Mental Load und Denkarbeit neu FAIRteilen
Eine Frage der Verantwortung
Nach der Geburt unserer Tochter und der beiden Söhne war ich ganz klassisch ein Jahr zuhause und kümmerte mich um die Kinder, machte einen Großteil des Haushalts und organisierte die Familie. Wieso sollte sich mein Mann um den anstehenden Kindergeburtstag kümmern, um Kindergarten-Angelegenheiten, das Zeitungs-Abo oder unsere Bekannten einladen, wenn er in Vollzeit arbeiten ging, fragte ich mich. Gleiches betraf Packlisten für bevorstehende Urlaube oder Ausflüge, den Einkauf oder die Speiseplanung. Während dieser Elternzeit-Jahre bin ich langsam zum Organisations-Genie geworden und hatte unseren Alltag (meist) im Griff, war aber auch immerzu erschöpft. Jedes Mal freute ich mich auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben, aber dort, an meinem Arbeitsplatz, kam ich gedanklich nie richtig an. Immerzu waren meine Gedanken bei den Kindern und bei all den Dingen, die es zu erledigen galt. So sieht es eben aus, das Familien-Leben, aber wieso war da immer noch dieser eklatante Unterschied zwischen meinem Mann und mir und unseren Verantwortlichkeitsbereichen?
In Gedanken zuhause
Ich linste im Büro alle halbe Stunde auf mein Handy. Seitdem sich mein Sohn einen Zahn ausgehauen hat und meine Tochter einmal in eine Scherbe gefallen war, fühlte ich mich im Dauer-Bereitschaftsmodus. Ich wurde von der Erzieherin angerufen, wenn ein Kind im Kindergarten krank wurde, oder wenn ein „Entwicklungsgespräch“ anstand. „Mama ist zuständig“, so haben es alle Menschen um uns herum abgespeichtert, „und sie arbeitet ja sowieso nur halbtags.“ Das ist die Krux an der ganzen Geschichte, denn Halbtags-Jobs werden oft nicht ernst genommen. Grober Fehler, denn eigentlich wären reduzierte Arbeitszeiten für Eltern DIE Lösung, und zwar für Mutter und Vater. Aber wir leben weiterhin in der Annahme, dass Kinderbetreuung und Familien-Orga Frauensache und der Beruf einer Mutter weniger wichtig ist. Die Konsequenzen aus letzterer Annahme sind dann fatal, wenn etwas nicht läuft wie geplant: Wenn die Beziehung zu Bruch geht, der Partner nicht mehr da ist oder krank wird, den Job verliert oder Corona Einfluss auf das Einkommen nimmt. Dem (Teilzeit-)Job wenig Wert beizumessen ist die schlechteste finanzielle Investition, die man tätigen kann, so lautet meine Meinung. Da investieren wir in Aktien-Fonds und ETFs, anstelle in die berufliche Laufbahn einer Frau, und buchen teure Familienurlaube, anstatt in deren leere Rentenkasse einzuzahlen. Wir sind alle nicht vor dem Schicksal gefeit, und dann sind wir schneller als wir denken nicht länger ein Elternpaar. Alleinerziehend zu sein ist in unserem Land besonders fatal. Ein Steuersystem, das Ein-Eltern-Familien diskriminiert und eine Gesellschaft, die auch von Single-Müttern oder -Vätern verlangt, Kind, Kegel und Beruf unter einen Hut zu bekommen (und dabei bitte nicht zu JAMMERN), macht es uns in Deutschland besonders schwierig, alleine Eltern zu sein.
Zurück zu mir und zu meiner zwar privilegierten, jedoch mental anstrengenden Situation: Lange Zeit wurde meine konzentrierte Arbeit am PC in den letzten Jahren immer wieder unterbrochen von WhatsApp-Nachrichten („wer möchte am Wochenende am Fußball-Turnier teilnehmen? Wer sich zuerst meldet, hat den Platz“), Anrufen der Schule („ihre Tochter klagt über Übelkeit“) oder meinen eigenen Gedanken: haben wir eigentlich schon die Ferienbetreuung der Kinder organisiert? Wann müssen die ganzen Bilderbücher zurück in die Bücherei? Wir sollten uns dringend um die Anmeldung zum Flötenunterricht kümmern, denn das hatten wir Luise versprochen…. Also führte ich auch während der Arbeitszeit To-do-Listen für die Familie, machte Arzttermine aus oder recherchierte schnell mal ein paar Geburtstagsgeschenk für den Sohn.
