gebunden als Partner, im Märchen warten Frauen auf den Retter.“ (Rosales, S. 94 und Wolf) Wenn wir hier also nicht bald Gerechtigkeiten schaffen wie finanzielle Unabhängigkeit, Wertschätzung für Care-Arbeit und mehr Väter in Eltern- und Teilzeit, werden unsere Töchter mit Sicherheit ebenso das Gefühl haben, auf Anerkennung verzichten zu müssen, nur weil ihnen das y-Chromosom fehlt.
Was wir tun können
Caroline Rosales Buch ist übrigens neben einem sehr ehrlichen Erlebnisbericht und vielen klugen Worten auch ein Wegweiser, „um uns und allen Töchtern der nächsten Generation sicheres Geleit zu geben“ (S. 12). Und sie hat die Hoffnung, dass unsere Kinder, die nächste Generation, den Sprung in die große Freiheit in der Liebe und der Selbstauslebung schaffen können. (S. 49)
Daher bin ich sensibler geworden im Umgang mit Luise. Sie soll so laut und wütend sein dürfen wie ihre Brüder, denn auch wir Frauen tragen Agressivität in uns. Sie darf sich hübsch machen und später auch schminken, aber ich werde viel mit ihr darüber sprechen, dass es darum geht, sich selbst zu gefallen und nicht dem blöden Prinzen. Ich werde ihr erklären, dass es nicht das Ziel ihres Lebens ist, den richtigen Mann zu finden. Vielmehr soll sie aus sich selbst heraus glücklich werden und dann den richtigen Mann finden (oder die richtige Frau).
Ebenso lernen meine Jungs schon jetzt, dass sie weinen dürfen, wann immer ihnen danach ist. Sie dürfen sich ihre Haare wachsen lassen und pinke Jacken tragen, wenn sie es wollen. „Jungs sind sensibel (und Mädchen auch), sie brauchen die Liebe und die Weitergabe von Wissen ihrer Eltern und Schutzbefohlenen, um zu charakterstarken Menschen zu werden. Sie sollen genderfluid sein, unsere Söhne und Töchter, sich keiner sexuellen Prägung zu früh anpassen, es sei denn, für sie ist alles gleich klar.“ (Rosales, S. 49)
Auf diese Weise werden sie sich trauen, das zu sein, was sie sein möchten. Luise nimmt die Schuhe, die ihr gefallen. Sie zeigt Aggression und Liebe gleichermaßen, kann auch Disharmonien ertragen. Sie traut sich, ihren Weg zu gehen: Kinder zu kriegen oder auch nicht, Männer oder Frauen zu lieben und zu wissen, dass es nicht der Prinz ist, der sie glücklich macht, sondern nur sie selbst.
Ich freue mich, wenn dich der ein oder andere Gedanke inspiriert hat. Schreib mir gerne deine Meinung oder deine eigenen Erfahrungen dazu! Bleib fröhlich und vor allem eine unperfekte Frau, deine Laura
Zur Transparenz: das Buch von Caroline Rosales habe ich vom Ullstein Verlag als Rezensionsexemplar geschickt bekommen.
4 Comments
Guten Morgen Laura,
vielen Dank für deinen Blog-Beitrag.
Deine beschriebenen Beispiele kenne ich von der anderen Seite.
Dass man als Junge / Mann auch eher allen ( beziehungsweise den Eltern) recht machen will.
Schuhe kaufen, Haar-Schnitt, Klamotten, … -> immer versuche ich es recht zu machen.
Auch deine Wesenzüge kenne ich sehr gut. Zu gut teilweise 🙁 Bin als Mann nicht anders.
Ist nicht nur auf ein Geschlecht alleine minimiert 🙁
Bin 33 Jahre und versuche meinen Eltern, meiner Partnerin alles recht zu machen.
Bin immer da, halte mich mit meiner Meinung zurück und wenn ich doch mal was sage kommt der Spruch daher: „Hör auf Zicken.“
Das ist ja spannend, danke Manuel, dass du das hier teilst. Vielleicht liegt es dann weniger am Geschlecht, sondern auch an der Erziehung und dem Gefühl, es allen recht machen zu wollen. Jedenfalls ist es ein guter Ansatz, um mal darüber nachzudenken, dass wir es auch durchaus uns selbst recht machen können. Liebe Grüße von Laura
Ich habe zwei kleine Töchter. Mein Mann und ich unterhalten uns oft über das Genderthema. Mir kam hier doch so einiges in diesem Text recht vertraut vor. Wir möchten Mädels haben, die sich schmutzig machen, auf Mauern klettern und sich Dinge trauen und mutig sind. Aber wir ertappen uns auch oft, dass einem manchmal die eigene Erziehung einen Strich durch die Rechnung macht. Man denkt doch häufig selbst in Schubladen. Aber solange wir reflektiert bleiben, ist das nicht schlimm. Alles darf man auch nicht steuern wollen, sondern die Zwerge auch mal machen lassen.
Dass momentan die Puppe das liebste Spielzeug der Älteren ist, ist auch kein Problem. Denn sie hat sie selbst gewählt und hat einfach Freude damit. Das ist das Wichtigste!
Liebe Anja, da stimme ich dir total zu. Mädchen dürfen in Ruhe mit Puppen spielen und auch ihren rosa Glitzer-Fummel tragen, so lange wir aufmerksam bleiben und diese typischen Geschlechterfragen reflektieren. Liebe Grüße, Laura