Deep Work – Mission impossible
Wie soll ich mich in meine (Erwerbs-)Arbeit vertiefen, wenn ich in Gedanken bei den Kindern bin, beim Mittagessen, beim Termin für den Kinderarzt und bei der Einkaufsliste? Ich bin konditioniert auf das Kümmern, bin immer allen einen Schritt voraus, halse mir Dinge auf, weil ich denke, dass ich als Mutter funktionieren muss. Das ist auch der Grund, weshalb Deep Work für viele Mütter kaum möglich ist. Deep Work bedeutet volle Konzentration auf die Arbeit. Indem wir uns für einige Zeit von der Welt abschotten, entsteht das beste Ergebnis. Die Gedanken sind fokussiert, der Kopf ist klar, nichts steht im Weg. Mir gelingt das nicht. Volle Konzentration auf mein Buch, auf meinen Artikel oder die Recherche? Fehlanzeige!
Man könnte mir unterstellen, dass ich nicht loslassen kann. Stimmt, das fällt mir schwer, wie übrigens hunderttausend anderen Frauen auch. Vom ersten Schwangerschaftsmonat an spüren Frauen, dass sie es sind, die die Haupt-Verantwortung für die Kinder tragen. Sollten sie das einmal vergessen, werden sie von Kinderärzt*innen, Schwiegermüttern oder fremden Personen in der Bahn daran erinnert. Kein Wunder, dass diese gefühlte Verantwortlichkeit zu einem ausgewachsenen Mental Load führt. Wer sich immer kümmert, wird irgendwann Kümmer-Profi, beherrscht die Kalender-Klaviatur und weiß im Schlaf, in welchem Rhythmus Elterngespräche, Impftermine und Schuhkäufe anstehen. Leider verhindert diese familiäre Organisationsplackerei eines: den Kopf frei zu haben für sich selbst, für den Beruf, für die eigenen Leidenschaften und für die Pause vom Alltagsstress.
Frauen sind weltweit betroffen
Diese Doppelbelastung betrifft nicht nur mich, sondern Millionen von Frauen. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group fand heraus, dass Frauen länderübergreifend unter Mental Load leiden und deshalb auch beruflich wenig vorwärts kommen. Die Doppelschicht aus Erwerbstätigkeit und Familien-Managerin ist erschöpfend und kann auch arm machen. Denn wer sich viel kümmert, verdient weniger, kann weniger für die Rente zurücklegen und hat auch schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mütter werden seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, vermutlich auch aus dem Grund heraus, dass sie wegen der Verantwortung für die Kinderbetreuung öfter ausfallen könnten – ein Teufelskreis.
Es gibt vor allem auf Seiten der Wirtschaft viel zu tun, aber auch wir Eltern können uns bewusst machen, welche fatalen Auswirkungen die einseitige Organisationsarbeit hat. Angefangen von Ärger in der Beziehung („ich muss mich hier um alles kümmern“ – „und du meckerst nur an mir herum!“) über die psychische Belastung bis hin zu einer Art häuslichem Burn Out, mangelnde Karriere-Chancen für Frauen und die damit eingergehende Unmöglichkeit, einfach mal Pause zu machen vom Kümmern und Sich-zuständig-fühlen. Was können wir also konkret tun, wenn die Elternzeit endet und wir vor dem Wiedereinstieg in den Job stehen?
Drei Schritte für den Wiedereinstieg in den Beruf
Schritt eins:
Eltern sollten sich bewusst machen, wie viel Arbeit zuhause anfällt, die oft unsichtbar bleibt. Die unsichtbarste ist dabei wohl das „An-alles-denken-müssen“. Daher ist es sinnvoll, diese Denk-Arbeit sichtbar zu machen und alle Tätigkeiten aufzuschreiben, die organisiert, geplant und ausgeführt werden müssen. Am besten, beide Eltern sammeln über einen bestimmten Zeitraum all die To-dos und notieren sie in Rubriken unterteilt. Das könnten sein: Organisation, Haushalt, Kinderbetreuung, Termine, Wartung, Urlaub etc. Hier gibt es eine Excel-Tabelle samt Anleitungsvideo, die sogenannte „Steuerboard-Liste“, die sich Eltern auf ihre eigenen Bedürfnisse anpassen können. Mit der von meinem Mann programmierten genialen Auswertungsfunktion können sich Eltern die Verteilung anzeigen lassen und haben einen Überblick über die Zeit, die für das Denken, Kümmern und Ausführen drauf geht. Für Menschen wie mich, die Excel niemals beherrschen werden und meinen, ein Pivot wäre die Bezeichnung für einen Zirkus-Clown, gibt es ein Erklär-Video dazu.
Schritt zwei:
Verantwortlichkeiten verteilen, lang- oder kurzfristig, ist der nächste Schritt. Langfristig könnte einer für Kindergarten-Angelegenheiten zuständig sein, der andere für die Schule der Kinder. Einer ist der Wäsche-Beauftragte, der andere kümmert sich um Speiseplan und Einkauf. Oder aber Paare verteilen sich die Arbeit jede Woche neu. Wichtig ist zu erkennen, dass Familien-Organisation in der Verantwortung beider Eltern liegt und aufgeteilt werden muss, besonders dann, wenn beide berufstätig sind. In welchen Umfang die Verteilung erfolgt, ist eine individuelle Angelegenheit und 50:50 ist nicht das Ziel aller. Am besten, man bespricht alles einmal die Woche bei einem Küchen-Meeting und benutzt Tools wie ein Shop-Floor-Board oder eine App wie Trello.
Schritt drei:
Verantwortung abgeben lernen auf der einen, Verantwortung übernehmen auf der anderen Seite! Wer sich lange alleine um die Familien-Organisation gekümmert hat, weiß Bescheid und ist vor allem viel geübter als der Partner (oder die Partnerin). Sobald es mit der Berufstätigkeit wieder los geht, heißt es, Aufgaben abgeben und loslassen lernen, auch wenn das ein wenig Zeit braucht. Paare tun gut darin, sich über Standards einig zu sein. Wie hoch sind die Ansprüche an Sauberkeit, Bio-Lebensmittel, Kinderbetreuung? Wie kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner? Kann ein perfektionistisch veranlagter Mensch ablassen von seinen 150% und der jeweils andere sich mehr Mühe geben, sodass sich Eltern in der Mitte treffen?
Care-Arbeit und Erwerbsarbeit bedingen einander
Wir sollten uns intensiv bewusst machen, was Care-Arbeit bedeutet, die auch die Denk-Arbeit miteinschließt, und warum gerade diese Art von Arbeit für eine hohe mentale Belastung sorgt. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und nicht weniger wichtig als Erwerbsarbeit. Darüber hinaus ist es eine bereichernde Tätigkeit, sich um Kinder, die Familie und den Alltag zu kümmern. Aber weil es eben auch sehr anstrengend und zermürbend sein kann, schränkt sie auch stark ein und die bisher fehlende Anerkennung tut ihr Übriges. Besonders Frauen erledigen einen Großteil dieser familiären Organisationsarbeit und kommen oft nicht auf die Idee, Verantwortung abzugeben, weil sie sich zuständig fühlen. Gerade aber dann, wenn sie wieder beruflich starten, ist das besonders notwendig, weil sonst die Überlastung droht. Auch deshalb ist es eine gute Lösung, sich die Elternzeit zu teilen, und eine Weile lang alleine zuhause mit den Kindern den Alltag zu meistern. Das können nämlich Väter grundsätzlich genauso gut wie Mütter, weil es einfach eine Sache der Übung ist, und nichts, aber auch wirklich NICHTS mit dem Geschlecht zu tun hat. Politische Forderung am Rande: Um nicht nur der Mittel- und Oberschicht zu mehr Vereinbarkeit zu verhelfen, ist hier ein situatives Grundeinkommen nötig. Denn viele Eltern, die finanziell knapp aufgestellt sind, können sich Einbußen durch Elternzeiten des Hauptverdieners nicht leisten.
Weil Eltern unbedingt auch die Unterstützung der Arbeitgeber brauchen, sind auch unbedingt die Unternehmen gefragt, von denen ich schon einige zum Thema Mental Load beraten habe. Daher bin ich optimistisch, dass das Thema immer stärker in den Fokus gerückt wird.
Wenn auch du vor dem Wiedereinstieg in den Job stehst, sprich die Arbeistteilung unbedingt an. Lösungen für eine faire Aufteilung unter Eltern findest du auch in meinem Buch „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles.“ (Affiliate Link), das es zusätzlich als Hörbuch gibt. Seit heute ist übrigens die zweite Auflage in den Läden, weil es sich so gut verkauft.
Bleib fröhlich und unperfekt, deine Laura
Infos zu meinen Vorträgen und Web-Seminaren: fröhlich im text.